Plakative Köpfe

-
Ob STEM – Science, Technology, Engineering und Mathematics – oder das deutschsprachig gebildete MINT – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler scheinen auf kreative und sprechende Akronyme versessen zu sein. Da wirkt ein kleiner Fehler, der sich in den sozialen Netzauftritt der Ausstellung „Matilda e le donne nello STEM“ eingeschlichen hat, fast poetisch. Aus STEM wird dort STERN, und die Redensart „stem to stern“ meint vollumfänglich, wortwörtlich von Bug bis Heck. Roberta Zambelli kann, allein schon aus räumlichen Gründen im halbrunden Theaterfoyer des Bozner Cristallos, nur eine Auswahl treffen. Wahrscheinlicher ist, dass in mancher Kleinschreibung ein „rn“ verdächtig nach einem „m“ aussieht. Der Associazione Italiana Educazione Demografica – kurz AIED, um mit den Akronymen zu schließen – dürfte es ohnehin mehr um die plakativ, wenngleich nicht besonders hübsch, präsentierten Köpfe gegangen sein. Nun kann man sagen, dass ein Mehr an Sichtbarkeit immer gut ist und bis zu einem gewissen Punkt mag das stimmen.
Eine interessante Lektüre sind die italienischen Biografien, wiewohl grafisch nicht sonderlich interessant, auf Planen gedruckt allemal. Im Einführungstext klärt man auch auf, wer Matilda ist, nämlich der Frauenrechtlerin Matilda Joslyn Gage, welche das Phänomen Matilda Effekt erstmals beschrieb, das 1993 von Wissenschaftshistorikerin Margaret Rossiter popularisiert und posthum nach Joslyn Gage seinen Namen erhielt. Eine Biografie unter den 25 ausgewählten Naturwissenschaftlerinnen hat Joslyn Gage dennoch nicht. -
Per aspera ad astra: Vom ganz großen bis zum allerkleinsten haben Frauen seit langem einen Weg in die Wissenschaft gefunden, auch wenn ihnen mehr Steine in den Weg gelegt werden. Foto: SALTO
Als Gegenstück zum sogenannten Matthäus-Effekt, der postuliert, dass anhaltende Erfolgsserien meist mehr im Zusammenhang mit vergangenen Erfolgen, als mit gegenwärtiger Leistung stehen, trifft der Matilda-Effekt weniger auf erfolgreiche Männer und mehr auf einflussreiche Frauen zu, deren Leistungen in den Hintergrund gestellt wurden. Eine dieser Frauen, bei welchen sich ein Matilda-Effekt postulieren lässt, ist sicherlich Hedy Lamarr, bürgerlich-wienerisch eigentlich Hedwig Kiesler, deren Vorstellung ein schlüssiger Startpunkt für die Plakatlektüren scheint. Der Text beginnt wie folgt: „Grande attrice di Hollywood e inventrice brillante. Bellissima e geniale.“ Wo es um nicht oder unzureichende Würdigung geht, so erscheint der vorangestellte Fokus auf Schönheit unangemessen. Gemeinsam mit dem experimentellen Musiker George Antheil hatte Lamar in den USA die Idee mittels Frequency Hopping, dem ständigen Wechsel der Frequenz des Radiosignals zwischen Torpedo und Schiff, die Waffen zur See im Kampf gegen Nazi U-Bote störungssicherer zu gestalten. Wenngleich die Navy die Idee ablehnte, so sollte sie in den 90ern grundlegend für die Entwicklung der WiFi-Technologie sein. Von alledem steht ein Bruchteil davon im Text. Allerdings auch, dass es mal einen per QR-Code abzurufenden Google-Doodle gibt und dass sie wohl die Figuren von Cat Woman und Schneewittchen am „Silver Screen“ inspirierte.
Am besten sieht man die Plakate als Einladung um zu Hause mehr zu erfahren. Neben weiteren bekannten Namen wie Doppelnobelpreisträgerin Marie Curie, Computerpionierin Grace Hopper, der Physikerin Lise Meitner, NASA-Größe Katherine Johnson, die Hollywood unlängst mit „Hidden Figures“ würdigte, sowie der Proto-Programmiererin und Byron Tochter Ada Lovelace, sind es so vor allem eine Reihe von Namen aus Fern- und Nahost, die spannende Hausaufgaben geben. So etwa auch jene der von Hongkong in die USA emigrierten Teilchenphysikerin Sau Lan Yu Wu, die an der Entdeckung von drei Elementarteilchen beteiligt war. Die interessante Information zum Abschluss ihrer Tafel? Die Entscheidung für eine Wissenschaftskarriere inspirierte die Lektüre von Marie Curies Biografie. Was für einen Unterschied so ein Lebenslauf auf ein Leben doch haben kann.
Ich komme aber nicht umhin, so klischeehaft das auch klingen mag, für meinen Geschmack eine attraktivere Präsentation für so bemerkenswerte Köpfe zu finden. Das an einigen Stellen sich lösende Doppelklebeband ist dafür nur symptomatisch. Schade.Die Ausstellung „Matilda e le donne nello STEM“ kann bis zum 31. März im Foyer des Teatro Cristallo zu dessen Öffnungszeiten besucht werden.