Società | Gastkommentar

Die Bauern mit dem grünen Keil

Auf keinem Fleckchen Bauerngrund Südtirols wachsen täglich mehr Bauernfeinde nach als auf diesem, keinen Kilometer langen Weingartenweg, der bis vors Bozner Spital führt.
Grieser Grünkeil
Foto: Othmar Seehauser

Es drängt mich, wieder einmal etwas für die Bauern zu schreiben. Etwas, was ihnen hilft, auch wenn sie es selber anders sehen. Ist mir schon oft passiert. Immer will ich nur ihr Bestes, aber sie – besser gesagt, ihr Bund – immer trotzig zurück: Geben wir dir nicht.

Sei’s drum, diesmal versuch ich’s über den gebenedeiten „Grieser Grünkeil“ und das verweigerte Durchgehrecht durch ihn. Die neu aufgeflammte Polemik rund um ein zusätzlich angebrachtes Sperrgitter liefert mir den aktuellen Anlass dazu. Es ist ein Jahrzehnte altes Stück zwischen Bauern und Stadlern um Recht und Billigkeit, Bürgersinn und Besitzertrotz, letztlich ums vernünftige Miteinander. Die Bauern, wahrheitsgetreuer benannt Grundbesitzer, sagen, der Weinbergweg gehört ihnen, sie haben die Spesen und tragen die Verantwortung. Die Stadtler halten dagegen: Wir sind hier immer gegangen, gelaufen und Rad gefahren, seit je schon, das ist unser kürzester Weg zum Krankenhaus, und von wegen Spesen, schaun wir dann. 

Alles wahr. Und alles Mist. Unleugbar ist eines: Auf keinem Fleckchen Bauerngrund Südtirols wachsen täglich mehr Bauernfeinde nach als auf diesem keinen Kilometer langen Weingartenweg, der von Gries durch die Apfel- und Rebgüter bis vor das Bozner Spital führt. Immer ist hier spaziert und Rad gefahren worden. Jedenfalls seit 50 Jahren. Es war, mit dem Eisenkellerweg, die Promenade von Gries. Ein Radweg aus der Zeit, als es solche ausgewiesener Weise noch gar nicht gab. Und, am wichtigsten, seit das Landeskrankenhaus dort seinen Sitz hat, also 70er Jahre, für alle Nicht-Autofahrer der nächste und bequemste Weg dorthin. 

 

Eine Gewohnheit hatte sich durchgesetzt, und dass aus Gewohnheit nicht Recht werde, hat sich das Konsortium aus Bauern, dem die Wege gehören, immer wieder etwas einfallen lassen. Schranken wurden angebracht, so dass zumindest schwere Motorräder nicht durchkamen. Lang blieb aber doch eine kleine Schamöffnung, so dass wenigstens Fußgänger und geschickte Radfahrer durchschlüpften. Den Grund- und Wegbesitzern war das allmählich der Strenge zu wenig. So verhängten sie das Wege-Ende vor dem Spital von Mal zu Mal mit schwereren und höheren Barrieren. Bis sie, vor ein Paar Jahren den Zugang zum Spital vollends verriegelten. Hindurch kommt nur mehr, wer den Schlüssel dazu hat, als da sind: Bauern, anrainende Villenbesitzer und wem diese aufsperren. 

Leicht vorhersehbar die Wut der Ausgesperrten. Es ist nicht irgend ein Konsortialweg, der da weggesperrt wird. Es ist der Gewohnheitsweg vom bevölkerungsreichsten Stadtviertel Bozens (Europa-Don Bosco) zum Krankenhaus. Und was tut das Bauernkonsortium, beraten vom Bauernbund: Anstatt dem Zorn der vielen, die „im Fehl“ den Weingartenweg nehmen und am eisernern Vorhang unmittelbar vor dem Krankenhaus kehrt machen müssen, die Spitze zu nehmen, sperrt es den Weg mit einem Eisengitter auf seiner ganzen Länge. Städter ausgesperrt, Grieser Grünkeil selbstbestimmt. 

Den Besuchsweg der Bozner zu ihrem Spital zu sperren, ist dem Bauernstand wert, halb Bozen gegen sich aufzubringen? Kein gutes Geschäft

Und der Bauernbund: Ich sprach Bauernbund-Obmann zweimal auf die landespolitische Brisanz des Falles Sperrung des Weingartenwegs an. Das erste Mal (in seiner Kellerei Tramin) wusste er davon nicht, das zweite Mal (im Waltherhaus) brach er das Gespräch ab. Der Bauernführung fehlt offenbar jedes Gespür dafür, wie selbstschädigend ihr stures Beharren auf  Rechten ist, die von der Wirklichkeit überholt sind. Sie hält Einsicht für Schwäche. Einem Justamentstandpunkt opfert sie das große Ganze. 

Was ist das größte Kapital der Südtiroler Bauern, frage ich gern ihre Funktionäre. Ich muss dann die Frage immer selber beantworten. Nein, es sind nicht mehr nur Grund und Boden, das größte Kapital unserer Bauern ist der immer noch große Konsens in der nichtbäuerlichen Bevölkerung. Der unverhältnismäßig große Konsens, füge ich hinzu. Denn nichtbäuerlich ist die große Mehrheit. Wir mögen unsere Bauern, sind es selber, eine Generation zurück und fast jeder und jede von uns ist zumindest mit einem Fuß schon in einem geschlossenen Hof drin. Wir nachgeborene nichtbäuerliche Mehrheit, nein!, wir drohen nicht, aber die Bauern von heute sind gut beraten, ihren Minderheitenbonus nicht zu überstrapazieren. Ob das Pestizid-Spritzen im Obstbau, der Gülle-Einsatz in der Grünlandwirtschaft, die Urlaub-auf-dem-Bauernhof-Praxis, es gibt Grenzen, und das Argument „Wir waren zuerst da“ deckt nicht mehr alles.

Die Weingarten-Sperre ist die geringfügigste Grenzüberschreitung mit der Keule vom Bauernrecht. Aber es ist eine höchst symbolträchtige und deshalb gefährliche. Es ist kein Waldweg, keine wild gewordene Kuh springt von irgendwo heraus (weil so sehr mit Haftung Angst gemacht wird), Äpfel und Trauben stehlen geht auch kaum jemand mehr, ein bisschen weniger Ruh haben die Anrainer, ja – aber es ist der Besuchsweg der Bozner zu ihrem Spital. Und den zu sperren, ist dem Bauernstand wert, halb Bozen gegen sich aufzubringen? Kein gutes Geschäft.

Die Bauern und Bozen. Die „Dolomiten“ haben Vizebürgermeister Luis Walcher zu Sache befragt. Der sonst gar nicht wortfaule Multifunktionär, gern auch Bürgermeister von Gries betitelt und selber wohnhaft „im Grünkeil“, wollte zur neu entflammten Polemik auffallend nichts sagen und schob die Sache auf seinen Kollegen von der Mobilität, Stefano Fattor, ab. Auch solchen Kompetenzverzicht kennt man von dem Gerne-alles-Macher eigentlich nicht. Die Brisanz scheint ihm bewusst zu sein. Das zumindest. Und sonst – ist dem wendigen Grünkeiler das Bauernhemdl halt doch näher als seine vielen Gemeinderöcke.