Società | Tourismus

Suche nach Ruhe

Verkehr und Tourismus und globale Trends: Wie will sich ein Land wie Südtirol eigentlich zukunftsfähig machen?
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
pragser_wildsee.jpg
Foto: Michael Demanega

Die öffentliche Diskussion rund um die "saubere Luft" in Südtirol hat auch ihr Gutes. Südtirol stellt sich verstärkt die Frage, wie die eigene Außenwahrnehmung sein soll und was dieses Land in Zukunft charakterisieren soll und wird. Während man sich um die "saubere Luft" in der Landwirtschaft seine Sorgen macht, scheint die Debatte rund um Luft und Lebensqualität entlang der alpenquerenden Transitrouten derzeit keine größere Rolle zu spielen.

Just in dem Moment, in dem die Blechlawinen über den Brenner rollen, werfen Wirtschafts- und Tourismustreibende traditionell die Forderung nach einem Ausbau der Verkehrsverbindungen auf. Muss es aber nicht grundsätzlich den Punkt geben, an dem zusätzliche Erreichbarkeit sich in ihr Gegenteil auswirkt? Oder ist es ein Naturgesetz, dass zunehmende Erreichbarkeit immer vorteilhaft ist? Diesen Punkt, an dem Investitionen in die Infrastruktur ökonomisch nichts mehr bringen, gibt es Studien zufolge sehr wohl. Da ist es naheliegend, dass es auch den Punkt geben muss, an dem die Entwicklung ins Negative zeigt, weil ein Wirtschaftsstandort nun einmal von seiner Lebensqualität lebt, die mit zunehmender Erreichbarkeit auch belastet wird.

Die ganze Welt wird erreichbar

Malediven, Haiti - oder doch Südtirol? Wieso soll sich ein Urlauber angesichts eines globalen Tourismusmarktes mit unendlichen Angeboten in allen Preisklassen gerade für Südtirol entscheiden? Weil Südtirol in Sachen Erreichbarkeit und Anbindung mit dem Rest der Welt mithalten kann? Oder weil es doch vielleicht "anders" ist?

Dabei handelt es sich natürlich um komplexe Fragestellungen, die nicht ohne Weiteres beantwortet werden können. Fakt ist aber - und das belegen die Trends -, dass die Suche nach Ruhe, Erholung und Entschleunigung zunehmend an Bedeutung gewinnen. In diesem Sinne schreiben David Bosshart & Karin Frick in der Trendstudie "Die Zukunft des Ferienreisens":

„Die Welt ist entdeckt, die mehrheitlich reizübersättigten westeuropäischen, älteren Kunden haben alles schon erlebt. Das Aufrüsten mit ständig neuen Attraktionen und zusätzlichen Stimulationen wirkt vor diesem Hintergrund kontraproduktiv. Der Trend geht deshalb vom Adrenalin-Kick zum Endorphin-Kick. Statt Rausch und Ekstase werden meditative Ruhe und spirituelle Erlebnisse gesucht. (…) Das Leben in der Erlebnisgesellschaft erschöpft die Menschen. Je mehr wir uns leisten können, umso mehr stossen wir an die Grenzen unserer physischen Ressourcen. Zeit, Aufmerksamkeit, Sinn, Ruhe und Raum werden die neuen Luxusgüter. (…) Relax-Angebote werden wichtiger als Unterhaltung. Die neuen Luxusgüter sind Zeit, Raum und Ruhe. Ruhe-Zonen respektive mobiltelefon-freie Ruhe-Zonen werden ebenso normal wie rauchfreie Zonen.“

Eine Frage der Wertsetzungen

Ist es nicht eine Paradoxie, dass Ferienressorts sich penibel darum bemühen, ihre Ressorts im Inneren so ruhig und lärmfrei wie möglich zu gestalten und dass man sich außerhalb der eigenen vier Wände darum bemüht, möglichst breite Straßen, möglichst viele Parkplätze und möglichst schnelle Anreiseverbindungen zu schaffen? Und ist das nicht letztens kontraproduktiv, wenn sich das Bild, das sich Anreisende von einem Land machen, zunehmend negativ belastet wird? Oder reicht es Touristen, wenn sie sich in ihrer Idylle im Ressort verkriechen können, einer Art potemkinschen Dorf? In einer Welt, in der alles ständig nach Authentizität und Ursprünglichkeit und Echtheit lechzt?

Sieht man sich die Bilder an, mit denen Tourismustreibende für ihre Destinationen werben, so liegt der Trend ganz klar auf Natürlichkeit, Ruhe, Entspannung, Entschleunigng. Geht es um die Verkehrsverbindungen sollen aber plötzlich ganze andere Gesetze dominieren. Maßstabsverlust, Strukturentfremdung, Verbauung, und und und. Es fragt sich ganz deutlich, wie das zusammenpassen soll. Und es fragt sich natürlich auch, ob mit diesem Ansatz in einem Land wirklich alle gewinnen. Und zwar langfristig.

Die Sache mit dem Verkehr

Zur Erholung gehören nun einmal Landschaften, in denen kein Verkehr "nervt". Da geht es um Lärm, um Abgase, um visuelle Effekte und um Ruhe und um all die anderen negativen Faktoren, die dem Verkehr anhaften. Zu diesem Erholungsfaktor zählen verstärkt auch Verkehrsverbindungen, die bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln angebunden sind. Stressfrei. Ohne lästiges Umsteigen. In Bahnhöfen, die dem internationalen Standard entsprechen und Komfort versprechen. Bedenkt man, dass in den europäischen Großstädten Jugendliche zunehmend gar keinen Führerschein mehr haben, dann weiß man, auf welche Trends man sich einlassen muss.

Dem Phänomen Stau begegnet man am besten nun eninmal nicht damit, dass man die Straßen ausbaut, sondern dass man sich die Frage stellt, wie der motorisierte Individualverkehr effizient verringert werden kann. Einen Großteil der Probleme, die der motorisierte Individualverkehr schafft, löst nämlich nicht einnmal die E-Mobilität. Oder brauchen elektroangetriebene Fahrzeuge keine Straßen? Brauchen sie keine Parkplätze? Schaffen sie keinen Stau? Oder schaffen sie noch mehr Stau? Weil dieser negative Beigeschmack, der dem Verbrennungsmotor anhaftet, durch angeblich "saubere" und "grüne" Energie wettgemacht wird. Also durch einen klassischen "Rebound"-Effekt.

Vielleicht muss man sich grundsätzlich die Frage stellen, wie ein Land die eigenen Stärken und die hoffnungsvollen Trends im Tourismus, die wie auch in zahlreichen anderen Bereichen in Richtung Authentizität, Ursprünglichkeit, Regionalismus und Entschleunigung zeigen, zum eigenen Vorteil nutzen kann. Und zwar so, dass wirklich das ganze Land gewinnt. Und zwar nachhaltig und längerfristig.