Die regionale Dimension
Europaweit macht sich Hoffnung breit. Die Finanz- und Schuldenkrise hat an Schärfe verloren. Die Konjunkturindikatoren zeigen nach oben und die Börsen erreichen neue Höchststände. Und dennoch: Wahre Begeisterung will sich nicht einstellen. IWF-Direktorin Christine Lagarde hat gewarnt, dass die Erholung möglicherweise nicht nachhaltig sei ( IWF-Chefin Lagarde: Krise nicht vorbei - Warnung vor 'trügerischer Sicherheit', Handelsblatt, Online-Ausgabe v. 12.5.2014).
Eine noch nie dagewesene Geldschwemme hat Ärgstes verhindert, doch die tiefer liegenden Probleme wurden nicht gelöst: Europa hat ein Schuldenproblem, das es mit den USA und Japan teilt und es hat ein Wachstumsproblem, das besonders akut ist. Hohe Verschuldung und fehlendes Wachstum hängen aber eng zusammen: Es ist empirisch nachweisbar, dass Staaten mit hoher Verschuldung geringere Wachstumsraten aufweisen, während in der Krise Maßnahmen zur Wachstumsförderung regelmäßig nur schuldenfinanziert möglich sind.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist im Jahr 2007 von den USA ausgegangen. Sie war für Europa wie ein externer Schock. Es ist aber offensichtlich, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion nicht darauf vorbereitet war. Die Krise hat die Konstruktionsschwächen dieses Systems schonungslos offengelegt und gezeigt, dass die EU selbst noch in vielerlei Hinsicht eine Baustelle ist. Es kann gezeigt werden, dass die Fragen über die Zukunft des europäischen Föderalverbundes Grundthemen berühren, die auch im Verhältnis zwischen Zentrale und Peripherie, zwischen Nationalstaat und Region immer wieder zutage treten. Erfahrungen, die mit dem Regionalismus insbesondere in Europa gemacht wurden, können damit von großem Wert für die Gestaltung der EWWU sein und umgekehrt.
Die EWWU : Ursprung und Sündenfall
Die EWWU, so wie sie im Vertrag von Maastricht grundgelegt ist, ist asymmetrischer oder „hinkender“ Natur mit einer in der Endphase völlig vergemeinschafteten Währungsunion und einer Wirtschaftsunion, die in Wirklichkeit keine ist. In Art. 121 AEUV ist nämlich allein vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten „ihre“ Wirtschaftspolitik als eine „Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ betrachten. Schon zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des Vertrages von Maastricht gab es gewichtige Stimmen in der Wissenschaft, die Zweifel daran äußerten, ob diese „weiche“ Koordinierungsverpflichtung den Anforderungen der „harten“ Währungsunion gerecht werden würde (So bspw. in Innsbruck Karl Socher und Theresia Theurl).
Auf geeignete Absicherungsmaßnahmen drängte insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, die um die Errungenschaften ihrer Stabilitätspolitik fürchtete. Im Jahr 1997 wurden deshalb die sog. Konvergenzkriterien (maximal 3% jährliche Neuverschuldung bezogen auf das BIP, maximal 60% Gesamtverschuldung, wiederum bezogen auf das BIP), zu permanenten Stabilitätskriterien erhoben und mit einem Überwachungs- und Sanktionssystem verbunden. Es war dies der SWP.
Dieser Mechanismus wies von Anfang an gravierende Schwächen auf, so lag der Schwerpunkt der Aufsicht bei der Neuverschuldung und nicht beim Gesamtschuldenstand. Weiters wurde der länderspezifischen Situation zu wenig Rechnung getragen.
Es waren paradoxerweise Deutschland und Frankreich, die – selbst nicht in der Lage, die Stabilitätskriterien zu erfüllen - im Jahr 2003 den Sündenfall begingen, eine Aufweichung dieser Kriterien zu fordern. Diese Forderung wurde von den übrigen Mitgliedstaaten bereitwillig aufgenommen und führte im Jahr 2005 zur Abschwächung des SWP. Nach außen hin wurden diese Änderungen als Anpassung an individuelle Gegebenheiten verkauft, tatsächlich wurde der Stabilitätspakt damit weitgehend wertlos. Bedenkliche Parallelen zur jetzigen Diskussion über eine weitere Reform des SWP werden damit deutlich.
Die Finanzkrise 2007-2008 traf somit die Euro-Staaten völlig unvorbereitet. In Zeiten guter Konjunktur waren keine Rücklagen gebildet worden. Nun waren es die Märkte, die die einzelnen Euro-Staaten auf ihre Schuldentragungsfähigkeit und ihre Wachstumsperspektiven prüften und sie stellten vielen dieser Staaten ein schlechtes Zeugnis aus. Hatte zuvor die
durch den Euro geschaffene Stabilitätsillusion zu einer weitgehenden Zinskomprimierung geführt, so dass sich alle Euro-Staaten Fremdkapital zu Vorzugsbedingungen beschaffen konnten, so blickten die Kapitalgeber nunmehr genauer hin und fragten:
- Zu welchem Zweck sind die Schulden aufgenommen worden? Wurde das Kapital produktiv veranlagt?
- Wie hoch ist der Schuldenstand?
- Ist dieser, auch angesichts der gegebenen Wachstumsperspektiven, langfristig tragbar?
Und siehe da: In Spanien war mit Fremdkapital eine Immobilienblase finanziert worden, in Irland ein überdimensioniertes Bankensystem und in verschiedenen Mittelmeerstaaten, insbesondere aber in Griechenland, hatte die Regierung einen enormen öffentlichen Sektor geschaffen, der einen konsistenten Teil der Bevölkerung versorgte, aber über weite Strecken unproduktiv blieb. Nun enthielt der AEUV zwar Sicherungsklauseln (so die sog. no-bail-out-Klausel in Art. 125), aber die Märkte nahmen diese nicht wahr oder vertrauten darauf, dass letztlich auch die Sünderländer gerettet würden.
In der großen Finanz- und Wirtschaftskrise sind all diese Ungereimtheiten, Halbherzigkeiten und Formelkompromisse voll zum Tragen gekommen. Die EWWU war in einer Schönwetterperiode für eine Schönwetterperiode geschaffen worden. Die um ihre Wiederwahl bemühten Politiker hatten dem Kontrollmechanismus 2005 den letzten Biss genommen. Die Kapitalmärkte entdeckten nun plötzlich die Imperfektionen dieses Systems und sie reagierten – wie dies für Kapitalmärkte typisch ist – exzessiv mit enormen Zinsaufschlägen für die „Sünder“staaten, die die Krise weiter verschärften.
Rettung der EWWU?
Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben auf diese Herausforderung reagiert, wobei die Rettungsmaßnahmen als solche bekanntlich erfolgreich verlaufen sind. Dieser Rettungsprozess verlief über mehrere Etappen, was angesichts einer anfänglich beschränkten Wirksamkeit der Maßnahmen zuerst die Märkte weiter verunsicherte. Dieses Herantasten an eine Lösung war aber – rückblickend betrachtet – durchaus rational: Die EU und ihre Mitgliedstaaten navigierten auf Sicht, alle gängigen ökonomischen Theorien hatten versagt, eine Krise dieser Dimension hatte niemand antizipiert.
Die Instrumente zur Rettung des Euro sind bekannt:
- Es gab Soforthilfen für Griechenland
- Es wurde ein Rettungsschirm über die am meisten bedrohten Volkswirtschaften gespannt (EFSM und EFSF – für Griechenland, Irland und Portugal)
- Mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM wurde ein dauerhafter Rettungsmechanismus gleich dem Internationalen Währungsfonds geschaffen, der über ein Kapital von 700 Millionen Euro verfügt.
- Der definitive, entscheidende Baustein wurde im Sommer 2012 durch EZB-Präsident Mario Draghi gesetzt, der das Outright-Monetary-Transaction-Programm (OMT-Programm) ankündigte, wonach die EZB bei Bedarf unbeschränkt Anleihen am Sekundärmarkt ankaufen würde, wenn gleichzeitig eine Rettungsfazilität genutzt (und damit ein Anpassungsprogramm durchlaufen) wird.
- Parallel dazu wurden innerhalb und außerhalb des EU-Rechts dauerhafte Vorkehrungen getroffen, um eine Wiederholung der Krise für die Zukunft auszuschließen, so mit Six-Pack und dem Twopack, die den SWP wiederum verschärften und dem Fiskalpakt, der insbesondere die Haushaltsdisziplin und den Schuldenabbau regelt. An Elementen einer Bankenunion wird gearbeitet.
Teil 2 des Referats von Peter Hilpold folgt morgen, Montag.
Eine sehr technische
Eine sehr technische Erklärung, die leider die Grundfunktionsweise einer keynesianischen Wirtschaftssteuerung (antizyklisches Investieren/Sparen) nicht erklärt oder mitberücksichtigt.
Auch dürfte es sich bei "Es ist empirisch nachweisbar, dass Staaten mit hoher Verschuldung geringere Wachstumsraten aufweisen" wohl um die sehr umstrittene Studie der Neoklassiker Reinhart und Rogoff (2010), "Growth in a time of debt" handeln, bei der neben einer etwas zu auffälligen Selektion der Daten auch die nicht nachvollziehbare Gewichtung problematisch sein dürfte. Nichtsdesdotrotz hatte diese Studie politisch motiviert große Resonanz und wurde auf der ganzen Welt verwendet um Austeritätspolitik zu begründen.
Letztlich ist Wachstum nicht von der Höhe der Schulden der Staaten (der Korrektheit halber müssten auch die Schulden der Unternehmen und Haushalte in die Evaluierung miteinfließen, deren Investitionsneigung bei hoher Verschuldung ebenfalls nachässt, damit es wenigstens ein bißchen Sinn ergeben würde), sondern von der Bereitschaft des Staates abhängig, eine schwächelnde Konjunktur abzufangen. Da wir uns aber in Europa spätestens seit den 90ern in einer großteils gesättigten Wirtschaft befinden, in der die Einkommen der Bevölkerung als auch Bildungsgrad kaum mehr steigen, kommt das Wachstum, an das wir uns als Lösung alles Probleme (Arbeitslosigkeit, Verteilungsfragen, steigende Sozialkosten durch zB bessere medizinische Möglichkeiten...) so sehr gewöhnt haben, nur noch als kleines Rinnsal, gespeist von technischer Innovation und Effizienzsteigerung daher. Da wir eben 2000-2007 nicht so ganz realisiert haben, dass das eine Hochphase der Konjunktur war (die Wachstumsraten waren geringer als in den 90ern), dachten die Regierungen, die müssten mehr investieren, um die damals als schwächelnde Konjunktur wahrgenommenen Wachstumsraten zu steigern. Folgerichtig wurden kaum Rücklagen gebildet, die wir in der Zeit der Krise hätten verwenden können. Der Versuch gerade in der der Krise Staatsausgaben einzuschränken um durch gesunkene Verschuldung wie durch Zauberhand eine bessere Konjunktur heraufzubeschwören ist wohl eher als Vodoo-Ökonomie zu klassifizieren (mit Anleihen an die Logik von religiösen Institutionen und Cargo-Kulten).
Als Konsequenz sollten wir aber nicht die Konstruktion der keynesiansichen Wirtschaftspolitik, sondern unser Verständnis und unsere Abhängigkeit von einem Wachstum hinterfragen, auf das wir uns in Zukunft wohl noch weit weniger verlassen können werden als bisher. Wir müssen neue ökonomische Modelle und Lösungen finden, die es uns erlauben, eine soziale und gerechte Gesellschaft auch bei wirtschaftlicher Stagnation aus dem aktuellen zugegebenermaßen sehr hohen Niveau zu gewährleisten.
Als Leseempfehlung kann ich allen Interessierten dabei Tim Jacksons "Prosperity without growth" ans Herz legen, das für sehr viel Diskussion in den Wirtschaftswissenschaften gesorgt hat udn ähnlich wie Pickettys "capital in the 21th century" sehr gut und sachlich recherchiert ist.
In risposta a Eine sehr technische di Kurt Spornberger
ich schwöre, ich hatte das
ich schwöre, ich hatte das Lesen erleichternde Absätze in den Text eingebaut ;-(
In risposta a Eine sehr technische di Kurt Spornberger
Das stimmt so nicht ganz,
Das stimmt so nicht ganz, Kurt Spornberger. Von der keynesianischen Wirtschaftspolitik ist man auf europäischer Ebene doch schon längst abgekommen. Die Rettung des Euro als Ausdruck keynesianischer Wirtschaftssteuerung zu sehen, erachte ich als gewagt. Es war vielmehr genau umgekehrt: Das Schuldenproblem ist deshalb entstanden, da zuvor keynesianische Wirtschaftspolitik betrieben worden bzw. weil Kenynes missverstanden worden ist oder dazu benutzt wurde, eine verschwenderische Haushaltspolitik zu betreiben.
Du möchtest "die Abhängigkeit vom Wachstum hinterfragen". Solange immer mehr Menschen den legitimen Anspruch erheben, zu essen, ein schwieriges Unterfangen.
Pickettys "Capital in the 21th" ist sicherlich ein interessantes Buch, hat aber eine sehr kontroversielle Diskussion ausgelöst und selbst wenn man den Thesen Pickettys folgen wollte, ist nicht ersichtlich, was dieses Werk unmittelbar für die Lösung der europäischen Schuldenproblematik bringen sollte.
In risposta a Das stimmt so nicht ganz, di klaus heinz
Wenn Sie sich meinen Beitrag
Wenn Sie sich meinen Beitrag nochmals durchlesen, werden Sie feststellen, dass ich die Euro-Rettung gerade nicht als antizyklische Investitionspolitik vestanden haben möchte, da sie nur wenige Wirtschaftssektoren betraf, die Realwirtschaft aber im Stich ließ. Das Schuldenproblem wurde gerade durch die Bankenrettung extrem verschärft. Außerdem habe ich doch aufgezeigt, dass durch die Fehlinterpretation der 2000er Jahre als unterzyklisch es zu keiner Konsolidierung gekommen ist, wie Keynes sie verlangen würde. Zinssätze wurden auch in guten Zeiten schrittweise nach unten verlegt und damit ein vermeintliches Wachstum im Dienstleisungsektor angeheizt, das sich im Nachhinein als (Finanz-)Blase entpuppt hat.
Picketty habe ich nur als Vergleich zu Jachson herangezogen, aber das scheint auf Sie als Reizwort stärker reagiert zu haben als ich das beabsichtigt hatte. Aber auch Ihre Antwort bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass wir alternative Lösungen für die Probleme finden müssen, die wir heute mit mehr Wachstum in den Griff zu bekommen versuchen. Denn so oder so, wird das erwartete Wachstum ausbleiben, da Ressourcen zur Neige gehen, durch stagnierende Löhne die Nachfrage nicht steigt, da Märkte im Inland großteils gesättigt sind und wie in Griechenland und Italien der letzten Jahre eher kontrahieren als neue Wachstumschancen zu offenbaren. Alte neoklassische Modelle, die von nicht gesättigten Märkten ausgehen sind nicht mehr applizierbar. Wenn wir also in Zukunft für immer mehr Menschen den "legittimen Anspruch zu essen" erfüllen wollen werden wir uns damit auseinandersetzen müssen anstatt auf "trickle down" eines Wachstums zu vertrauen, das offensichtlich ausbleibt. Wohlgemerkt, ich spreche dabei von den Volkswirtschaften der sogenannten Industrieländer. Für die Länder des globalen Südens ist Wachstum nach wie vor ein akzeptables Ziel, da dort mit steigender Produktion im Optimalfall auch die Märkte noch wachsen können und ein höheres Wohlstandsniveau auch andere Vorteile bringt (wie eine aktivere Zivilgesellschaft). Damit diese aber wachsen können werden wir in unserem Ressourcenverbrauch nicht nur effizienter, sondern auch genügsamer werden müssen.
Bitte lesen Sie sich meinen ersten Beitrag nochmals durch, ausgehend von ihrer Kritik glaube ich nicht, dass sie ihn sinnerfassend verstanden haben.