Cultura | Salto Weekend
Bunte Revolution
Foto: Il Cinema Ritrovato
Das Bozner Nischen-Festival „Rimusicazioni Film Festival“ gibt es schon - und man glaubt es kaum - seit 1999. In den letzten Jahren war es stiller um die Veranstalltungs- und Wettbewerbsreihe, pandemiebedingt. Seit heuer steht das Festival unter der neuen kreativen Führung von Francesca Badalini und Paolo Cipriano. Kurz zusammengefasst finden beim Festival live umgesetzte Vertonungsprojekte für Filme aus der Stummfilm-Zeit Platz.
Dabei war gestern Abend der „Panzerkreuzer Potemkin“ am Zug, oder genauer „La corazzata Potëmkin“, da die Zwischentitel und Texttafeln in italienischer Sprache ausfielen. Begleitschiff auf hoher See war dabei die Band „Sincopatici“, die zwischen elektronisch dröhnendem oder Piano mimendem elektronischen Klavier und einer Geige, welche die Tragik der Filmmomente unterstrich, im Kern dazu eine psychedelische Rockperformance abgab. Die „Sincopatici“ stellen Co-Direktorin Francesca Badalini (e-Piano und e-Gitarre), Andrea Grumelli (Bass), Silvia Maffeis (Violine) und Teo Ravelli (Live Electronik und Schlagzeug).
Sicher nicht jedermanns Sache war dabei die gewählte Version des Films. Es handelte sich um eine geschnittene Fassung des Films von 1925, der im Original - man weiß es nicht genau - zwischen 63 und 70 Minuten lang ist. Zu sehen war ein 40-minütiger Film, laut Abspann der „Teenager Cut“ eines gewissen David Martin. Die hätte eigentlich an vielen Stellen keine Zwischentitel enthalten, man habe sich zur größeren Klarheit allerdings entschieden, diese wieder einzufügen, hieß es seitens des Veranstalters. Weiters handelte es sich um eine mit Hilfe von künstlicher Intelligenz auf den 4K Standard restaurierte Version (eine Auflösung, welche die des Beamers überstieg), die noch dazu ebenso durch künstliche Intelligenz koloriert wurde. Dadurch verliert sich einer der aus heutiger Sicht vielleicht verblüffendsten Farbtupfer der Filmgeschichte. „Panzerkreuzer Potemkin“ war sicher nicht der einzige Schwarzweissfilm, der mit in Details handgefärbten Bildern arbeitete, aber einer der wirkungsvollsten: Die rote Flagge der Revolution flattert im Original im Wind, wenn das Schiff den Hafen verlässt. In der Vorführung gestern Abend verliert sie in diesem Moment als einziger Bildbaustein ihre Farbe.
Der eigentlich als Propagandafilm bei Sergei Eisenstein in Auftrag gegebene Meilenstein für die Filmgeschichte (besonders wichtig durch den Schnitt, die Montage wurde hier als künstlerisches Mittel etabliert), hatte am Abend eher eine dienende Rolle, die Struktur in fünf Akten in Anlehnung an die griechische Tragödie wurde etwas unter den Klangteppich gekehrt.
Stattdessen sehen wir ein Schiff auf hoher See, die je nach Laune der künstlichen Intelligenz (welche insgesamt ihre Sache „gut“ gemacht hat, ein paar Bildartefakte zeigen sich in bewegungsreichen Szenen) zwischen grau-blau und smaragdgrün wechselt. Diese Farbwechsel, manchmal flächig über Konturen hinausgehend erhöhen den surrealen Charakter von Eisensteins unvergesslichen Bildern und lassen das Geschehen traumhaft erscheinen. Aus historischer Sicht ist das vielleicht nicht einmal so verkehrt, da die zu Grunde liegenden historischen Ereignisse aus dem russischen Revolutionskrieg von 1905 zu Gunsten der 20-jährigen Jubiläumsfeierlichkeiten verklärt oder zurechtgebogen wurden. Wir sehen hier, noch eine Stufe mehr als beim Original, kein geschichtliches Dokument, sondern eine aus verschiedenen Zeiten gespeiste Chimäre.
Die Band macht ihre Sache ausgesprochen gut, immer wieder brechen auch sie zu neuen Höhen oder Tonlagen (wie etwa die e-Gitarre, welche zu einer rauschenden Verzerrung wechselt, wenn Gewalt ausbricht). Was fehlt sind, angesichts der knappen 40 Minuten, längere Ruhephasen, in welchen sich unser Ohr an einem Nullpunkt orientieren könnte.
Die künstlerische Intention hinter einem atemlosen Panzerkreuzer, der fast nur aus großen Gruppenszenen (die Koordination so vieler Statisten ist auch aus heutiger Sicht noch beeindruckend), stampfenden Kolben, Gewalt und großen Bildern besteht, ist nachvollziehbar. Es ist ein Panzerkreuzer wie eine Rockband, hat sich vielleicht eine Spur weiter den Musikern angenähert als umgekehrt. Der Panzerkreuzer im Original erinnert mehr an ein Orchester.
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