Ambiente | Radmobilität

Runter von der Bremse

Wie fortschrittlich ist Südtirol tatsächlich in Sachen Radmobilität? Weit weniger als es sich gibt, sagt Mobilitäts-Experte Manuel Demetz.
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Foto: Upi-Idomeni

Radfahren ist in. Daran ist zum diesjährigen 200. Geburtstag des Drahtesels nicht zu rütteln. Im Hochgebirge tummeln sich die Mountainbiker, in Städten wird der Stau auf dem Weg zur Arbeit oder bei Kurierdiensten immer öfter auf zwei Rädern umgangen und unter den Feriendestinationen hat der Kampf um Radtouristen begonnen. Schließlich hat der Siegeszug des E-Bikes dem Rad-Boom noch einen ultimativen Schub verpasst. Allein Deutschland zählt 5,2 Millionen Bürger, die 2016  einen Radurlaub machten –  das entsprach einer Wachstumsrate von 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Berücksichtigt man darüber hinaus die Umwälzungen, die der Klimawandel dem Wintertourismus beschert, versteht sich, wieso die Ganzjahresaktivität Radfahren mittlerweile unter vielen Touristikern als Allheilmittel gehandelt wird.

Ein Hype, bei dem auch Südtirol mitmacht, wie sich nicht zuletzt auf der Green-Mobility-Homepage des Landes zeigt. Doch trotz Lobeshymnen auf Bozen als die fahrradfreundlichste Stadt Italiens oder das vielfältige und gut ausgebaute Südtiroler Radwegenetz wird das Potential bei weitem nicht ausgenutzt, kritisiert einer, der sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt: Manuel Demetz, bis zum heurigen Frühjahr Senior Researcher am Institut für Regionalentwicklung der Eurac und seit einigen Monaten Mitarbeiter der Kommunikations- und Marketingagentur Helios, die auch deutsche Städte wie München, Hannover oder Oldenburg in Sachen Radmobilität begleitet. „Investieren wir nicht nur in Infrastruktur, sondern auch in eine Mobilitätskultur“, sagt der Forscher, der nun bei Helios für nachhaltige Tourismusentwicklung und Radmobilität zuständig ist. „Fördern wir nicht nur den Radtourismus, sondern generell die Radmobilität.“

Eines der ungenutzten Potentiale, das in Fahrradländern wie Deutschland, Holland oder Großbritannien längst weit stärker ausgeschöpft wird als in Südtirol? Die Verwendung des Fahrrads als Transportmittel zur Arbeit. Commuters heißen die Fahrradpendler unter Mobilitäts-Insidern heute. In Südtirol mag der Trend zwar innerhalb der Landeshauptstadt oder in einzelnen Dörfern durchgeschlagen haben. „Doch was auffällt ist, dass jede Gemeinde immer nur innerhalb ihrer Grenzen handelt statt dass in größeren Ballungszentren gedacht wird“, sagt Demetz. Die Strecke Eppan - Bozner Industriezone ist für ihn ein klassisches Beispiel, wie sinnvoll ein Umstieg vom Auto aufs Rad auch zwischen Gemeinden sein kann. Statt sich täglich im Stau ins Überetsch zu ärgern, können sich radelnde Pendler auf solch einer überschaubaren Strecke fit halten ohne sich zu sehr zu verausgaben - und dabei gleichzeitig die Straßen und die Umwelt entlasten.

Um dafür nicht nur eingefleischte Radfahr-Profis zu begeistern, bräuchte es laut dem Mobilitätsexperten aber eben ein wenig Motivation. Beiträge für Unternehmen, die in Umkleidekabinen und Duschen für radelnde Mitarbeiter investieren, Aktionen, bei denen Mitarbeitern zwei Wochen lang kostenlos E-Bikes zur Verfügung gestellt werden – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. „In Berlin hat man zum Beispiel in der Vergangenheit bei einer solchen Aktion gesehen, dass sich alle Mitarbeiter nach solch einer kostenlosen Testphase selbst ein E-Bike zugelegt haben“, erzählt Manuel Demetz. In Südtirol dagegen sei der Radweg nach Eppan nun seit Februar wegen Umbau gesperrt gewesen. Doch auch die Anfahrt zu öffentlichen Verkehrsmitteln per Rad werde verhindert statt gefördert, wenn nun beispielsweise bei den Haltestellen für den neuen Metrobus die billigsten Fahrradständer montiert würden, die man auf dem Markt finde. „An solchen Ständern parkt niemand ein gutes Rad“, meint Demetz. "Um mehr Leute für das Fahrradfahren zu begeistern, müssen wir ihnen auch ermöglichen, qualitativ gute Räder fahren zu können.“

Der Mangel an Fahrradständern und vor allem gesicherten Fahrabstellplätzen ist für Manuel Demetz eine der landesweiten Bremsen für die Radmobilität. Wer Angst haben muss, dass das eigene Fahrrad beim Bahnhof oder der Bushaltestelle gestohlen wird, nimmt eben häufig doch lieber das Auto. „Der sogenannte Modal Switch, also der Wechsel von anderen Verkehrsmitteln auf das Rad oder umgekehrt, muss sicherlich noch stark optimiert werden.“ Auch die Radwege seien in Südtirol tendenziell zu eng, was bei den zunehmenden Geschwindigkeitsunterschieden zwischen sportlichen Radlern und Familien mit Kindern genauso gefährlich sei wie die immer wieder unterbrochenen und unvollständigen Radwege in den Städten. „Wenn wir wirklich mehr Radmobilität wollen, muss politisch einfach irgendwann entschieden werden, den Autofahrern Platz wegzunehmen“, sagt Demetz. Ein Autoabstellplatz weniger kann zehn Radstellplätze mehr bringen – und für beides ist in Städten wie Bozen eben kein Platz mehr.

Gebremst wird der Siegeszug des Rades aber nicht nur durch das Auto. Auch die Landwirtschaftsvertreter erweisen sich laut Demetz bislang nicht als Partner, sondern eher als Kontrahenten nachhaltiger Mobilitätskonzepte. Während Radtouristen wie Einheimische an interessanten Streckenverläufen von Radwegen interessiert seien, die durch Dörfer und über landschaftlich ansprechende Gemeinde- und Sekundärstraßen führen, müssten aufgrund der mangelnden Kompromissbereitschaft von Bauern für Radwege oft wenig attraktive Strecken gewählt werden. „Der Radweg von Bozen nach Meran ist zum Beispiel sicher die hässlichste Verbindung, die man zwischen den beiden Städten machen konnte“, meint Demetz. „Das ist so, als würde man in der Toskana entlang der A1 fahren.“ Noch dazu gäbe es entlang der gesamten Strecke weder eine Einkehrmöglichkeit noch eine Toilette, dafür in gewissen Zeiten des Jahres jede Menge Abdrift von den Obstanlagen.

Das Rad schenkt Südtirol jede Menge Chancen – nutzen wir sie konsequenter und besser , lautet Manuel Demetz Appell. Und zwar nicht nur im Sinne der Umwelt. Für den heimischen Tourismus birgt er dank starker Bike-Communities in Großbritannien, den USA oder Australien das Potential einer stärkeren Internationalisierung und Positionierung als nachhaltige Destination. Die rasanten Entwicklungen auf dem E-Bike-Markt bringen neue Möglichkeiten der Anreise und vor allem der Mobilität von Touristen vor Ort auf zwei Rädern. Wie internationale Studien zeigen, profitiert aber selbst der kleinstrukturierte Handel von mehr Radmobilität. Denn wer sich auf zwei Rädern vorwärtsbewegt, bleibt viel eher bei einzelnen Geschäften stehen statt einen Großeinkauf in Einkaufszentren zu machen. „Radmobilität hat sich in vielerlei Hinsicht zu einem Wachstumsmarkt entwickelt“, sagt Demetz. „Doch wenn man den Anspruch hat, als Raddestination wahrgenommen zu werden, darf man nicht zu langsam sein.“