Die Rache des Gladiators
Seine Facebook-Seite ziert noch immer ein Bild aus dem Film Der Gladiator. Mit entsprechendem Originalzitat: "Mi chiamo Massimo Decimo Meridio, generale delle legioni Felix, servo leale dell'unico vero imperatore Marco Aurelio. Padre di un figlio assassinato, marito di una moglie uccisa... avrò la mia vendetta». Mit dem berühmten Gladiator Maximus freilich hat der 35-jährige Amateurfussballer und Bäcker Fabio Di Lello wenig gemein.
Für ihn wurde der Tod seiner 34-jährigen Frau Roberta immer mehr zur Obsession. Vor einem halben Jahr war sie auf ihrem Moped an einer Kreuzung in Vasto von einem Auto angefahren und gegen die Ampel geschleudert worden. Der Lenker des Unfallwagens, der die rote Ampel missachtet hatte, kam ihr sofort zu Hilfe und rief umgehend die Polizei. Doch die Frau erlag wenige Stunden später ihren Verletzungen. Der 21-jährige Italo D'Elisa wurde zunächst festgenommen, doch nach negativem Alkoholtest bis zum Prozess auf freien Fuss gesetzt.
Doch schon bald geriet er ins Visier einer Kampagne, die ihn psychisch zunehmend belastete. Das flugs gegründete Bürgerkomitee "Giustizia per Roberta" forderte Gerechtigkeit, auf Plakaten wurde der 21-jährige zum Mörder gestempelt, auf Kundgebungen und Fackelzügen der Justiz "sträfliche Ineffizienz" vorgeworfen. Italo verlor seinen Arbeitsplatz und musste mehrere Monate in einer neurologischen Klinik betreut werden. Doch dem Gerechtigkeitswahn des selbsternannten Gladiators war damit keineswegs Genüge getan. Am Mittwoch erschien Di Lello vor der Bar Drinking water, zog eine Pistole und tötete Italo D'Elisa mit drei Schüssen. Anschliessend ging er zum Friedhof und legte die Waffe mit theatralischer Geste auf das Grab seiner Frau. Dort wurde er von der Polizei verhaftet.
Der Bischof wirft der Justiz Ineffizienz vor
Bei der Beerdigung wandte sich der Bischof der 50.000-Einwohner- Stadt in den Abruzzen gegen jede Form von Selbstjustiz: "La vendetta non é mai giustizia e produce solo ulteriore sofferenza e ulteriori mali". In der aufgeheizten Stimmung wollte sich Don Bruno Forte einen Seitenhieb auf die Justiz nicht verkneifen und geisselte "le lentezze di una gustizia che non dava segni nei confronti di colui che aveva investito una donna. Una giustizia lenta non è piú giustizia e produce anche effetti come questi tragici a cui si é assistito a Vasto". Staatsanwalt Giampiero di Florio wiederum wollte die priesterliche Rüge nicht unerwidert lassen: "Nessuna lentezza, al contrario: le indagini sono durate 110 giorni dall'incidente. L'udienza era prevista il 21 febbraio." Die Töne der Auseinandersetzung waren in den letzten Wochen derart eskaliert, dass die Anwaltskammer von Vasto die Verteidiger beider Seiten zu "equilibrio e misura" aufrief und die "spettacolarizzione del processo" scharf kritisierte.
Lynchjustiz im Internet
Im Internet und auf Di Lellos Facebook-Seite durfte sich die Meute ungehindert austoben: "Non si puó non tollerare il gesto di un marito che si vendica". "In un paese senza giustizia é quello che ti spingono a fare". Die Facebookgruppe "Giustizia per Roberta" inszenierte einen regelrechten Prozess gegen den jungen Fahrer des Unfallwagens : "Perché tutti vanno in carcere e questo deficiente no?" Doch die Ermordung des 21-jährigen stellte die Rachlust vieler Internet-Gladiatoren offenbar nicht zufrieden. Auf der neuen Facebook-Seite "Italo D'Elisa - La giusta fine" liessen sie ihren Instinkten freien Lauf: "Italo D'Elisa, uno in meno." "Grande Fabio, hai fatto poco. Io lo avrei ammazzato e stritolato sotto le ruote." "Marcisci all'inferno, cosí non acceleri piú".
Der Fall Vasto, in dem ein Fussballer in die Rolle Russell Crowes als rächender Gladiator schlüpft, ist ein Lehrstück in Sachen Populismus und Stimmungsmache. Ein Lehrstück dafür, wie ein Unfall für eine obszöne Kampagne gegen vermeintliche Rechtlosigkeit missbraucht wird. Ein Drehbuch, das in der italienischen Öffentlichkeit für kontroverse Diskussionen sorgt. Und ein geradezu ideales Thema für die Medien - auch die vermeintlich seriösen. Der Corriere della Sera widmete dem Mord (bisher) ganze sechs Seiten. Ein exemplarisches Beispiel dafür, wie man Populismus öffentlich geisselt und ihm gleichzeitig huldigt.