Cultura | Salto Afternoon

Agent wider Willen

Im Brixner Tschumpus wird wieder Freilichttheater gespielt. Dietmar Gampers Theatralisierung von Hitchcocks „39 Stufen“ ist irrwitzig, live vertont und selbstironisch.
Zur Transparenz: Statt zur Premiere am Freitag zu gehen, hatten wir Gelegenheit bei der zweiten Hauptprobe, zwei Tage zuvor dabei zu sein und damit terminliche Überschneidungen zu vermeiden.
Bei der Hauptprobe, wie Viktoria Obermarzoner vom Tschumpus-Trägerverein Theakos (der in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum feiert) erklärt, soll der normale Aufführungsverlauf simuliert werden, Schauspieler und Technik können jedoch jene Momente wiederholen, mit welchen sie noch unzufrieden sind.
Dazu kam es nicht, wenngleich es zur Stückhaftigkeit von Dietmar Gampers „39 Stufen“ ausgesprochen gut gepasst hätte: Von den sechs Schauspieler:innen mussten sich nur Daniele Clemente und Miriam Kaser als Protagonisten, wider Willen mit je einer Rolle des Stückes zufrieden geben - Ingrid Lechner, Patrizia Solaro und insbesondere Georg Kaser und Gianluca Iocolano waren, beide mit einigen Bestleistungen, vielfach besetzt. Mit derselben Turbulenz wie bei den Rollen wurde auch das Bühnenbild von den Schauspieler:innen immer wieder transparent und mit Kommentaren (meist Beschwerden) umgebaut: Es besteht die Einrichtung auf der Bühne gänzlich aus Paletten, großen und kleinen Obstkisten und Loanen, also Leitern für den Obstanbau, welche besonders kreative Verwendungen finden, die wir in diesem Text nicht vorwegnehmen wollen. Dietmar Gamper, Georg Kaser und Josef Lanz zeichneten für die Bühne aus unbehandeltem Holz, welches man sich mit seiner Fantasie selbst ausmalen kann, verantwortlich.
 
39 Stufen, Tschumpus
Die 39 Stufen: Als Schlagersängerin, die mit ihrem Pianisten im Clinch liegt darf Ingrid Lechner zu Beginn des Stückes musikalisch auf die 30er Jahre einstimmen. | Foto: Arnold Ritter - Focus-Fotodesign
 
Beim Ausmalen hilft einem insbesondere auch die Geräuschemacherin Sabine Weissenegger (auch: Regieassistenz), welche die Aufgabe von Markus Dorfmann übernommen hatte und sie um nichts schlechter macht als dieser in den Vorjahren. Gerade die Kreativleistung, welche in einem großzügigen Objektarchiv am Bühnenrand für alles - von zahlreichen knarzenden Türen bis hin zur Zugreise - eine klangliche Metapher findet, ist dabei zu loben, ob sie nun von Dorfmann hinterlassen ist oder nicht. Weissenegger liefert, als ganz und gar analog arbeitende Foley Artist ein Alleinstellungsmerkmal des Stücks und ist dabei ein Quell für viel Situationskomik. Weniger involviert in die Stückarbeit war Ingo Ramoser, der am Obstkistenklavier diverse Filmmusik-Zitate mit hohem Wiedererkennungswert (musikalische Beratung Stephen Lloyd) und Stimmungsbilder beisteuerte. Das rege Treiben auf der Bühne ließ er um sich herum geschehen und zog sich auf Nachfragen wie „Konnsch mor net amol helfen?“, mit „I bin Musiker“ aus der Affäre. Dabei markiert bei ihm - wie bei allen anderen auf der Bühne - der Dialekt, dass man die Handlungsebene kurz verlässt.
Das Stück selbst, nach einem Spionagethriller von ’35, der wiederum aus John Buchans gleichnamigem Buch von 1915 schöpft, münzt die eigentlich recht ernste Geschichte auf Slapstick um, wodurch die Spannung Hitchcocks mit Unterhaltung getauscht wird. Das funktioniert, angesichts der aberwitzigen Handlung um Luftfahrtgeheimnisse, die außer Landes geschafft werden sollen, einem Bösewicht, der den Widersachern von James Bond vorweggreift, sowie dem unschuldig wegen Mordes gejagten Richard Hannay überraschend gut. Ich persönlich habe bei einem Sommertheater seit langem nicht mehr so gelacht. Das Tempo bleibt fast durchgehend hoch, nur wenige Gags werden überstrapaziert. Für das Stück von rund 100 Minuten hätte es eigentlich gar keine Pause gebraucht.
Die Schauspieler machen ihre Sache allesamt gut, auch wenn Clemente als Hannay es oft ein wenig mit der Lakonie übertreibt. Die Coolness mit der er auf sein neuerliches Verbrecherdasein reagiert ist manchmal etwas zu dick aufgetragen. Dick trägt auch der für die Erschließung des Tschumpus mitverantwortliche Georg Kaser auf, der gerade in den kleineren Nebenrollen - als Redner ohne Gebiss oder gruseliger Alter in einer Horror-Pension, etwa - das meiste aus sehr wenigen Worten herausholt und durch seine Manierismen punktet. Miriam Kaser schafft es in ihrer Rolle als Pamela, die schließlich dem Charme unseres frisch gebackenen Agenten erliegen muss, mit subtilen Seitenhieben und auch Athletik, die im Original eher passive Rolle stärker und selbstbewusster zu gestalten.
 
39 Stufen, Tschumpus
Die 39 Stufen: Die Kistentürme zu beiden Seiten der Bühnenmitte dürfen zu Beginn und zum Ende des Stückes verschiedene Funktionen erfüllen. | Foto: Arnold Ritter - Focus-Fotodesign​​​​​​​
 
Der Roadtrip in Anzügen und Uniformen (Kostüme: Sieglinde Michaeler und Walter Granuzzo), der von London in die Schottischen Highlands geführt hatte, endet schließlich dort, wo er seinen Ausgang genommen hat. Ausgerechnet im Tschumpus, wo gerade eine Show stattfindet, welche die Schauspieler natürlich auch selbst auf die Bühne bringen müssen. Übrigens: Geschminkt haben sich diese - nach dem Motto: „Alles muss man selber machen.“ - auch noch selbst, wozu es lediglich Online Beratung von Vera Stenico gegeben hat. So durften die Schauspieler das machen, was das Publikum bei der Aufführung dann auch tut, angesichts eines etwas spartanischen, aber kreativen Bühnenbilds: Sie dürfen sich Leerstellen ausmalen.