Verpixelter Halbmittag
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„... so originell die heutige Südtiroler Sportsjugend sich in Liedern wie dem ‚Bozner Bergsteigerlied‘ äußert, so ungewiss ist für Südtirol die Zukunft!“ hieß es Anfang Dezember 1935 in einem hiesigen Lokalblatt, knapp ein Jahrzehnt nachdem das Lied (auch als Dolomitenlied oder Heimatlied bekannt) entstanden und in Südtirol zu einem regelrechten Hit geworden war. Das Lied, das mit dem Vers „Wohl ist die Welt so groß und weit“ beginnt, wurde 1926 von Karl Felderer am Ritten zur Melodie des hessischen Liedes Der vergnügte Schreiner geschrieben. Mit seinem Satz „Die Treue zu Deutschland war stärker ... Leb wohl, du mein Südtirol“ warb der überzeugte Nationalsozialist nur wenige Jahre später, 1940, in seinem Gedicht „Aufbruch“, für die Abwanderung der Südtiroler ins Deutsche Reich. Die Liebe zur Heimat war bei ihm plötzlich nationalsozialistisch verblendet.
Nun wird Felderers bekanntes Liedgut, dessen Melodie tagtäglich als Jingle die Tagesschau von Rai Südtirol einläutet, einer literarischen Überprüfung unterzogen. Indem es "umschrieben" wird. -
Im Rahmen der Lesereihe 1/2 Mittag – einer Kooperation der Südtiroler Autor*innenvereinigung (SAAV) mit der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann – haben Eeva Aichner und Matthias Vieider drei Veranstaltungen unter dem Titel Umschreibungen?! kuratiert. Dabei wollen sie jeweils der Frage nachgehen:
Wie lassen sich historische lyrische Texte samt ihren Inhalten literarisch in die Gegenwart holen?
Die teilnehmenden Autor*innen wurden über einen Open Call ausgewählt und werden an den vorgesehenen Terminen neben dem Bozner Bergsteigerlied auch die Zeile des durchaus auch als Song tauglichen Liebesgedichts „Frölich zärtlich lieplich und klärlich, lustlich stille leise“ von Oswald von Wolkenstein (um 1400) sowie des „Cantico delle creature“ (Sonnengesang, um 1225) von Franz von Assisi präsentieren.
Kuratorin Eeve Aichner und Kurator Matthias Vieider möchten mit diesem neuen Zuschnitt „die gesellschaftlichen Phänomene Heimat, Liebe und Glaube mit literarischen Mitteln zur Diskussion stellen“ und hinterfragen, inwiefern diese Themen „heute noch zeitgemäß sind beziehungsweise sein können.“ Der Einladung zu den literarischen Experimenten sind zahlreiche Autor mit erstaunlich unterschiedlichen Zugängen gefolgt. Sogar in insgesamt fünf Sprachen. Je drei Umschreibungen pro Ausgangstext werden an insgesamt drei Samstagvormittagen in der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann vorgestellt und anschließend in Podiumsdiskussionen bei Kaffee und Brioches besprochen.Der Reihe nach. Umschreibungen von Katja Renzler, Leah Maria Huber und Helga Maria Gorfer zum „Bozner Bergsteigermarsch: Wohl ist die Welt so groß und weit“ (Karl Felderer, 1926) gibt es am 7. September zu hören. Wobei die zentrale Frage lauten soll: Wie kann/soll/darf/muss man heute über Heimat schreiben? Mit der Frage: Sind Liebesbekundungen solcher Art aus der Zeit gefallen? beschäftigen sich hingegen am 14. September Lorena Pircher, Norbert Mayr und das Autorinnenduo Michaela Grüner und Sonja Hartner, wenn sie ihre Umschreibungen des Liebesgedichts „Frölich zärtlich lieplich und klärlich, lustlich stille leise“ von Oswald von Wolkenstein (um 1400) präsentieren. Am 28. September steht der „Cantico delle creature“ (dt. Sonnengesang, um 1225) von Franz von Assisi auf dem Programm. Mögliche Antworten auf die Frage, wie eine solche Hymne im Jahr 2024 beschaffen sein könnte, werden Davide Goldner, Gregor Biberacher und Laura Giovannini mit ihren Umschreibungen liefern.
Die Lesematineen beginnen jeweils samstags um 10 Uhr (Einlass: 9:30 Uhr) und finden bei freiem Eintritt im Lesehof der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann in der A.-Diaz-Str. 8 in Bozen statt. Bei schlechter Witterung wird die Veranstaltung in den Lesesaal verlegt.
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