Cronaca | Gericht

Die Entscheidung

Wird die Strafanzeige gegen Landeshauptmann Arno Kompatscher archiviert oder nicht? Vorverhandlungsrichter Peter Michaeler wird nicht nur darüber urteilen müssen.
Am Bozner Landesgericht dürfte es bisher nur wenige Vorverhandlungen gegeben haben, die so prominent besetzt sind. Kurz nach Mittag treten im Verhandlungssaal vor Vorverhandlungsrichter Peter Michaeler gleich ein halbes Dutzend prominenter Strafverteidiger an.
Fast zwei Stunden wird die Verhandlung hinter verschlossenen Türen dauern, in der jede Partei ihre Sichtweise und Argumente auf den Richtertisch legt. Es ist ein Streit auf höchstem juridischem Niveau, in dem es vordergründig um den sogenannten SAD-Skandal geht. In Wirklichkeit aber auch um eine Vorentscheidung, die nachhaltige, politische Folgen für Südtirol haben könnte.
Denn am diesem Dienstag steht indirekt auch die Zukunft des höchsten, politischen Repräsentanten des Landes auf dem Spiel. Einer der Angeklagten heißt Arno Kompatscher und es geht in der Verhandlung auch um die Frage, ob die Ermittlungen gegen den Landeshauptmann - so wie von der Staatsanwaltschaft gefordert - archiviert werden oder nicht.
 
 
Da Kompatscher bisher öffentlich noch nicht bekanntgeben hat, ob er bei den Landtagswahlen 2023 noch einmal als SVP-Spitzenkandidat antreten wird, ist allen Beobachter klar, dass eine Ablehnung der Archivierung oder die gar eine Einleitung des Hauptverfahrens gegen den amtierenden Landeshauptmann, diese Entscheidung beeinflussen würde. Vor allem die Kompatscher-Gegner in der SVP hätten dann endlich jene Munition, um den Landeshauptmann vom Thron zu stoßen.
Vor allem die Kompatscher-Gegner in der SVP hätten dann endlich jene Munition, um den Landeshauptmann vom Thron zu stoßen.
 

Das Verfahren

 
Das Verfahren ist der bisherige Höhepunkt einer über drei Jahre alten Geschichte, die sich unter dem Titel SAD-Skandal zusammenfassen lässt. In dem Prozess werden mehrere Stränge einer möglichen Strafverfolgung zusammengefasst. Dabei stehen neben Arno Kompatscher, der ehemaligen Abteilungsdirektor Günther Burger, die Busunternehmer Ingomar und Josef Gatterer und Markus Silbernagl und SAD-Direktor Mariano Claudio Vettori, sowie die Landesbeamtin Carmen Larcher  vor Gericht.
 
 
 
Die Staatsanwälte Igor Secco und Andrea Sacchetti haben bereits vor über einem Jahr die Ermittlungen abgeschlossen und die Archivierung (fast) aller Verfahren gefordert. Doch dagegen regt sich Widerstand von mehreren Seiten. So haben Ingomar und Josef Gatterer und die SAD AG gegen die beantragte Archivierung des Verfahrens gegen Landeshauptmann Kompatscher Einspruch eingelegt. Aber auch das „Konsortium der Südtiroler Mietwagenunternehmer“ (KSM) hat als geschädigte Zivilpartei Berufung gegen die Einstellung des Verfahrens gegen Gatterer, Vettori und die SAD berufen.
Das war der Ausgangspunkt für die gestrige Verhandlung vor Voruntersuchungsrichter Peter Michaeler. Für die SAD AG und für Ingomar und Josef Gatterer war der Berlusconi-Anwalt Maurizio Paniz aus Belluno angereist, SAD-Direktor Mariano Claudio Vettori wird von Anwalt Andrea Gnecchi vertreten, Günther Burger von Francesco Coran. Für Arno Kompatscher stiegen der Bologneser Strafverteidiger Alessandro Melchionda und der Meraner Anwalt und SVP-Vizeobmann Karl Zeller in den Ring. Der KSM hingegen wird im Verfahren von keinem Geringerem als dem Bozner Anwalt Beniamino Migliucci vertreten.
 

Kompatscher Rolle

 
Maurizio Paniz führt in der Verhandlung noch einmal die Vorwürfe gegen Arno Kompatscher detailliert aus. Zur Erinnerung: Es geht um die Annullierung der 700 Millionen-Euro-Ausschreibung zur Vergabe des Südtiroler Nahverkehrs. Nach einer Kontroverse um eine mögliche fehlende Eintragung in das nationale REN-Register des Konsortiums LIBUS, hatten Ingomar und Josef Gatterer interne Mails aus der Verwaltung öffentlich der Presse zugespielt. Die Mails hatte Gatterer am selben Tag von der Landesangestellten Carmen Larcher erhalten. Nach diesem Leak annullierte die Landesverwaltung die gesamte Ausschreibung.
 
 
 
Laut Ingomar Gatterer und der SAD habe Arno Kompatscher durch die Annullierung der Ausschreibung dem Kastelruther Busunternehmer Markus Silbernagl einen unerlaubten Vorteil verschaffen wollen. Kompatscher - so wird in mehreren Eingaben gemutmaßt - sei mit Silbernagl befreundet. Zudem bestünde ein eklatanter Interessenskonflikt, weil die Frau von Arno Kompatscher und der Busunternehmer gemeinsam an einer Gesellschaft beteiligt seien.
Demnach - so Paniz - müssen gegen den Landeshauptmann wegen Amtsmissbrauch das Hauptverfahren eröffnet werden. Ebenso müsse gegen Abteilungsdirektor Günther Burger aus demselben Grund wegen Amtsmissbrauch Anklage erhoben werden.
 

Die Verteidigung

 
Alessandro Melchionda widerlegte in der Verhandlung jeden Punkt dieser Vorwürfe. Vor allem aber hat Arno Kompatscher einen unerwarteten Verbündeten: Die Staatsanwaltschaft.
Staatsanwalt Andrea Sacchetti führt am Dienstag aus, dass man über ein Jahr ermittelt habe, dabei aber keinerlei strafrechtliche Vorwürfe gegen Kompatscher zu Tage getreten seien. So seien die abgehörten Telefongespräche zwischen Kompatscher und Silbernagl belanglos gewesen und der angebliche Interessenskonflikt existiere nicht. Nadia Kompatscher sei mit 0,24 Prozent an der Gesellschaft der Umlaufbahn auf die Seiseralm beteiligt, an der neben hundert weiteren Aktionären auch Markus Silbernagl 10 Prozent hält.
 
 
Vor allem aber haben mehrere Spitzenbeamte der Landesverwaltung, die für die Busauschreibung verantwortlich waren, ausgesagt, dass der Landeshauptmann sie um Rat gefragt habe, was zu tun sei. Kompatscher sei deshalb bei der Annullierung der Ausschreibung nur den Ratschlägen der Fachleute gefolgt.
Ich wüsste wirklich nicht, wie ich eine Anklage gegen den Landeshauptmann in diesem Fall begründen könnte“, erklärte Staatsanwalt Andrea Sacchetti in der Verhandlung mit entwaffnender Offenheit.
 

Der Angriff

 
Der Anwalt, der am Dienstag aber am längsten redete, war Beniamino Migliucci. Der Bozner Strafverteidiger, lange Vorsitzender der italienischen Strafkammer, weiß wie man große Prozesse führt. Als Anwalt des Unternehmers und Zivilklägers Hellmut Frasnelli war er es, der maßgeblich den SEL-Skandal ins Rollen gebracht hat und für seine Klienten vor Gericht einen Sieg nach den anderen errungen hat.
 
 
Beniaminio Migliucci vertritt in diesem Verfahren das KSM, das sich gegen die Archivierung des Verfahrens gegen die SAD, sowie gegen Ingomar Gatterer und Mariano Claudio Vettori zur Wehr setzt. Der Bozner Strafverteidiger führte am Dienstag detailreich aus, was die Ermittler bei den Telefonabhörungen und Beschattungen zusammengetragen haben. Für den Anwalt müssen diese Ermittlungsergebnisse zwingend zu einer Anklageerhebung führen.
Nicht nur Migliucci brannte vor Vorerhebungsrichter Peter Michaeler ein Feuerwerk an Argumenten ab, um seine Position zu untermauern.
 

Der Richter

 
Peter Michaeler, dem alle Prozessbeteiligte bescheinigten, äußerst gut vorbereitet in die Verhandlung gegangen zu sein, hat immer wieder durch geschickte Zwischenfragen in den Disput der Anwälte eingegriffen.
Prozedural hat der Vererhebungsrichter jetzt bei jedem Angeklagten drei Möglichkeiten:
 
  • Annahme des Archivierungsantrages
  • Ablehnung der Archivierung und Einleitung des Hauptverfahrens
  • Rückverweisung an den ermittelnden Staatsanwalt, der zusätzliche Ermittlungen einleiten muss;
 
Peter Michaeler hat sich nach der Verhandlung für das Urteil Zeit ausbedungen. Der Richterspruch und die Entscheidung werden aber noch im November erwartet.
Schon im Vorfeld war ein Verfahren wegen möglicher Wettbewerbsverzerrung gegen Markus Silbernagl und Günther Burger abgetrennt worden, in dem es um dieselben Vorfälle geht. Der Busunternehmer und der amtierende Ressortdirektor werden deshalb am 17. November wieder vor dem Richter für Vorerhebungen stehen.