„Lebe im Verborgenen!“
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SALTO: Wenn man Ihren Namen in Suchmaschinen eingibt, findet man nur sehr wenige Nachrichten. Möchten Sie "im Verborgenen" leben?
Guido Gorna: Dahinter steckt keinerlei Absicht, auch wenn ich überzeugt bin, dass eine gesunde Skepsis allem gegenüber, was aus dem Internet kommt – oder eben nicht kommt –, immer ziemlich gesund ist, zumindest empfehlenswert!
Oder anders: Ist es nicht befreiend, wenn im weiten (und mindestens genauso beliebigen) www-Kosmos nicht allzu viel über einen steht?
Epikurs „Lebe im Verborgenen!“ zu folgen oder nicht, möge jede/r für sich selbst entscheiden. Mir ist das Diktum jedenfalls sehr sympathisch…Können Sie uns ein wenig über Ihre Biografie erzählen?
In aller Verborgenheit ;-) … kann ich Ihnen sagen, dass meine Eltern (Vater in Mezzolombardo geboren, meine Mutter in Trieste) sich in München kennenlernten. In der Nähe der bayerischen Landeshauptstadt geboren, ging ich dort auch in die Schule und studierte später Kirchenmusik an der Münchener Musikhochschule mit den Hauptfächern Orgel, Chorleitung und Improvisation. Nach zwei Jahren als Kirchenmusiker in einer Gemeinde, fing ich bei einer Plattenfirma an zu arbeiten, bevor ich 2002 dann zu ECM Records wechselte. Hier arbeite ich heute noch und betreue die ganze Musikproduktion, in enger Zusammenarbeit mit dem Gründer des Labels. Manfred Eicher. ECM produziert Musiken, die sich starrer Kategorisierung weitestgehend entziehen. Neben der notierten („klassischen“) Musik wird vor allem improvisierte Musik („Jazz“) veröffentlicht. Die Zusammenarbeit mit den vielen Musikern, oft auch bei den Aufnahmen im Studio, ist faszinierend wie fordernd. Der Austausch, die Gestaltung der Musik und die Arbeit an den Veröffentlichungen all dieser großartigen Musiker ist spannend wie am ersten Tag, auch weil bei diesem Label – immer noch eine Art kleines gallisches Dorf im ganzen Musik-Industrie-Zirkus – die Musik und die absolute Klangqualität bis zum heutigen im Mittelpunkt stehen.
Zuletzt war ich mit dem Danish String Quartet im Studio, und davor mit einem Jazz-Quartett mit Arve Henriksen, Trygve Seim, Anders Jormin und Markku Ounaskari. Gleichzeitig sind neue Aufnahmen mit Gidon Kremer und András Schiff wie auch Keith Jarrett u.v.m. in Vorbereitung.
Daneben gründeten meine Frau Anna Gourari und ich 2019 in München eine Konzertreihe namens MUSICAÈ, auch deshalb, weil in München (und nicht nur in München) der Mainstream überhand genommen hat – vor allem in der sehr kommerz-lastigen Programmation. Zwar gibt es auch in München wenige Ausnahmen, doch das Gros machen die Abo-Reihen der vier (!) großen subventionierten Symphonieorchester aus und die Staatsoper. Dazwischen macht sich seit Jahren eine große Leere breit. Unser Ziel und Impetus ist es, namhaften Musikern die Möglichkeit zu geben, in München besondere Programme in kammermusikalischem Rahmen vorzustellen. Mitte Februar erst hatten wir beispielsweise Gidon Kremer mit seinem Trio in einem ausverkauften Saal zu Gast, und zwar mit einem Programm, in dem er neben dem großen Es-Dur-Trio von Schubert ausschließlich zeitgenössische Musik vorstellte. Eine Implosion der Zeit heraufbeschwörend, forderten die Musiker das Äußerste an Aufmerksamkeit – und die Stille, die sich einstellte, machte die Hörer zu regelrechten Komplizen in der Musik. Solche Erfahrungen bestärken uns in dieser doch sehr idealistischen Unternehmung. -
Was ist Ihre künstlerische und kulturelle Vision für das Programm von Kultur Kontakt Eppan?
Von Vision möchte ich nicht sprechen. Das Wort wäre viel zu groß. Es ist schlicht eine sehr schöne Idee, die ich zusammen mit dem KulturKontakt in Eppan und kunstsinnigen wie ausgesprochen musikaffinen Vorsitzenden des Vereins, Alois Lageder, verfolge. Für mich ist Südtirol teils Heimat, teils eine Oase, nach der ich mich im fernen München immer wieder sehne. Die Besonderheit an der Konzertreihe von KulturKontakt ist die Verbindung wunderbarer Konzertorte mit hochqualitativer Musik. Nirgendwo hat man so viele wunderbare, inspirierende Orte für die Konzerte, wo all die Musiker, wie András Schiff, Heinz Holliger, Pierre-Laurent Aimard, das Zehetmair Quartett, Nils Mönkemeyer, Rolf Lislevand u.v.m., nach ihren Konzerten nichts weniger als begeistert sind. Für die allermeisten gehören die großen Säle dieser Welt zu ihrem „täglich Brot“, doch an solchen intimen Orten voller Atmosphäre fühlen sie das Besondere. Und jeder Hörer und jede Hörerin kommt hier in den Genuss, große Musik(er) in aller Unmittelbarkeit erleben zu können.
Nach welchen Kriterien wählen Sie die Künstler aus, die Sie einladen?
Auswahlkriterien als solche könnte ich jetzt keine aufzählen. Meine Hoffnung ist nur, immer wieder außergewöhnliche Musiker mit interessanten Projekten zu finden, die nicht nur Routine abspulen, sondern etwas Besonderes „zu sagen“ haben. Ich empfinde es nämlich als eine außerordentliche künstlerische Gabe, das, was in der Musik „zwischen den Zeilen“ steht, so zu vermitteln, dass die Hörer es verstehen und von diesem Etwas im Innersten bewegt zu werden.
Darin liegt meiner Meinung nach auch die Zukunft der (vielleicht nicht nur?) klassischen Musik, dass die Musik (wieder) unmittelbar erlebbar gemacht wird. Die Hörer sollen das Gefühl haben, fast taktil in Berührung kommen zu können mit dem, was Musiker aus Ihren Instrumenten zaubern – kein Bildschirm zwischen Musiker und Hörer, kein Riesensaal, in dem Musiker erst die Distanz überwinden müssen, um beim Hörer anzukommen.
Es verhält sich so ähnlich wie mit der „Untugend“ unserer Tage, ständig und von allem Fotos und Videos schießen zu müssen – wer möchte da nicht einmal laut rufen: „Legt die Smartphones weg! Glaubt euren Augen, traut euren Ohren!“ Sie sind es nämlich, die die Wirklichkeit für uns Menschen wahrnehmen – und zwar filterlos!
Ohne jetzt besserwisserisch wirken zu wollen: Kein Gerät dieser Welt kann den Eindruck vermitteln, den man beim Anblick eines Berges empfindet. Keine Maschine dieser Welt wird die Eindringlichkeit ersetzen, die man verspürt, wenn man Musik aus nächster Nähe live erlebt. -
Ein wichtiger Aspekt unserer Reihe in Eppan ist auch die Förderung der musikalischen Jugend. Wir veranstalten Konzerte mit Nachwuchstalenten aus Südtirol und auch im Austausch mit jungen heranwachsenden Musikern aus anderen Ländern. Jährlich vergeben wir zudem das Heinrich-von-Mörl-Stipendium an ein vielversprechendes junges musikalisches Talent, benannt nach dem Mitbegründer von Kultur Kontakt Eppan. 1996 entstanden, wollte und will der Verein KulturKontakt Eppan Menschen jeglichen Alters und jeglicher Herkunft unter dem Dach der Kultur zusammenführen und das Kulturbewusstsein fördern. Dabei ging – und geht – es nicht nur um Musik allein, wenngleich sie die tragende Säule darstellt. Literatur und Tanz sind weitere Disziplinen, die wieder mehr und mehr zum Tragen kommen werden.
Stimmen Sie mit Dostojewski überein, dass "die Schönheit die Welt retten wird”?
So sehr ich Dostojewskis Werke bewundere… aber mit Schönheit allein wird man diese Welt nicht mehr retten können. Zumindest nicht in dieser Zeit, in der die Schnelllebigkeit uns Menschen zu kleinen oder größeren Rädchen in einem Getriebe macht, das bald selbst nicht mehr weiß, wohin es treibt. In dieser Rastlosigkeit, so scheint es mir, bleibt keine oder kaum Zeit für Schönheit.
Sollten wir Menschen uns aber eine gewisse Langsamkeit wieder zurückerobern und der ewigen Eile Einhalt gebieten können, dann wird sich vielleicht der Blick und die Aufmerksamkeit für die Schönheit und das Schöne wieder öffnen.
Ich hoffe sehr, dass wir in Eppan mit den einzigartigen Konzertorten und den außergewöhnlichen Musikern es doch schaffen werden, immer mehr Hörern genau dieses zu ermöglichen – auf dass Dostojewski doch Recht behalten möge! -
Nächster Termin – 04.03.2024
Arcadi Volodos, Klavier
Kultursaal Eppan - 20.00 Uhr
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