Cronaca | Maskenaffäre

Der Maskentausch

Die Staatsanwaltschaft geht jetzt einem schwerwiegenden Verdacht nach: Hat der Sanitätsbetrieb bei den Maskentests geschwindelt? Es gibt mehr als nur Indizien dafür.
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Foto: DEKRA Ag
Politiker lügen nicht. Sie wenden etwas an, was sich „zielgerichtete Wahrheit“ nennt. Darunter versteht man, einen Teil der Wahrheit zu sagen und einen anderen Teil zu verschweigen.
Genau das hat Josef Unterholzner getan, als die Carabinierisondereinheit NAS am 30. Juli 2020 das Landtagsbüro des damals noch zum Team K gehörigen Abgeordneten durchsuchte.
Unterholzner ging selbst mit einer Aussendung in die Öffentlichkeit:
 
Ja es stimmt, heute war die NAS bei mir im Büro. Sie wollten eine Korrespondenz zwischen mir, Landesrat Widmann und Dr. Franzoni sicherstellen, in der es um die Schutzmasken und das Gutachten der deutschen Prüfgesellschaft DEKRA geht. Mehr weiß ich nicht. In der Tat hatte ich damals dem Sanitätsbetrieb aufgrund meiner guten Beziehungen zur DEKRA wegen meiner früheren Arbeit geholfen. Ich habe ihnen gerne alles ausgehändigt und Zugang zu meinem PC und meinem Handy gegeben. Ich bin sehr gelassen, da ich außer dieser gut gemeinten Unterstützung nichts Weitere unternommen habe. Ich betone, dass gegen mich nicht ermittelt wird. Der Besuch der NAS diente zum Sammeln von Informationen.“
 
Zudem veröffentlichte der Landtagsabgeordnete auf Facebook auch den Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft. Wohlweislich nur die erste Seite. Jetzt wird deutlich warum.
Auf  der zweiten Seite des Dokuments wird genau angeben, welche Örtlichkeiten durchsucht werden dürfen. Und dort wird sichtbar, dass die Bürodurchsuchung im Landtag nur der zweite Teil der Carabinieri-Aktion an diesem Tag ist.
 

Suche in Völlan

 
Denn am frühen Morgen des 30. Juli werden die NAS-Beamten um Oberstleutnant Davide Perasso in Völlan vorstellig. Josef Unterholzner will gerade wegfahren, als er von den Carabinieri aufgehalten wird. Die Beamten ersuchen den Landtagsabgeordneten in sein Wohnhaus im Feldweg Nr.4 zurückzufahren.
Der Durchsuchungsbefehlt gilt auch für die Privatwohnung und seine Werkstatt in Völlan. „Mir wurde nicht gesagt, was der Grund der Durchsuchung ist“, sagt Unterholzner jetzt zu Salto.bz, „erst als man mir das Dekret gab, habe ich verstanden, um was es geht“. Die NAS-Beamten durchsuchen die Werkstatt. Dabei gilt die Aufmerksamkeit der Beamten nicht nur dem Schriftverkehr, sondern man sucht auch nach Atemschutzmasken aus der Oberalp-Lieferung. Es ist schließlich Unterholzner selbst, der die Carabinieri zur Garage führt, wo man sowohl zerschnittene, als auch noch völlig intakte chinesische KN95-Masken findet und beschlagnahmt.
 
 
Diese Masken könnten jetzt als Beweisstück für einen schwerwiegenden Verdacht dienen. Die Ermittler gehen der Frage nach, ob der Südtiroler Sanitätsbetrieb versucht hat, bewusst das renommierte deutsche Prüfungsinstitut DEKRA in die Irre zu führen, um eine positives Testgutachten für die chinesischen Atemschutzmasken zu erhalten?
Durch diese Ermittlungshypothese geraten auch Josef Unterholzner und der Arzt und stellvertretende Taskforce-Leiter Patrick Franzoni in den Fokus der Ermittler. Beide weisen gegenüber Salto.bz jeden Verdacht von sich. „Es wird sich zeigen, dass diese Anschuldigungen völlig haltlos sind“, meinen Unterholzner und Franzoni unisono.
Deutlich enger aber dürfte es für den Generaldirektor des Sanitätsbetriebes Florian Zerzer und dem Oberalp-CEO Christoph Engl werden.
 

Fahrt nach Stuttgart

 
Josef Unterholzner war jahrzehntelang als Zulieferer großer Autohersteller tätig. Dabei hatte der Unternehmer auch immer wieder mit dem deutschen Prüfinstitut DEKRA zu tun. Nach Bekanntwerden der Südtiroler Maskenaffäre und dem ersten negativen Gutachten des Stuttgarter Prüfinstitutes beginnt sich der Oppositionspolitiker zu rühren.
Unterholzner nimmt Kontakt mit Gesundheitslandesrat Thomas Widmann und mit Generaldirektor Florian Zerzer auf. Er erklärt beiden, wie man ein solches Gutachten angehen muss. Der erste Schritt ist eine sogenannte „Qualitätskontrolle“. Es ist ein noble Umschreibung eines sehr einfachen Vorganges: Man sucht die besten Stücke einer Lieferung aus und schickt nur diese an das Testlabor.
 
 
Josef Unterholzner erhält von der Politik und vom Generaldirektor des Sanitätsbetriebes grünes Licht. Der Oppositionspolitiker kann am 4. Mai in einem Lager des Sanitätsbetriebes neben der VIVES in Bozen Süd, die gesamte Oberalp-Lieferung inspizieren. Unterholzner und Patrick Franzoni stellen dann jene Charge zusammen, die zum Test zur DEKRA gehen soll.
Doch dem nicht genug. Wenige Tage später bringen beide gemeinsam die Oberalp-Masken persönlich in das Labor nach Stuttgart. Man fährt Corona-bedingt sogar mit zwei Autos. Es ist Unterholzner, der die Masken im Auto transportiert.
Beide bestreiten Salto.bz gegenüber die Masken irgendwie ausgetauscht zu haben.
Doch genau das ist am Ende passiert.
 

Der Trick

 
Am 1. Juli 2020 trudelt in Bozen das Gutachten der DEKRA ein. Wie üblich steht dabei das Prüfergebnis bereits auf dem Deckblatt des Gutachtens. Dort heißt es unmissverständlich: „Prüfergebnis: Die Pandemie-Atemschutzmaske entspricht nicht den Corona SARS-CoV-2 Prüfanforderungen“. Das Wort „nicht“ ist dabei fettgedruckt.
Generaldirektor Florian Zerzer verkauft den Prüfbericht trotzdem in den Medien als weitgehend positiv. Denn in dem 14-Seiten-Gutachten der DEKRA stehen auch einige Tests, die die Masken durchaus bestanden haben.
Etwa die Sichtprüfung, bei der die Verpackung kontrolliert wird. Oder die Anlegeprüfung. Ebenso hat ein Trageversuch keinerlei „offensichtliche Undichtigkeiten“ an den Wangen und am Kinn ergeben. Auch der Test des Filtermediums ging positiv aus.
 
 
Das Problem liegt aber beim Atemwiderstand. Liegt der Atemwiderstand beim Einatmen in der Norm, ist er beim Ausatmen deutlich zu hoch. Das ist letztlich auch der zentrale Punkt warum das Gutachten am Ende negativ ausgefallen ist. Anfang August berichtet Salto.bz über das neue DEKRA-Gutachten. „Die Verantwortlichen im Südtiroler Sanitätsbetrieb haben auch hier getrickst“, heißt es im Artikel. Diese Mutmaßung lässt sich auch dokumentarisch untermauern.
Denn ein Abschnitt der DEKRA-Gutachten ist der photografischen Dokumentation der getesteten Masken gewidmet. Vergleicht man die Masken, die im März getestet wurden mit jenen, die im neuen Juli-Gutachten abgebildet sind, fällt auf, dass es sich um unterschiedliche KN95-Masken handelt.
Salto.bz schrieb damals: „Es sollte ein bauernschlauer Schachzug sein, der am Ende aber nicht (ganz) aufgegangen ist.
Inzwischen aber scheint klar, dass der Sachverhalt noch schwerwiegender ist.
 

Zwei Fliegen, eine Klappe

 
Denn der Sanitätsbetrieb hat Anfang Mai nicht nur die eigenen KN95-Masken nach Stuttgart gebracht, sondern hat auch für die Firma Oberalp Amtshilfe geleistet.
Es bedarf einer Rückblende: Als Mitte März das Unternehmen Oberalp für den Südtiroler Sanitätsbetrieb den China-Deal einfädelt, ist ein wahrer Sturm auf die äußerst knappe Schutzausrüstung im Gang. Weil Oberalp als seriöses Unternehmen gilt und zudem im Südtiroler Sanitätsbetrieb einen öffentlichen Partner hat, sind schon bald größere Player an dem Material interessiert.
Oberalp steigt sozusagen über Nacht in den Handel mit Schutzausrüstung ein. Es geht dabei um viel Geld. So bestellt etwa das Österreichische Rote Kreuz beim Südtiroler Sportartikelhersteller Schutzausrüstung im Wert von mehr als 20 Millionen Euro
Oberalp kommt auch mit dem staatlichen italienischen Zivilschutz ins Geschäft. Am 17. März 2020 unterzeichnet der Zivilschutz einen Vertrag mit Oberalp für den Kauf von Schutzausrüstung im Wert von 6.650.000 Euro. Die Schutzbehelfe werden noch im März geliefert. Der Zivilschutz zahlt 5.067.714 Euro an das Südtiroler Unternehmen.
Doch dann kommt der gesamte Maskenskandal auf und die Verantwortlichen beim Zivilschutz nehmen die KN95-Masken genauer unter die Lupe. Plötzlich stehen Regressforderungen im Raum.
 
 
 
Jetzt braucht nicht nur der Sanitätsbetrieb ein positives Prüfgutachten, sondern auch das Unternehmen Oberalp. So liefert der Südtiroler Sanitätsbetrieb Anfang Mai zwei Ladungen Masken nach Stuttgart. Wobei die Lieferung der zweiten Ladung Oberalp in Rechnung gestellt wird.
Weil die Masken, die im Lager des Südtiroler Sanitätsbetriebes liegen, identisch mit jenen sind, die man an den italienischen Zivilschutz geliefert hat, will man jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Das deutsche Prüfinstitut macht zwei getrennte Gutachten: Eines für den Sanitätsbetrieb und ein zweites für die Oberalp zu den Zivilschutzmasken.
Am 29. Mai liegen beide Gutachten vor. Das niederschmetternde Ergebnis: Beide völlig negativ.
 

Masken aus Wien

 
Doch dann bessert man nach. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ist es Christoph Engl, der Anfang Juni eine neue Ladung Masken zur DEKRA nach Stuttgart schickt. Die Masken sollen sowohl für die Revision des Oberalp-Gutachtens als auch für jene des Gutachtens für den Sanitätsbetrieb verwendet werden. Das Ergebnis ist dann das in Teilen positive DEKRA-Gutachten vom 30. Juni 2020.
Die getestet Masken sind aber weder mit jenen identisch die im Lager des Südtiroler Sanitätsbetriebes liegen, noch mit jenen die an den italienischen Zivilschutz geliefert wurden“, heißt es jetzt aber in den Ermittlungsakten der Bozner Staatsanwaltschaft. Bei den Masken handelt es sich zwar um Produkte derselben Firma der „Shangchi Industrial Co LTD“, die für die Operalp hergestellt wurden, aber sie wurden nie an den Südtiroler Sanitätsbetrieb geliefert.
 
 
Laut den Ermittlungsergebnissen ist es Christoph Engl, der die Masken, die am Ende getestet werden und in den Prüfbericht Eingang finden, nach Stuttgart anliefern lässt. Die Masken kommen aus Wien. Aus jener Ladung die Oberalp an das Rote Kreuz Österreich verkauft hat.
War es ein unbeabsichtigtes Versehen? Ein unbewusster Fehler? Oder der Versuch eines Schwindels?
Dass die Staatsanwaltschaft eher von Letzterem ausgeht, liegt auch an dem, was danach passiert.
 

Whatsapp an den General

 
Im Juli spitzt sich der Konflikt zwischen dem italienischen Zivilschutz und der Oberalp zu. Am 15. Juli 2020 gibt der zuständige Sachbearbeiter im italienischen Zivilschutz Brigadegeneral Pasquale Izzo in einem Gutachten grünes Licht für eine Schadenersatzforderung gegen das Unternehmen Oberalp. Weil die gelieferten 805.800 KN95-Masken „nicht verwendbar“ sind, fordert der Zivilschutz vom Südtiroler Sportartikelhersteller eine Rückzahlung von 1.071.714 Euro.
Aus den Ermittlungsakten geht jetzt hervor, dass sich Florian Zerzer anscheinend sehr aktiv in diese juridische Auseinandersetzung einbringt. Unmittelbar nachdem die DEKRA das „teilweise positive Gutachten“ am 1. Juli übermittelt, leitet Zerzer das Gutachten per Whatsapp an General Izzo weiter. Das Gutachten sollte zur Entlastung der Oberalp dienen und einen mögliche Schadenersatzklage abwenden.
 
 
Es ist völlig unverständlich, warum sich der Generaldirektor einer öffentlichen Institution um die rechtlichen Probleme eines Privatunternehmens kümmert“, plaudert einer der Ermittler aus der Schule.
 

Die Beschlagnahme

 
Es dauert über vier Wochen bis im August das neue DEKRA-Gutachten des Sanitätsbetriebes öffentlich bekannt wird. Florian Zerzer nutzt die Gelegenheit um den Prüfbericht besser zu machen, als er ist.
Es ist grundsätzlich in vielen Parametern absolut positiv ausgefallen. Aber jetzt muss das Ganze noch vertieft werden. Und dann kann man erst definitiv eine Nutzung und unter welchen Voraussetzungen diese Mittel eingesetzt werden, festlegen“, sagt der Generaldirektor wörtlich zu RAI Südtirol.
Es ist ein Satz, der die Ermittler hellhörig macht. Auch aufgrund der bisher zusammengetragenen Erkenntnisse geht man davon aus, dass Florian Zerzer die KN95-Masken einsetzen will. Staatsanwalt Igor Secco beantragt deshalb die Beschlagnahmung der gesamten Oberalp-Lieferung im Sanitätsbetrieb. Voruntersuchungsrichter Emilio Schönsberg gibt am 26. August per Dekret grünes Licht. Am vergangenen Freitag rücken dann die NAS aus und beschlagnahmen das gesamte Schutzmaterial.
Die offizielle Reaktion aus dem Sanitätsbetrieb: Man habe die Beschlagnahme der Masken „mit Verwunderung und auch mit einer Portion Unverständnis zur Kenntnis genommen“.
Nicht nur Politiker scheinen "zielgerichtete Wahrheiten" zu lieben.
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Marcus A. Mer, 09/02/2020 - 10:28

Die ganze Geschichte nimmt immer absurdere Züge an...
Die Frage ist, wieso man zum Schutze der gesamten Südtiroler Sanität und deren Glaubwürdigkeit nicht bestimmte Personen vorerst aus der Schusslinie nimmt bis deren Position und Verantwortung lückenlos geklärt ist.

Wo bleiben hier die politischen Entscheidungsträger?

Mer, 09/02/2020 - 10:28 Collegamento permanente
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Martin Sitzmann Mer, 09/02/2020 - 18:25

Man kann nicht einmal sagen: "Langsam wird's peinlich!", denn das ist die Sache schon seit langem.
Beeindruckend finde ich, wie gut die Kontaktpersonen oder der/die Whistleblower von Herrn Franceschini informiert sind und welchen Mut sie haben, ihm die Infos und die Belege dazu weiterzugeben - keine Selbstverständlichkeit in diesem Landl...
Weiter so, bin schon gespannt, wie lange der Krug noch zum Brunnen geht, bis er bricht.

Mer, 09/02/2020 - 18:25 Collegamento permanente
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Martin Sitzmann Mer, 09/02/2020 - 18:29

Und was mich mittlerweile schon auch wundert: Von ganz ganz oben hört und sieht man in der Sache nix. Nicht vom Gesundheitslandesrat und auch nicht vom Landeshauptmann.
Klar, die Staatsanwaltschaft ermittelt, und da wollen sich die Herren nicht äußern - wer legt sich schon gerne selbst ein Ei!
Aber im Umkehrschluss: Wer sich nichts vorzuwerfen hat, könnte doch auch mal Stellung nehmen, oder? Von wegen politische Verantwortung oder zumindest nicht noch blöder dastehen wollen in der Öffentlichkeit, usw.

Mer, 09/02/2020 - 18:29 Collegamento permanente