"Faccio design per capire cos'é"
Er ist Venezianer mit Leib und Seele. Giorgio Camuffo kennt die Lagunenstadt wie kaum ein anderer - ihre verborgenen Winkel ebenso wie die von unablässigen Touristenströmen geplagten Plätze und Gassen. Natürlich weiß der 60-jährige, dass die Wandlung Venedigs zu einem touristischen Disneyland unumkehrbar ist. Doch weil ihn scheinbar Aussichtsloses reizt, gründete er eine Zeitschrift mit dem Titel Venice is not sinking : "Una rivista di resistenza cittadina, che racconta Venezia nei suoi aspetti più interessanti e curiosi, e si pone contro l’idea che Venezia stia affondando. Una convinzione, che Venezia esiste solo grazie ai veneziani e se a loro è concesso di viverla. Seine Initiative wertet er als "denuncia, per non cedere al necrologio della città." Über Jahre lehrte Camuffo comunicazione visiva an der Facoltá delle belle arti der Cá Foscari.
Seit acht Jahren ist er Professor für Visuelle Kommunikation an der Universität Bozen : "Faccio design per capire cos'é", versichert er. „Ich lerne von meinen Studenten."
Der wegen seiner umgänglichen Art und seiner unerschöpflichen Kreativität geschätzte Professor liebt es, Wechselwirkungen auf den Grund zu gehen - zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen der Stadt und ihren Bewohnern, zwischen Kunst und Gesellschaft: "Mi offro da ponte." Camuffo ist das exakte Gegenteil eines verschlossenen Menschen: wie ein Schwamm nimmt er unablässig und interessiert auf, was er sieht und hört, was ihm begegnet und auf ihn zukommt.
In Bozen fühlt er sich durchaus wohl: "Mi sento un ospite benvoluto. La cittá mi ha accolto bene e mi ha dato tante opportunitá." Er schätzt die Lebensqualität, die Pflege der Identität, die Autonomie. Freilich nur, soweit sie nicht zum Selbstzweck verkommen und die Einigelung fördern.
Camuffo-Illustration für Bodoni-Buch
Giorgio Camuffo kann auf ein eindrucksvolles Curriculum zurückblicken: er war Promotor unzähliger Kulturinitiativen in Venedig und Umgebung, Initiator des dortigen „Festivals della grafica", Gründer der originellen Kulturzeitschrift sugo. Unter Oliviero Toscani war er Vizedirektor der Benetton-Denkfabrik fabrica, derzeit gehört er dem wissenschaftlichen Komitee der Triennale di Milano an. In Kürze erscheint ein von ihm bestechend illustriertes Buch über den 1740 geborenen Buchdrucker und Graveur Giambattista Bodoni. Mit gewohnt unerschöpflicher Phantasie führt er darin ein fiktives Gespräch mit dem 1515 in Venedig gestorbenen Verleger und Humanisten Aldo Pio Manuzio. Die Vermischung von Realität und Fiktion ist Bestandteil seiner kreativen Welt.
Camusso versteht Design als „soziale Tätigkeit" und verfolgt das Ziel, die Barrieren zwischen Universität und Stadt nach Möglichkeit zu eliminieren. Dieser Absicht dienen mit städtischen Vereinen konzipierte Projekte wie Esponiamoci oder für Kinder offene workshops wie Come on kids. Das dreijährige Projekt EDDES mit dem Brixner Uni-Campus zielt auf eine Zusammenarbeit zwischen Designern, Pädagogen und Erziehern.
Dem stets aufmerksamen Beobachter seines gesellschaftlichen Umfelds gehen die Ideen nie aus. Im Gegenteil - Camuffo besticht nicht nur durch seine umfassende Bildung, sondern auch durch die Originalität seiner Einfälle und kreativen Ansätze. Aus der Arbeit mit seinen Studenten bezieht er immer neue Anregungen. 12 Bachelorarbeiten betreut er allein in diesem Jahr. Das sei zwar aufwendig, gesteht er lächelnd. „Doch die Universität lebt nun einmal von der positiven Wechselwirkung zwischen Lehrenden und Lernenden."