Società | Polemik

„Die wahren Pusher sind Regierungen“

Die Polemik um die Einsätze von NGOs im Mittelmeer kocht immer mehr hoch. Ist Solidarität nun auch eine Straftat, fragt Caritas-Direktor Paolo Valente.
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Foto: upi

Es ist explosiver Stoff, den Oberstaatsanwalt Carmelo Zuccaro am Mittwoch nun auch noch vor dem Verteidigungsausschuss im Senat ausbreitete. 90 Prozent der Rettungsaktionen, die von NGOs auf den Flüchtlingsrouten im Mittelmeer durchgeführt werden, werden ohne vorhergehenden Hilferuf und Kommunikation von Seiten der Küstenwache durchgeführt, soll ein geheimes Dokument von Frontex besagen, das der Staatsanwalt nun öffentlich gemacht hat. Die Menschenhändler rufen direkt die Boote der freiwilligen Helfer, lautet die Anklage, die acht private Boote von Freiwilligen-Organisationen, darunter auch Prudence von Medici senza frontiere, in den Dunstkreis des Menschenhandels mithineinzieht.

Es ist jedermanns Pflicht, Menschen in Seenot zu retten, wenn er davon Kenntnis bekommt – auch ohne offiziellen Notruf und auch in lybischen Hoheitsgewässern, verteidigte am Donnerstag unter anderem Vincenzo Melone, ein Kommandant der Küstenwache, die Arbeit der Freiwilligen. Doch auch bei der Südtiroler Caritas fragt sich Direktor Paolo Valente, welchen Hintergrund die Polemik und die Rettungsschiffe der NGOs hat. „Wenn man schon ihre gute Absichten in Frage stellt, muss man auch erklären, aus welchen kriminellen Absichten heraus sie handeln sollen“, sagt der Caritas-Direktor. Ihm persönlich seien bis heute keine Beweise dafür zu Ohren gekommen, dass es zu kriminelle Handlungen von Freiwilligenorganisationen im Mittelmeer gekommen sei. „Sicher ist jedoch, dass diese Organisationen jeden Tag Menschenleben retten“, so Valente.

Für den Caritas-Dirketor wäre vielmehr das Problem des Menschenhandels international anzugehen, das sich von den Ursprungsländern über die Fluchtrouten bis nach Europa zieht. „Denn auch hier bei uns werden viele Menschen, besonders Frauen, von Schlepperbanden quasi in Sklavenschaft gehalten, weil sie sich für die Überfahrt bei ihnen verschuldet haben“, sagt er. 

Solidarität könne man dagegen schwerlich als Verbrechen einordnen, meint Paolo Valente. Für ihn folgen die Anschuldigungen der NGOs einer ähnlichen Logik, nach der auch Organisationen wie die Caritas dafür kritisiert werden, mit ihrer Hilfe immer mehr Flüchtlinge anzuziehen. „Es ist allerdings eine andere Sache, zuzulassen, dass jemand in der Kälte im Freien schlafen muss oder ihn im Mittelmeer ertrinken zu lassen.“

Auch Valente räumt ein, dass es überall – und deshalb auch unter Freiwilligenorganisationen – schwarze Schafe geben kann. „Doch nur, weil es vielleicht jemanden oder auch nur den Verdacht gibt, darf man nicht alle NGOs mit Schmutz bewerfen“, fordert der Caritas-Direktor. Der Vorwurf, die Migration zu pushen, sei in jedem Fall an westlichen Regierungen zurückzuspielen:  „Die wirklichen Pusher sind all jene Regierungen, die dazu beitragen, Kriege und ungleiche ökonomische Bedingungen aufrechtzuerhalten“, sagt Paolo Valente.