Städte klimafit planen

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Auf der ganzen Welt haben Städte ein gemeinsames Problem: die Bodenversiegelung. Bebauung und Asphaltierung verhindern, dass Regenwasser versickern kann, was einerseits zu Überschwemmungen und andererseits Hitzeinseln führt. Durch den Bodenverbrauch leiden Pflanzen und Tiere gleichzeitig unter dem Verlust natürlicher Lebensräume immer weiterwachsender Ballungszentren. Doch es gibt Lösungen: Städte setzen vermehrt auf begrünte Dächer, durchlässige Bodenbeläge und renaturierte Flächen, um das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen. Diese Maßnahmen helfen nicht nur der Umwelt, sondern verbessern auch die Lebensqualität der Menschen – mit mehr Grünflächen, sauberer Luft und angenehmeren Temperaturen. Genau diese Entwicklung will ein Südtiroler mit seinem Unternehmen unterstützen. Das Ziel: Städte durch genaue Berechnungen zu Wetterereignissen bzw. Regenmenge und Hitzeinseln möglichst vor klimatischen Herausforderungen schützen und Ingenieuren ein dementsprechendes, einfach zu bedienendes Tool zu bieten.
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Innovation made in Südtirol
An einem rechteckigen Tisch inmitten eines von Glaswänden umgebenen Raums im NOI Techpark in Bozen sitzen zwei Herren. Das neu gegründete Unternehmen von einem der beiden hat hier im Innovationsviertel ein Büro und will hoch hinaus. Klaus Kornprobst heißt der Gründer von „OpenTerra“. An seiner Seite sitzt Dietmar Siegele vom Unternehmenspartner Fraunhofer Italia. Der 43-jährige Kornprobst ist kein Neuling in Südtirols Unternehmerlandschaft: Mit seiner Firma ClimaGrün forscht er bereits seit über 20 Jahren an Gründach- und Fassadensystemen sowie deren Produkt- und Systementwicklung.
2018 entwickelte ClimaGrün ein Gründachsystem mit integriertem Dünnschichtwasserspeicher, für das europaweit ein Patent erteilt wurde. Schnell wurde klar, dass die Projektierung effizienter gestaltet werden muss, um den steigenden Anforderungen an Finanzen, Zeit und Qualität gerecht zu werden. ClimaGrün begann daher mit der Entwicklung softwaregestützter Nachweise und Automatisierungslösungen, um den Planungsprozess zu optimieren. Parallel zur Entwicklung von ClimaGrün arbeitete Fraunhofer an einem Planungstool mit integriertem Chatbot. Kornprobst und Siegele erkannten sofort das Potenzial, diese Technologien zu verschmelzen. Die Idee: Eine cloudbasierte Plattform, die ökologische Planungen mit digitalen Simulations- und Planungstools kombiniert – unterstützt durch einen intelligenten Chatbot. -
Südtiroler Start-up-Kultur
Der NOI Techpark fungiert als Innovationsviertel in Südtirol. Derzeit sind dort 80 Unternehmen und 36 Start-ups angesiedelt. Start-ups und angehende Gründerinnen und Gründer können sich das ganze Jahr für die Aufnahme in den Start-up Incubator bewerben. Zweimal im Jahr kommt eine Aufnahmekommission zusammen, um die Anträge zu bewerten. OpenTerra schaffte den Sprung im vergangenen Februar.
Dieser Schritt lohnt sich, im NOI erhalten die jungen Unternehmen viel Unterstützung: Im Rahmen des Inventors & Pre-Incubation Programme werden angehende Gründerteams und kreative Erfinder einige Monate lang intensiv in der Weiterentwicklung ihrer Geschäfts- beziehungsweise Produktidee und im Aufbau des eigenen Business unterstützt. Im Incubation-Programm werden bereits gegründete Start-ups bis zu drei Jahre lang betreut: mit Beratungen, Workshops, Coachings, Pitch Trainings, der Vernetzung mit Investoren und Mentorinnen und vielem mehr. Die aufgenommenen Start-ups können ein Büro im NOI anmieten und von der Nähe zu Gleichgesinnten, Forschenden und Unternehmen, kurz zu einer Innovationscommunity von 2.400 Personen profitieren. Das Acceleration & Scale-up Programme richtet sich an bereits konsolidierte Start-ups und Spin-offs, die den nächsten Wachstumsschritt anstreben. Im Alumni-Programm schließlich werden ehemals inkubierte Start-ups weiterhin betreut und vernetzt.
All dies fruchtet in Erfolg, so haben bereits einige Start-ups, die im Techpark angesiedelt waren, ihre Reifeprüfung bestanden und sich in erfolgreiche Unternehmen entwickelt. So zum Beispiel CAEmate. Die beiden Gründerbrüder Massimo und Matteo Penasa sind als Zwei-Mann-Team im NOI gestartet und sind nun als innovatives Unternehmen mit mehr als 40 Mitarbeitenden erfolgreich.Foto: Wud/Noi Techpark -
Die Gründung von OpenTerra
Dank der bereits bestehenden Technologie stand der Gründung des Unternehmens OpenTerra im Jahr 2021 nichts mehr im Weg. Die Vision war es, eine digitale Plattform, die Wissen, Simulationen und automatisierte Berechnungen für ökologische Gebäudekonzepte vereint, zu schaffen und Fachplanern weltweit ein leistungsstarkes Werkzeug bereitzustellen, das komplexe ökologische Themen verständlich und effizient planbar macht. „Mit OpenTerra wollen wir uns vollständig auf Gebäude, deren umliegende Freiflächen sowie auf ökologische und technologische Konzepte fokussieren“, erklärt Kornprobst. In der ersten Projektphase liegt der Fokus auf Regenwasserbewirtschaftung für Gebäude und Freiflächen, einschließlich der Planung von Schichtaufbauten, Belägen und Vegetationen. Dabei ermöglicht OpenTerra Fachplanern einen einfachen Zugang zu relevanten Informationen und Berechnungen, die direkt mit den geltenden gesetzlichen Richtlinien verknüpft sind.
Wie eingangs erwähnt, wird die zunehmende Versiegelung urbaner Flächen weltweit immer mehr zum Problem. Durch die Häufung von Starkregenereignissen und den damit verbundenen Überschwemmungen sowie steigenden Temperaturen werden Grünflächen, die Wasser aufnehmen und die Luft kühlen, immer wichtiger. Eine durchdachte Begrünung von Gebäuden kann zudem die Innenraumtemperatur senken und so den Energieverbrauch für Klimaanlagen reduzieren. Beim Bau neuer Gebäude spielt auch der Bodenverbrauch eine zentrale Rolle. Durch begrünte Flächen auf Dächern oder Fassaden kann dieser teilweise ausgeglichen werden.
Beim Markteintritt von OpenTerra im Herbst 2025 wird das Produkt zunächst mit einem Tool zum Wassermanagement an den Start gehen. Ein integrierter Regenwassersimulator zeigt in Echtzeit, wie Wasser bei Starkregenereignissen von der geplanten Grünfläche aufgenommen, gespeichert oder abgeleitet wird. Gleichzeitig werden im Hintergrund präzise Daten zur Statik, Wasseraufnahmefähigkeit und Bewässerungsbedarf generiert. In einer zweiten Phase will sich Kornprobst mit seinem Team auch einer Hitzeinselsimulation widmen, um auch diese Herausforderung für Planer zu vereinfachen.„Es geht uns vielmehr darum, Städte lebenswerter zu machen.“
Das Ziel: Bereits bei der Planung eines Projekts – sei es ein Neubau, eine Sanierung oder eine andere Baumaßnahme – soll das Wassermanagement und der Grünflächenausgleich analysiert werden. Dabei bleibt die Software produktunabhängig. Architekten und Ingenieuren soll ein einfacher Zugang zu relevanten Informationen zum Thema Regenwassermanagement durch Grünflächen ermöglicht werden. „Unsere Software liefert ein fertiges Konzept, das ein Planer direkt für die Genehmigung des Projekts verwenden kann“, betont der Gründer. Ein weiterer großer Vorteil zeigt sich in der Versicherungsbranche: Neue Gebäude müssen in der Regel für einen Zeitraum von 20 Jahren versichert werden, wobei Schutzmaßnahmen gegen Starkregenereignisse zunehmend gefordert werden.
Obwohl Begrünung in Städten auch einen Nachhaltigkeitsaspekt hat, sieht Kornprobst dies nicht als den zentralen Fokus seines Unternehmens. „Es geht uns vielmehr darum, Städte lebenswerter zu machen und sie für zukünftige Herausforderungen zu wappnen. Wir tragen aktiv dazu bei, Starkregenereignissen und künftig auch Hitzeinseln in urbanen Räumen entgegenzuwirken – für klimaresiliente, lebenswerte Städte.“
Ein optimiertes Wassermanagement bedeutet dabei beispielsweise, dass möglichst viel Regenwasser vor Ort gespeichert und für die Bewässerung genutzt wird. So kann der Trinkwasserverbrauch für Gärten reduziert werden, da mehr Regenwasser zur Verfügung steht. Nicht genutztes Wasser soll hingegen versickern und ins Grundwasser zurückgeführt werden – anstatt ungenutzt in die Kanalisation abzufließen. -
Weltweit einzigartig
Klaus Kornprobst ist sich sicher: Eine vergleichbare Technologie wie die von OpenTerra gibt es noch nicht, weswegen er internationales Potenzial sieht. Er und Fraunhofer setzen vor allem auf einfache Bedienung und Benutzerfreundlichkeit, Attribute, die ähnlichen Programme, die meist lediglich Tabellen voller Daten ausspucken, nicht aufweisen. Der Planungsprozess startet mit einer CAD-Zeichnung, die in das Programm von OpenTerra importiert wird. Anschließend kann der Bauort definiert und das Modell als 2D- oder 3D-Version bearbeitet werden. Nutzer können Flächen auf Dächern und in der Umgebung modellieren, Unterschiedliche Schichtaufbauten, Beläge und Vegetationen definieren sowie Berechnungen von Entwässerung, Versickerung, Drosselung, Wasserspeicher, Wasseraufnahme, Bewässerungsbedarf und Wasseraufbereitung laut Blockregendaten oder Regenlangzeitsimulationen gekoppelt an Normen. Aus den entstehenden Daten generiert die Software dann Reports, Berichte und Nachweise sowie 2D-Pläne mit allen grafischen Elementen, die der Ingenieur braucht, um sein Projekt genehmigen zu lassen.
Um den Kunden weiter zu unterstützen, ist das Produkt mit einen integrierten Chatbot namens „Olaia“ gekoppelt. Dieser liefert eine umfassende Beratung zur Regenwasserbewirtschaftung und ist direkt mit den Simulationsergebnissen verknüpft. In Zukunft wird Olaia weiterentwickelt, sodass Nutzer nur noch die relevanten Vorgaben und Planungsziele eingeben müssen und die Software daraufhin automatisch einen optimierten Entwurf erstellt.Ab September dieses Jahres soll die Software verfügbar sein – zu einem monatlichen Lizenzpreis von circa 170 Euro. In den ersten zwei bis drei Jahren rechnet das Unternehmen mit rund 2.000 Nutzern, verteilt auf 400 bis 500 Planungsbüros, vor allem in Deutschland und der Schweiz, aber auch in Österreich und Italien. Sobald dieses Ziel erreicht ist, soll die Internationalisierung vorangetrieben werden. Fraunhofer wird das Projekt langfristig wissenschaftlich begleiten, um die Technologie kontinuierlich weiterzuentwickeln.