Società | Videos

"Ich muss mich immer doppelt beweisen"

Auf Youtube zeigt Heidi der Welt, wie sie ihr Leben meistert. Die 16-Jährige ist mit nur einem Arm auf die Welt gekommen und sagt: "Wir sind alle nicht perfekt."

Auf den ersten Blick ist Heidi ein ganz normales Mädchen. Auch ein zweiter Blick verrät nicht, dass sie gar einiges von ihren Gleichaltrigen unterscheidet. Etwa, dass die 16-Jährige seit einigen Monaten einen Youtube-Kanal betreibt. Auf “One Left” zeigt die junge Unterlandlerin, wie sie ihr Leben meistert – und zwar mit links. Wörtlich. Denn Heidi ist mit nur einem Arm, dem linken, auf die Welt gekommen. Innerhalb eines halben Jahres hat sie bereits 14 Videos gedreht – mit ihrem Handy, ohne Hilfe. Knapp 400 Follower, also Abonnenten, hat “One Left”. Und Heidi will weiter machen.

Heidi, wie bist du dazu gekommen, einen eigenen Youtube-Kanal ins Leben zu rufen?
Heidi: Die Idee kam mir im Juli. Ich hatte viel Zeit, nachzudenken. Manchmal braucht es Zeit, um Ideen entwickeln und kreativ sein zu können. Ich habe selbst durch ein Youtube-Video gelernt, wie ich mir die Schuhe zubinde. Und da habe ich mir gedacht: Warum soll ich das nicht auch versuchen?

In deinem ersten Video findest du klare Worte für das, was du mit deinem Projekt erreichen willst.
Ja, meine Botschaft ist: Ich bin nicht perfekt. Und ich will zeigen, dass man alles schaffen kann, egal welches Handicap man hat. Das letzte, was ich will, ist Mitleid erwecken. Sondern zeigen: Es gibt Schwierigkeiten und man muss damit zurecht kommen.

Damit sprichst du wahrscheinlich mehr Leute an, als man vermuten könnte…
Es ist schön, wenn Menschen, die selbst eine Beeinträchtigung haben, zu mir kommen. Aber ich will sehr wohl auch andere erreichen. Denn wir sind schließlich alle ein Teil der Gesellschaft. Wenn ich das Denken verändern will, dann muss ich alle ansprechen.

Ich nicht, wenn jemand sagt: Wart, ich helf dir! Wenn ich Hilfe brauche, sage ich es schon.

Dadurch lässt du aber unglaublich viele Menschen unglaublich nahe an dich heran. Gerade auf Plattformen wie Youtube ist ein verletzender Kommentar schnell geschrieben.
Ja, mir wurde schon gesagt, ich solle aufpassen, weil es viele Leute gibt, die nicht gut denken. Denen versuche ich auszustellen. Aber momentan kann ich an keinen besseren Weg denken, wie ich meine Botschaft mitteilen könnte. Denn was wäre die Alternative zu den Videos?

Was wäre die?
Ja, ich könnte mich zurückziehen. Aber ich will mich zeigen, sagen: Hier bin ich! Ich bin auch ein Teil der Gesellschaft!

Was sagen deine Eltern dazu?
Sie sind beide stolz auf mich. Eigentlich waren die beiden diejenigen, die lernen mussten, mit meiner Situation klar zu kommen. Ich kenne es ja nicht anders und habe ihnen oft gesagt: Gebt nicht auf!

Das scheint dein Motto zu sein, wie man auch in den Videos sieht. Von Pizza backen bis Einrad fahren scheinst du alles zu meistern. Gibt es eigentlich irgendetwas, das dir heute noch schwer fällt?
Schwer tu ich mich zum Beispiel, einen Pferdeschwanz zu binden. Die ganz alltäglichen Sachen fallen mir schwerer und ich lerne sie langsamer. Aber nein, aufgeben kommt für mich nicht in Frage. Ich will mir selbst etwas beweisen. Und jedes Mal, wenn ich etwas schaffe, ist das ein Ansporn.

Ich muss mich immer doppelt beweisen und zeigen, dass ich eigentlich alles kann.

War das immer schon so?
Als Kind habe ich erst lernen müssen, meine Situation zu akzeptieren. Es war schon brutal, auch weil die anderen Kinder immer viele Fragen gestellt haben, wie zum Beispiel: Wo ist dein Arm? Gemobbt wurde ich aber nie, doch die Fragen haben schon oft genervt. Heute werde ich immer noch fast täglich auf meinen fehlenden Arm angesprochen. Aber je älter ich werde, desto selbstbewusster werde ich auch.

Ja, du wirkst wirklich sehr selbstbewusst.
Durch Youtube bin ich etwas selbstsicherer geworden. Denn eigentlich bin ich total schüchtern, auch wenn ich neue Leute kennen lerne. Wenn ich dann merke, dass sie nach einiger Zeit wissen, wie mit mir umgehen, dann geht auch alles viel einfacher. Also, es gibt schon Berührungsängste, aber von beiden Seiten. Denn ich will die Leute auch nicht ver- oder erschrecken.

Gibt es auch Menschen, die im Umgang mit dir weniger geschickt sind?
Ich mag zum Beispiel gar nicht, wenn jemand sagt: Wart, ich helf dir! Wenn ich Hilfe brauche, dann sage ich es schon. Manchmal wünsche ich mir mehr Feingefühl. Einmal, da hat etwa meine Chemie-Lehrerin daran gezweifelt, dass ich im Labor zurecht komme. Aber was ist da groß zu machen? Sachen hin und her tragen? Das schaffe ich schon. Damals habe ich mich aber ein bisschen minderwertig gefühlt. Aber es gibt auch die andere Seite.

Ich könnte mich zurückziehen. Aber ich will mich zeigen, sagen: Hier bin ich!

Welche denn?
Dass ich aufgrund meiner Situation bevorzugt werde, oder es mir unterstellt wird. Daher fallen mir auch Neuanfänge schwer. Ich muss mich dann immer doppelt beweisen und zeigen, dass ich eigentlich alles kann. Ab Mittwoch (2. Dezember, Anm. d. Red.) werde ich zum Beispiel auf eine neue Schule gehen. Und bin sehr nervös deswegen. Aber hätte ich mich nicht dafür entschieden, dann würde ich mich immer fragen: Was wäre gewesen, wenn…

Also zuerst einmal die Schule abschließen – und dann? Wie schauen deine Pläne für die Zukunft aus?
Was ich beruflich machen will, da bin ich mir noch nicht sicher. Schriftstellerin wollte ich einmal werden, oder vielleicht doch lieber im Labor arbeiten? Aber man kann ja alles werden… Was ich unbedingt machen will, ist den Führerschein. Und ein professionelleres Equipment für meine Youtube-Videos zulegen.