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Familien in Notlagen unterstützen

Sozialpädagogische Familienhilfe wirkt, doch der Bedarf wächst. Der Fachtag für soziale Arbeit und Sozialpolitik zeigt Erfolge, Chancen und Handlungsbedarf auf.
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tagung spfh
Foto: Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit und Sozialpolitik
  • Wie unterstützt man Familien, die in (sozialen) Notlagen stecken? Am 15. Mai fand am Campus Brixen der Freien Universität Bozen der Fachtag zur Sozialpädagogischen Familienhilfe statt. Dieser verfolgte das Ziel, Fachkräfte und Wissenschaftler:innen aus Südtirol, dem restlichen Italien, Österreich und Deutschland im Rahmen verschiedener Workshops und Vorträge miteinander in den Austausch zu bringen. Im Zentrum stand die Frage, wie in den jeweiligen Regionen gearbeitet wird und welchen Herausforderungen Fachkräfte gegenüberstehen. Dabei wurde deutlich, dass die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) ein zentrales Instrument zur Unterstützung von Familien in schwierigen Lebenslagen ist, mit präventiver wie auch intervenierender Wirkung.

    Historisch entwickelte sich die SPFH als Antwort auf die Heimkampagnen der 1970er-Jahre, bei denen Kinder aus problematischen Familiensituationen oft dauerhaft in Heimen untergebracht wurden. Ein Vorgehen, das vielfach zu Missbrauch und Gewalt führte. Heute steht die Arbeit mit den Familien im Vordergrund, mit dem Ziel, das Lebensumfeld der Kinder nachhaltig zu verbessern und die Familie als Ganzes zu stärken, erklärt Prof.in Ulrike Loch, Direktorin des Kompetenzzentrums für Soziale Arbeit und Sozialpolitik.

  • Professorin Ulrike Loch: „Es braucht Investitionen in diese Form der sozialen Unterstützung, zur Stärkung der Familien sowie zur Förderung von sozialer Teilhabe, Bildung und Gesundheit, gesellschaftlicher Entwicklung und Demokratie.“ Foto: unibz
  • Die SPFH richtet sich insbesondere an Familien mit erhöhtem Unterstützungsbedarf, etwa aufgrund von Armut, Migrationshintergrund, Alleinerziehung, Suchtproblematiken oder chronischer Erkrankung. Sie soll dort greifen, wo strukturelle Belastungen zu familiären Krisen führen, aber auch wo individuelle Verhaltensmuster Veränderungen notwendig machen. Dabei geht es sowohl um akute Hilfestellungen als auch um die Vermittlung langfristiger Kompetenzen im familiären Alltag wie zum Beispiel die Stärkung der Erziehungskompetenzen von Eltern. Voraussetzung ist jedoch eine hohe fachliche Qualifikation der Fachkräfte sowie ein systemisches Verständnis für familiäre Dynamiken.

    Ein zentrales Problem, das sich auf dem Fachtag deutlich zeigte, ist der Mangel an qualifiziertem Personal. In Südtirol, wie auch in anderen Regionen, gibt es lange Wartelisten, ein Träger berichtete etwa von 20 Familien, die auf Unterstützung warten. Diese Verzögerungen gefährden den Erfolg, denn frühe Interventionen sind entscheidend. Über 180 Familien mit mehr als 300 Kindern werden derzeit in Südtirol durch Sozialpädagogische Familienhilfe betreut. Dies zeigt klar, wie notwendig ein Ausbau dieser Angebote ist. 

  • Impressionen aus der Aula: Durch verschiedene Workshops setzte sich der Fachtag mit der SPFH auseinander Foto: Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit und Sozialpolitik
  • Loch macht zudem deutlich: „Es braucht Investitionen in diese Form der sozialen Unterstützung, zur Stärkung der Familien sowie zur Förderung von sozialer Teilhabe, Bildung und Gesundheit, gesellschaftlicher Entwicklung und Demokratie. Die Sozialpädagogische Familienhilfe leistet hierzu einen unverzichtbaren Beitrag.

    Die Sozialpädagogische Familienhilfe ist bisher wenig in der Bevölkerung bekannt, vielleicht weil der Zugang nur über professionelle Vermittlung durch die Sozialsprengel möglich ist. „Und ich glaube, immer dort, wo etwas nicht bekannt ist, spielt Scham natürlich auch eine Rolle. Wenn man aber sieht, welche Erfolge damit erreicht werden können, wie die Lebensqualität verbessert wird, und wenn Familien verstehen, dass das ihre Chance ist, dann verliert das Scham-Thema an Bedeutung“, erklärt Loch. 

  • Das Organisationsteam des Fachtags zur SPFH: Von links nach rechts: Cornelia Dell'Eva (Moderation), Paola Santoro, Miriam Leopizzi (beide ASSB), Dorothy L. Zinn, Diletta Mauri, Ulrike Loch, Francesca Schir, Christine Gruber, Ruth Sapelza (alle Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit und Sozialpolitik), Christina Lienhart (MCI), Wolfgang Hagleitner (unibz), Verena Schmid (MCI), Guido Thaler (Universität Innsbruck). Foto: unibz

    Sie erläutert weiter: „Wir haben zwei sehr unterschiedliche Kontexte: Familien, die freiwillig Hilfe annehmen, weil sie eine Verbesserung ihrer Familiensituation erreichen wollen. Und Familien, bei denen das Jugendgericht die die Inanspruchnahme vorgibt. Hier braucht es oft viel vertrauensbildende Arbeit, um die Familien zur Mitarbeit zu motivieren. Die freiwillige Annahme der Hilfe ist einfacher, verständlicherweise. Wenn die Hilfe hingegen verpflichtend ist, weil Eltern etwa noch nicht erkennen, warum eine Veränderung notwendig ist, muss man zuerst Widerstände abbauen und Vertrauen schaffen. Gerade Erwachsenen fällt das oft schwerer als Kindern.”

    Eltern können in Situationen hineinrutschen, in denen sie aufgrund von Überforderung oder Unwissenheit, Dinge tun, die ihren Kindern nicht guttun. „Das einzugestehen ist schmerzhaft. Aber genau das ist notwendig, um Veränderung möglich zu machen.“

    Besonders deutlich wurde: Prävention ist zentral. Wenn Familien frühzeitig lernen, wertschätzend miteinander zu kommunizieren und schwierige Themen anzusprechen, können langjährige Konflikte und Gewalt vermieden werden. Die SPFH ist dabei ein niedrigschwelliges und effektives Mittel. Voraussetzung sind allerdings der Wille zur Veränderung bei den Eltern sowie die fachliche Qualität der Begleitung und gesellschaftliche Solidarität.


  • So wurde insgesamt deutlich, dass gesellschaftliche Faktoren wie Armut, psychische Belastungen oder Arbeitsüberlastung zentrale Ursachen für familiäre Krisen sind. Familien, in denen Eltern trotz Berufstätigkeit kaum über die Runden kommen, sind besonders gefährdet, in Konflikte zu geraten. Hier setzt die SPFH an, um durch praktische Alltagsunterstützung, neue Kommunikationsmuster und die Aktivierung familiärer und gesellschaftlicher Ressourcen langfristige Verbesserungen zu ermöglichen. Dennoch bleibt auch die Forderung nach politischen Veränderungen bestehen, hin zu besseren sozialen Rahmenbedingungen für Familien.

    Organisiert wurde der Fachtag länderübergreifend vom Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit und Sozialpolitik, das vom Ressort Sozialer Zusammenhalt, Familie, Senioren, Genossenschaften und Ehrenamt der Provinz Südtirol finanziert wird. Jährlich im Frühjahr bringt das Kompetenzzentrum Akteur:innen aus verschiedenen Bereichen zusammen, um Forschung und Praxis miteinander zu verbinden.

  • Länderübergreifend: Fachkräfte und Wissenschaftler:innen aus Südtirol, dem restlichen Italien, Österreich und Deutschland tauschten sich über SPFH gemeinsam aus. Foto: ASSB
  • In diesem Jahr fand die Tagung in Kooperation mit der ASSB, der Universität Innsbruck und dem MCI Innsbruck statt. Über 200 Teilnehmende diskutierten in sieben Arbeitsgruppen intensiv über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. Besonders eindrucksvoll war der Beitrag einer ehemaligen Betroffenen, die heute studiert: Ein lebendiges Beispiel für die Wirkung und den nachhaltigen Erfolg sozialpädagogischer Familienhilfe.

  • Das Kompetenzzentrum führt bis 2027 eine Studie zum Thema Professionalität, Übergänge und Autonomie im Kontext der Sozialpädagogischen Familienhilfe durch. Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.unibz.it/de/home/research/competence-centre-social-work-social-pedagogy-social-policy/research-activities/ sowie https://www.linkedin.com/showcase/competence-centre-for-social-work-social-pedagogy-and-social-policy/.

    Menschen, die sich für soziale Studiengänge an der Freien Universität Bozen interessieren, finden weitere Informationen unter: https://www.unibz.it/de/faculties/education.