Cultura | Kommentar
Von Männern, Männern und Frauen
Foto: Privat
„I’m on my way: Women and Civil Rights - La lunga marcia delle donne afroamericane dalla schiavitù alla libertà“ ist der lange Titel des von „La strada - Der Weg“ und dem Friedenszentrum der Stadt Bozen gemeinschaftlich als „Artemisia“ ausgerichteten Konzerts, welches am Samstag Abend die Programmlinie „Il Mondo è Donna“ im Grieser Stadttheater eröffnete. Jedes Jahr soll mit ihr Aufmerksamkeit für bemerkenswerte Frauen auf einem der Kontinente dieser Erde geschaffen werden, heuer blickt man nach Nordamerika. Die Aufgabe über Frauen- und Bürgerrechte zu informieren kam zwei italienischen Blues-Musikern, Fabrizio Poggi (Gesang, Mundharmonika und Überleitungen) und Enrico Polverari („on the Blues-Guitar!“) zu.
Frei nach einem domestizierten Zitat (aus „dig“ wurde „like“, obwohl man im Anschluss ins Italienische übersetzte) von Albert King eröffnete man mit „If you don’t like the Blues you have a hole in your soul“, angelehnt an einen Song von Buddy Guy. Die beiden Künstler zeigten von Beginn an, dass sie Vollblut-Musiker waren, die Überleitung zum nächsten Song, Bob Dylans „I shall be released“, mit Verweis auf die als Protesthymne etablierte Version von Nina Simone. Im Hintergrund ein historischer, afroamerikanischer Protestzug in den USA, sowie rezenterer Proteste im Iran und in Afghanistan, an der Spitze Frauen. Man sprach vom berühmten „I have a dream“ Martin Luther Kings - welchem am Abend mehr das Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit galt als Rosa Parks - und erwähnte die Bürgerrechtlerin Angela Davis oberflächlich. Neues erfuhr man nicht. Dem in Ankündigungen der Veranstalltung an sich selbst Anspruch eines „musikalisch-theatralen Abends“ wurde man nicht gerecht. Politische Inhalte waren nur knapp, in den Überleitungen Thema.
Als dritten Song entschied man sich für eine stampfende und fauchende Version von „Midnight Special“, der „Midnight Train“ hatte stellvertretend für die Underground Railroad zu stehen, zu welcher es eine Erklärung für jene gab, die noch nie vom Befreiungsnetzwerk gehört hatten, das versklavten Menschen am Weg Richtung Kanada und Freiheit half. Harriet Tubman wurde erwähnt und dass es sich nicht wirklich um ein Zugnetzwerk handelte, was dem Song in seiner Interpretation egal war. Poggi stellte neben seiner zwar nicht akzentfreien, aber doch authentischen Blues-Singstimme auch noch seine Fähigkeit an der Mundharmonika unter Beweis und forderte „clap your hands to save your souls“ vom Publikum ein, welches noch öfters zum Mitklatschen animiert werden sollte. Auch Polverari bewies zu den besten Blues-Gitarristen Italiens zu zählen, sollte im Laufe des Abends aber mehrheitlich nur Instrumentalist bleiben.
Beim Stichwort Seelenrettung wechselte man zu einem Spiritual zum Mitsingen: „Now is the needed time“, einem Klassiker, den es in verschiedensten Versionen gibt und, direkt im Anschluss „I’m on my way to Freedom Land“, ein Song welcher der Underground Railroad in seiner ursprünglichen Form wohl zeitlich vorausging (bei mündlich tradierten Liedern ist die Quellenlage schwierig) aber zumindest in engerer Beziehung mit dem Netzwerk steht und als ein „Going to Canaan“-Song, mit der Sehnsucht nach einem gelobten Land, hierzu besser gepasst hätte.
Hier wurde das Lied aber der historischen Weigerung Rosa Parks am 1. Dezember ihren Platz im Bus einem weißen Fahrgast zu räumen gewidmet. Parks wurde stark paraphrasiert auf italienisch zitiert, problematischer noch die nächste Anmoderation mit Lied: Poggi bemühte, in Bezug auf die Bürgerrechtlerin Coretta Scott, die er sogleich als MLKs Frau vorstellte den alten Allgemeinplatz „Hinter jedem großen Mann steht eine Frau die an ihn glaubt“. Statt über ihre eigenen Erfolge zu reden, wurde Coretta Scott King über ihren Mann definiert, dazu das religiöse Lied „The soul of a man“.
Überhaupt gab es einen Wechsel mehr hin zu religiösen und weg von spirituellen Liedern, „I hear the Angels singing“, zu welchem man allzu knapp vom Alabama Church Bombing am 15. September 1963 sprach und, gleich von Beginn weg zum Mitklatschen aufforderte. Die vier verstorbenen Mädchen aus dem Kirchenchor seien die Engel, welche Poggi nun singen höre. Wohl gut gemeint, aber doch sehr taktlos, hier für Mitklatsch-Stimmung zu sorgen.
Es ging weiter mit tendenziell männlichem Fokus, mit dem Lied das Mahalia Jackson auf MLKs Beerdigung sang „Take my Hand, Precious Lord“, seinem Lieblingslied. Der Fokus lag auch hier nicht auf der Version Jacksons, sonder auf King.
Nach „I want Jesus to walk with me“, zu welchem Poggi von einem Gespräch mit Sheena, einer jungen Bürgerrechts-Demonstrantin sprach, ein Protestsong gegen George C. Wallace, für vier Amtszeiten Gouverneur in Alabama und unnachgiebiger Befürworter der Trennung von Schwarzen und Weißen an Schulen. Es wurde etwas historisches Halbwissen geteilt, nach dem Song wurden Erinnerungen an den eigenen Zugang zum Blues geteilt, der bei Poggi, wohl zeitbedingt, rein männlich war: Die Rolling Stones, Eric Clapton und Billy Joel wurden genannt. Auch, dass Poggi 2018 bei den Grammys als bislang einziger Italiener für das beste traditionelle Blues Album nominiert war, aber nach den Stones auf Platz Zwei landete.
Mit einer weiteren Widmung die wenig mit dem folgenden Lied zu tun hatte, stellte Poggi einen eigenen Song „I’m on the road again“, nach welchem die beiden Musiker Werbung für ihre CD machten und, als letzter regulärer Song „Amazing Grace“, von welchem Poggi vor acht Jahren eine Performance am Grab MLKs auf YouTube gestellt hatte.
Am Ende des Konzerts, welches einfach nur als Blues Konzert wohl unproblematisch und wohl auch populärer gewesen wären, verabschiedeten sich die beiden weißen Männer vom weißen Publikum mit einer weiteren Mitsing-Nummer: „Don’t let Nobody turn off your light“. Schade, dass es am Ende mehr um Männer denn um Frauen ging und dass man sich bei einer so breiten und vielschichtigen Thematik wie den Schwarzen Bürgerrechtsbewegungen oberflächlich an einigen sicheren, allgemein bekannten Figuren zwischen Stücken mehrheitlich männlicher Interpreten entlang hangelte, statt in die Tiefe zu gehen und wirklich weibliche Wegbereiterinnen zu würdigen, ohne diese über die Männer in ihrem Leben zu definieren.
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