Cronaca | Tenti-Prozess

Opfer oder Täterin?

Die Staatsanwaltschaft fordert zweieinhalb Jahre für Katia Tenti und Antonio Dalle Nogare. Tentis Verteidiger versucht, aus der Ex-Ressortdirektorin ein Opfer zu machen
tenti_1.jpg
Foto: Salto.bz
Viereinhalb Stunden redet Giancarlo Bramante. Ganz am Ende seines Schlussplädoyers steht wie üblich die Forderung der Strafzumessung. „Man muss hier von einer gemeinschaftlichen Tat ausgehen, deshalb muss für beide Angeklagte dasselbe Strafmaß gelten“, sagt der leitende Staatsanwalt. Dann fordert er 2,5 Jahre sowohl für die ehemalige Ressortdirektorin Katiusca Tenti als auch für den Bozner Unternehmer Antonio Dalle Nogare.
Giancarlo Bramante hat zuvor noch einmal die gesamte Geschichte des Falles vor dem Richtersenat Revue passieren lassen. Dabei setzt der Oberstaatsanwalt auf Fakten und nicht auf Emotionen.
Sachlich, technisch detailliert und mit einer Nüchternheit, die man selten in einem Gerichtssaal findet, seziert er die fast 2.000 Seiten Ermittlungsakten.
Nur ganz selten wird Bramantes Stimme dabei etwas lauter. Es sind bewusst gesetzte Zeichen.
Etwa dann, wenn er über das „grauenhafte Verhalten“ von Katia Tenti in den Telefonabhörungen spricht, als sie den abhörenden ROS-Beamten mit Namen begrüßt. Bramanate lässt hier durchblicken, dass die Angeklagte, die beste Kontakte zu hohen Justizkreisen hat, über die Ermittlungsschritte vorab informiert wurde.
Bramante korrigiert auch das Bild der öffentliche Figur Katiusca Tenti, das diese mit viel Geschick bei der eigenen Anhörung im Gerichtssaal selbst gezeichnet hatte. Tenti hatte die bescheidene, fleißige Beamtin gespielt, die nur das tat, was ihr vorgesetzter Landesrat Cristian Tommasini von ihr verlangt habe. Der Staatsanwaltschaft verweist darauf, dass Tenti die rechte Hand des Landehauptmannsstellvertreters war und ihre Macht und ihren Einfluss überall spielen ließ, wo es nur ging. Tenti sei kein Opfer, sondern eine Macherin.
 
 
Es sind vor allem zwei Trümpfe, auf denen der Chefermittler seine Anklagerede aufbaut: Zum einen die digitale Forensik. Hier konstruiert der Staatsanwalt lückenlos den Weg nach, den die internen und unter Amtsgeheimnis stehenden Dokumente und Ausschreibungsunterlagen vom Wohnbauinstitut über Tenti zu ihrem Lebensgefährten Antonio Dalle Nogare gefunden haben. Aber auch, wie Dalle Nogare die Ausschreibung zu seinen Gunsten verändert hat. Die erhobenen Beweise lassen hier kaum Spielraum für eine vernünftige Verteidigungsstrategie. Denn die Staatsanwaltschaft zeichnet auch nach, wie das Duo Tenti/Dalle Nogare bewusst und konsequent die Ermittler in die Irre führen wollte, dabei aber nicht an den Trojaner dachte, der im Laptop des Bauunternehmers versteckt war.
Giancarlo Bramante tut in diesem Verfahren aber auch einen Schritt, den ihm wohl die wenigsten zugetraut hatten. Die Verteidigung hatte den Bozner Ingenieur Hansjörg Letzner als Gutachter aufgeboten. Letzner erklärt in seinem Gutachten ernsthaft, dass die Änderungen in der Ausschreibung nötig waren, um den Wettbewerb zum Bau der 100 Mittelstandswohnungen überhaupt durchführen zu können, und dem Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare keinerlei ökonomische Vorteile brachten.
Der Staatsanwalt hatte den Gutachter der Verteidigung bei der Anhörung vor drei Wochen regelrecht zerlegt. Bramante legte plötzlich Detailkenntnisse an den Tag, die jeden Ingenieur erblassen lassen. Der Staatsanwalt dürfte sich dabei von einem Insider beraten haben lassen. Denn auch im Schlussplädoyer führt Bramante genau aus, dass die Änderungen vor allem beim Bau der Tiefgaragen zu Einsparungen führten, die am Ende in Millionenhöhe gehen. Etwa beim Brandschutz oder auch bei der Grundwasserisolierung. Phasenweise klingt Baramante dabei wie ein Techniker, nicht wie ein Staatsanwalt.
Der Staatsanwalt skizziert in seinem Schlussplädoyer ein System der illegalen Zusammenarbeit zwischen der Ressortdirektorin und dem privaten Bauunternehmer, das er mit wenigen Schlagworten umschriebt: „Dare, fare ed avere“.
 

Die Opfertheorie

 
Fabrizio Francia ist nicht zu beneiden. Der Verteidiger der Angeklagten Katiusca Tenti ergreift am Donnerstagnachmittag nach dem Staatsanwalt das Wort. Die Stoßrichtung seiner Plädoyers wird schnell klar.
Katia Tenti sei ein mehrfaches Opfer. Zum einen habe die hohe Landesbeamtin nicht gewusst, dass die Ausschreibungsunterlagen zufällig auf dem Laptop ihres damaligen Lebensgefährten Antonio Dalle Nogare gelandet seien, und zum anderen habe der Bauunternehmer ohne  diese Insiderinformationen ihr Wissen genützt. Vor allem aber sei die ehemalige hohe Landesbeamtin Oper der Politik geworden.
Der Hintergrund: Weil im Herbst 2013 Landtagswahlen anstanden, Landesrat Cristian Tommasini aber in Sachen Mittelstandswohnungen nichts Konkretes zu bieten hatte, machte der PD sowohl auf Landesebene wie auch in der Gemeinde Bozen Druck, damit diese Ausschreibung noch vor den Landtagswahlen veröffentlicht werde. Die Argumentation der Verteidigung: Katiusca Tenti habe nur politische Vorgaben umgesetzt.
Der Haken an diese Sache: Fabrizio Francia kann kaum erklären, warum Tentis Einsatz für das Dalle-Nogare-Projekt nach den Landtagswahlen - und nachdem die Ausschreibung veröffentlicht wurde - noch einmal deutlich zugenommen hat.
 
 
Äußert verärgert merkt Francia aber auch an, dass die Staatsanwaltschaft erst ganz am Ende des Prozesse die Karte der Kosteneinsparung in Sachen Brandschutz und Tiefgarage gezogen hat. Man merkt es, dass Bramante damit die Verteidigung auf dem falschen Fuß erwischt hat.
Es ist fast schon komisch, wenn Francia immer wieder auf Zufälle hinweist oder die Ungeschicktheit und Unwissenheit seiner Mandantin bemüht. Stundenlang wurden in diesem Verfahren abgehörte Gespräche abgespielt, in denen eine ganz andere Katiusca Tenti zu hören war. Eine Frau, die weiß, was sie will und was sie tut.
Dennoch stellt Francia seine Mandantin jetzt als Opfer hin. Als Opfer der Politik, als Oper ihres Lebensgefährten und dessen unternehmerischer Interessen. Als Opfer der Medien. „Es ist absurd, dass ich hier jemand gegen den Vorwurf der Verletzung des Amtsgeheimnisses verteidigen muss, der Opfer genau dieser Straftat geworden ist“, spielt Francia etwa auf die detaillierte Salto-bz-Berichterstattung zum Fall Tenti an (bei der indes keine Amtsgeheimnisse verletzt wurden)
Auch der Verteidiger weiß aber, dass die Beweislage eindeutig gegen seine Klientin spricht. So fordert Fabrizio Fancia ganz am Ende zwar einen vollen Freispruch für Katiusca Tenti, doch im Laufe seine Schlussplädoyers versucht er mehrmals, den Richtern einen Notausgang aufzuzeigen: die Abschwächung des Strafbestandes auf Fahrlässigkeit. Dann könnte Tenti mit sechs Monaten bedingter Haft davonkommen.
 

Antonios Hilfe

 
Antonio Dalle Nogare hat als Angeklagter im Verfahren von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Am 3. April 2015 hat der Bauunternehmer aber einen achtseitigen Verteidigungsschriftsatz hinterlegt, in dem er genau jene Richtung einschlägt, die Tenti-Verteidiger Fabrizio Francia in seinem Plädoyer vorgegeben hat. Dalle Nogare versucht, seine eigene Verantwortung abzuschwächen und Tenti gleichzeitig zu entlasten. Demnach hätte diese von der Weitergabe der Dokumente erst im Nachhinein erfahren.
 
 
Am Freitagvormittag wird Dalle Nogare Verteidiger Carlo Bertacchi das Wort ergreifen. Es ist abzusehen, dass Bertacchi versuchen wird, die Position seines Klienten deutlich von Katiusca Tenti zu trennen. Nur so könnte der renommierte Bozner Bauunternehmer am Ende mit einem blauen Auge davonkommen.
Das Urteil wird für Freitagabend erwartet.