Alles ist möglich
Am Mittwoch bestritt der FC Südtirol sein Gastspiel gegen Benevento. Dem FCS gelang es in seiner gewohnten Aufstellung und Ausrichtung, drei Punkte einzufahren, und sich somit (zumindest) den Verbleib in der Serie B de facto zu sichern. Entscheidend für den Auswärtssieg waren zwei Faktoren: Das disziplinierte Verteidigen der Südtiroler einerseits und andererseits die offensichtlichen Mängel Beneventos. Die Gastgeber zeigten zwar gute Ansätze in den jeweiligen Phasen (Eigener Ballbesitz, gegnerischer Ballbesitz und Umschaltmoment), es fehlten aber die grundlegende Prinzipien (vielleicht auch das Grundwissen), wie man damit seine taktischen und strategischen Ziele erreichen konnte.
Benevento presste so beispielsweise anfangs sehr hoch, aber der FC Südtirol störte sich wenig daran. Denn der geordnete Spielaufbau ist ohnehin nicht Teil der Südtiroler Strategie, außerdem konnten die Gastgeber aus den wenigen Ballgewinnen in der Südtiroler Hälfte nicht viel machen: Gefährliche Torchancen blieben aus.
Auch das in Ansätzen unternommene Gegenpressing von Benevento blieb aufgrund dieser zwei Faktoren weitestgehend ohne Effekt: Der Ball konnte zwar mitunter zurückerobert werden, die Folgeaktionen waren aber nicht zielgerichtet. Man könnte nun argumentieren, dass es für solche spezifischen Abläufe (Pressing und v. a. Gegenpressing) mehr Zeit und Training brauche, jedoch liegen die Probleme tiefer - das wird deutlich, wenn man sich den Spielaufbau Beneventos genauer anschaut.
Im Spielaufbau stellten die Gastgeber immer wieder 4-zu-2- bzw. 5-zu-2-Überzahl her. Einfache Überzahl (z. B. 3 gegen 2) herzustellen, ist zwar durchaus ein probates Mittel, um das Spiel zu dominieren. Eine 5-zu-2-Überzahl in der ersten Aufbaulinie ist hingegen schädlich für das eigene Spiel: Die redundanten Spieler fehlen dann nämlich in den höheren Zonen, sodass mit dem Ballbesitz kein Effekt erzielt werden kann.
Heimsieg gegen Perugia
Im anschließenden Spiel am Wochenende empfing Südtirol den traditionsreichen Verein aus Perugia. Die Gäste liefen - wie erwartet - im 3-5-2 auf, hatten aber gerade deshalb enorme Schwierigkeiten. Das war auf den omnipräsenten Raphael Odogwu und auf die Zwischen-Rolle von Perugias linken Flügelspieler, Francesco Lisi, zurückzuführen.
Raphael Odogwu ist in bestechender Form und sorgt mit seiner Torgefahr und seiner imposanten Physis für Angst und Schrecken in den gegnerischen Abwehrreihen. Auch Perugia reagierte darauf, indem der Südtiroler Stürmer konsequent doppelt bewacht wurde. Dem Ziel, Odogwus Einfluss auf das Spiel zu begrenzen, wurde alles andere untergeordnet - auch die eigene Defensivstruktur. Francesco Lisi spielte nämlich eine Art Hybrid-Rolle, ein Zwischending, als Flügelverteidiger und linker Mittelfeldspieler - offensiv hatte er viele Freiheiten, seine defensive Position war hingegen eng an jene von Südtirols Rechtsaußen, De Col, geknüpft.
Schob De Col also schon früh sehr hoch, nahm in Lisi mannorientiert auf und bildete den 5ten Mann in der Abwehrreihe Perugias. Dadurch war allerdings Marco Curto als rechter Außenverteidiger Südtirols ohne direkten Gegenspieler. Perugia schien das in Kauf zu nehmen, weil man in Curto keine nennenswerten Offensivqualitäten gesehen haben mag. Allerdings sorgte diese strukturelle Imbalance dafür, dass De Col immer wieder ins 1-gegen-1 kam und viele gefährliche Flanken schlagen konnte. Zudem musste der linke Halbspieler im 3er-Mittelfeld Perugias, Christian Kouan, weite Wege machen, um Curto doch irgendwie stellen zu können.
Dieser Mechanismus schien aber nicht einstudiert gewesen zu sein. Wenn Kouan frühzeitig auf den Flügel rausschob, öffnete er dadurch öfters den Zwischenlinienraum, den Südtirol eigentlch hätte bespielen können - aus mangelndem Verständnis oder aufgrund von strategischer Ausrichtung taten die Gastgeber das aber nicht. Das ist aus taktischer Sicht zwar verschenktes Potenzial, strategisch fährt das Team um Trainer Bisoli damit aber sehr gut. Der FC Südtirol konzentriert sich konsequent auf eine Phase des Spiels - jene ohne/gegen den Ball - und reiht damit Erfolg an Erfolg (auch weil die Gegner es zulassen). Der direkte Aufstiegsplatz ist jetzt in Reichweite, und der Traum - obwohl offiziell noch unausgesprochen - ist lebendiger denn je!