Economia | Gastbeitrag von Peter Hilpold

Die regionale Dimension

Der Innsbrucker Universitätsprofessor Peter Hilpold sprach am ersten Tag auf Schloss Prösels über die Überwindung der Finanzkrise unter besonderer Berücksichtigung der regionalen Dimension. Hier ein erster Auszug aus seinem Referat.

Europaweit macht sich Hoffnung breit. Die Finanz- und Schuldenkrise hat an Schärfe verloren. Die Konjunkturindikatoren zeigen nach oben und die Börsen erreichen neue Höchststände. Und dennoch: Wahre Begeisterung will sich nicht einstellen. IWF-Direktorin Christine Lagarde hat gewarnt, dass die Erholung möglicherweise nicht nachhaltig sei ( IWF-Chefin Lagarde: Krise nicht vorbei - Warnung vor 'trügerischer Sicherheit', Handelsblatt, Online-Ausgabe v. 12.5.2014).

Eine noch nie dagewesene Geldschwemme hat Ärgstes verhindert, doch die tiefer liegenden Probleme wurden nicht gelöst: Europa hat ein Schuldenproblem, das es mit den USA und Japan teilt und es hat ein Wachstumsproblem, das besonders akut ist. Hohe Verschuldung und fehlendes Wachstum hängen aber eng zusammen: Es ist empirisch nachweisbar, dass Staaten mit hoher Verschuldung geringere Wachstumsraten aufweisen, während in der Krise Maßnahmen zur Wachstumsförderung regelmäßig nur schuldenfinanziert möglich sind.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist im Jahr 2007 von den USA ausgegangen. Sie war für Europa wie ein externer Schock. Es ist aber offensichtlich, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion nicht darauf vorbereitet war. Die Krise hat die Konstruktionsschwächen dieses Systems schonungslos offengelegt und gezeigt, dass die EU selbst noch in vielerlei Hinsicht eine Baustelle ist. Es kann gezeigt werden, dass die Fragen über die Zukunft des europäischen Föderalverbundes Grundthemen berühren, die auch im Verhältnis zwischen Zentrale und Peripherie, zwischen Nationalstaat und Region immer wieder zutage treten. Erfahrungen, die mit dem Regionalismus insbesondere in Europa gemacht wurden, können damit von großem Wert für die Gestaltung der EWWU sein und umgekehrt.

Die EWWU : Ursprung und Sündenfall

Die EWWU, so wie sie im Vertrag von Maastricht grundgelegt ist, ist asymmetrischer oder „hinkender“ Natur mit einer in der Endphase völlig vergemeinschafteten Währungsunion und einer Wirtschaftsunion, die in Wirklichkeit keine ist. In Art. 121 AEUV ist nämlich allein vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten „ihre“ Wirtschaftspolitik als eine „Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ betrachten. Schon zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des Vertrages von Maastricht gab es gewichtige Stimmen in der Wissenschaft, die Zweifel daran äußerten, ob diese „weiche“ Koordinierungsverpflichtung den Anforderungen der „harten“ Währungsunion gerecht werden würde (So bspw. in Innsbruck Karl Socher und Theresia Theurl).

Auf geeignete Absicherungsmaßnahmen drängte insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, die um die Errungenschaften ihrer Stabilitätspolitik fürchtete. Im Jahr 1997 wurden deshalb die sog. Konvergenzkriterien (maximal 3% jährliche Neuverschuldung bezogen auf das BIP, maximal 60% Gesamtverschuldung, wiederum bezogen auf das BIP), zu permanenten Stabilitätskriterien erhoben und mit einem Überwachungs- und Sanktionssystem verbunden. Es war dies der SWP.

Dieser Mechanismus wies von Anfang an gravierende Schwächen auf, so lag der Schwerpunkt der Aufsicht bei der Neuverschuldung und nicht beim Gesamtschuldenstand. Weiters wurde der länderspezifischen Situation zu wenig Rechnung getragen.

Es waren paradoxerweise Deutschland und Frankreich, die – selbst nicht in der Lage, die Stabilitätskriterien zu erfüllen - im Jahr 2003 den Sündenfall begingen, eine Aufweichung dieser Kriterien zu fordern. Diese Forderung wurde von den übrigen Mitgliedstaaten bereitwillig aufgenommen und führte im Jahr 2005 zur Abschwächung des SWP. Nach außen hin wurden diese Änderungen als Anpassung an individuelle Gegebenheiten verkauft, tatsächlich wurde der Stabilitätspakt damit weitgehend wertlos. Bedenkliche Parallelen zur jetzigen Diskussion über eine weitere Reform des SWP werden damit deutlich.

Die Finanzkrise 2007-2008 traf somit die Euro-Staaten völlig unvorbereitet. In Zeiten guter Konjunktur waren keine Rücklagen gebildet worden. Nun waren es die Märkte, die die einzelnen Euro-Staaten auf ihre Schuldentragungsfähigkeit und ihre Wachstumsperspektiven prüften und sie stellten vielen dieser Staaten ein schlechtes Zeugnis aus. Hatte zuvor die
durch den Euro geschaffene Stabilitätsillusion zu einer weitgehenden Zinskomprimierung geführt, so dass sich alle Euro-Staaten Fremdkapital zu Vorzugsbedingungen beschaffen konnten, so blickten die Kapitalgeber nunmehr genauer hin und fragten:
- Zu welchem Zweck sind die Schulden aufgenommen worden? Wurde das Kapital produktiv veranlagt?
- Wie hoch ist der Schuldenstand?
- Ist dieser, auch angesichts der gegebenen Wachstumsperspektiven, langfristig tragbar?
Und siehe da: In Spanien war mit Fremdkapital eine Immobilienblase finanziert worden, in Irland ein überdimensioniertes Bankensystem und in verschiedenen Mittelmeerstaaten, insbesondere aber in Griechenland, hatte die Regierung einen enormen öffentlichen Sektor geschaffen, der einen konsistenten Teil der Bevölkerung versorgte, aber über weite Strecken unproduktiv blieb. Nun enthielt der AEUV zwar Sicherungsklauseln (so die sog. no-bail-out-Klausel in Art. 125), aber die Märkte nahmen diese nicht wahr oder vertrauten darauf, dass letztlich auch die Sünderländer gerettet würden.

In der großen Finanz- und Wirtschaftskrise sind all diese Ungereimtheiten, Halbherzigkeiten und Formelkompromisse voll zum Tragen gekommen. Die EWWU war in einer Schönwetterperiode für eine Schönwetterperiode geschaffen worden. Die um ihre Wiederwahl bemühten Politiker hatten dem Kontrollmechanismus 2005 den letzten Biss genommen. Die Kapitalmärkte entdeckten nun plötzlich die Imperfektionen dieses Systems und sie reagierten – wie dies für Kapitalmärkte typisch ist – exzessiv mit enormen Zinsaufschlägen für die „Sünder“staaten, die die Krise weiter verschärften.

Rettung der EWWU?

Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben auf diese Herausforderung reagiert, wobei die Rettungsmaßnahmen als solche bekanntlich erfolgreich verlaufen sind. Dieser Rettungsprozess verlief über mehrere Etappen, was angesichts einer anfänglich beschränkten Wirksamkeit der Maßnahmen zuerst die Märkte weiter verunsicherte. Dieses Herantasten an eine Lösung war aber – rückblickend betrachtet – durchaus rational: Die EU und ihre Mitgliedstaaten navigierten auf Sicht, alle gängigen ökonomischen Theorien hatten versagt, eine Krise dieser Dimension hatte niemand antizipiert.
Die Instrumente zur Rettung des Euro sind bekannt:
- Es gab Soforthilfen für Griechenland
- Es wurde ein Rettungsschirm über die am meisten bedrohten Volkswirtschaften gespannt (EFSM und EFSF – für Griechenland, Irland und Portugal)
- Mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM wurde ein dauerhafter Rettungsmechanismus gleich dem Internationalen Währungsfonds geschaffen, der über ein Kapital von 700 Millionen Euro verfügt.
- Der definitive, entscheidende Baustein wurde im Sommer 2012 durch EZB-Präsident Mario Draghi gesetzt, der das Outright-Monetary-Transaction-Programm (OMT-Programm) ankündigte, wonach die EZB bei Bedarf unbeschränkt Anleihen am Sekundärmarkt ankaufen würde, wenn gleichzeitig eine Rettungsfazilität genutzt (und damit ein Anpassungsprogramm durchlaufen) wird.
- Parallel dazu wurden innerhalb und außerhalb des EU-Rechts dauerhafte Vorkehrungen getroffen, um eine Wiederholung der Krise für die Zukunft auszuschließen, so mit Six-Pack und dem Twopack, die den SWP wiederum verschärften und dem Fiskalpakt, der insbesondere die Haushaltsdisziplin und den Schuldenabbau regelt. An Elementen einer Bankenunion wird gearbeitet.

Teil 2 des Referats von Peter Hilpold folgt morgen, Montag.