Economia | Brain-Drain

Ausgebremst, aber kaum überwunden

Seit Jahren fliehen junge, gut ausgebildete Italiener*innen ins Ausland. Die Pandemie hat den Trend leicht gebremst. Ob das für einen nachhaltigen Wandel reicht?
Brain drain
Foto: Unsplash

Fast eine Million Italiener haben sich in den letzten zehn Jahren aus den Gemeinderegistern abgemeldet, um ins Ausland zu gehen. Tendenz steigend: bereits 2015 die Zahl von 100.000 Personen pro Jahr überschritten. Wie das Forschungszentrum Idos am Mittwoch bekannt gibt, wird der Brain-Drain der Italienerinnen und Italiener durch die Pandemie aber leicht ausgebremst.

 

Leichte Bremsspuren

 

Im Jahr 2020 wurden 112.218 Personen zur Auswanderung aus den italienischen Gemeinderegistern gelöscht, 45,5% davon waren Frauen. Die Zahl der Ausgewanderten, die rund 2,1‰ der italienischen Bevölkerung ausmacht, ist zwar beträchtlich, verzeichnet aber zum ersten Mal seit Beginn des neuen Jahrtausends einen Rückgang: -8% im Vergleich zum Vorjahr.

Ob sich dieser Rückgang auch mit Blick auf die Zukunft halten lässt, bleibt jedoch offen. Zudem zeigt sich, dass die Pandemie und die Beschränkungen der internationalen Reisefreiheit die Migrationsströme nicht vollständig gestoppt haben und auch die Rückwanderung nicht signifikant angestiegen ist (nur 43 229 im Jahr 2020). Dies, obwohl viele ihren Arbeitsplatz im Ausland verloren haben oder Arbeit im Homeoffice in Anspruch nehmen konnten.

 

Brain Drain hält an

 

Die Analyse des Forschungszentrums Idos, die auf der Grundlage von Daten des ISTAT und des AIRE-Registers durchgeführt wurde, bestätigt die Charakteristik der heutigen Wanderbewegungen in Italien: Die Wanderbewegungen sind durch einen starken "Brain Drain" und eine geringe "Brain Circulation" gekennzeichnet.

Obwohl das italienische Bildungssystem nur sehr wenige Hochschulabsolventen hervorbringt (2018 lag der Prozentsatz der 30- bis 34-Jährigen mit tertiärem Bildungsabschluss in Italien bei 27,8% gegenüber 40,7% im EU-Durchschnitt), birgt ein Hochschulabschluss – im Gegensatz zu anderen OECD-Ländern – nach wie vor keine größeren Beschäftigungschancen: Zwischen 2008 und 2020 haben 355.000 junge Menschen im Alter von 25 bis 34 Jahren Italien offiziell verlassen und etwa 96.000 ihrer Altersgruppe sind zurückgekehrt. Die Differenz zwischen Rückkehrern und Ausgewanderten ist über die Jahre hinweg konstant negativ geblieben und führt kumuliert zwischen 2008 und 2020 zu einem Verlust von insgesamt 259.000 jungen Menschen, davon 93.000 mit mindestens einem Mittelschulabschluss (36%), 91.000 mit Matura Diplom (35 %) und 76.000 mit einem höheren Studientitel (29%).

Die im Zeitraum zwischen 2008 und 2020 verzeichneten Nettoverluste junger Menschen fielen hauptsächlich zugunsten europäischer Länder wie dem Vereinigten Königreich (-19.000) und Deutschland (-11.000) aus.

 

Trendwende braucht mehr als ein Virus

 

“Offenbar ist es dem Virus gelungen, einen Trend umzukehren, den jahrelange Anreize und andere (öffentliche und private) Initiativen nicht durchbrechen konnten”, so die Analyse des Forschungszentrums Idos. “Die Daten aus dem ersten Jahr der Pandemie zeigen eine leichte Verlangsamung der Abwanderung von Hochschulabsolventen und begünstigen tendenziell die Rückkehr junger Menschen aus dem Ausland. Trotzdem: Eine wirkliche Trendwende ist ohne gezielte politische Maßnahmen, die dem Verlust von Humankapital entgegenwirken, nur sehr schwer vorstellbar.”

Laut Idos sind die Bedingungen für die eine Rückwanderung nach Italien derzeit unzureichend: “Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor unattraktiv und kaum wettbewerbsfähig. Italien ist im Bezug auf Infrastruktur, Innovation und Qualität der Dienstleistungen blockiert; eine barocke Bürokratie, politische Klientelpolitik und die Wurzeln der kriminellen Unterwelt beeinträchtigen die Zukunftsaussichten." In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der im Rahmen von Next Generation EU bereitgestellten Mittel betont: "Es wird von entscheidender Bedeutung sein, die bereitgestellten europäischen sinnvoll und rechtzeitig zu investieren - eine einmalige Gelegenheit für die Wiederbelebung Italiens.”