Cronaca | deutschland-china

Doppelagent in den Dolomiten

In Deutschland wird ein Mann verhaftet, der auch für China spioniert haben soll. Warum ein kleines Dorf in Südtirol dabei keine unwesentliche Rolle spielt.
Spion
Foto: Sergiu Nista on Unsplash

“Klaus L. war gerade erst von einem Aufenthalt in Italien zurückgekehrt, als die Polizei vor seiner Wohnungstür stand und ihn festnahm. Die Bundesanwaltschaft wirft L. vor, für den chinesischen Geheimdienst spioniert zu haben.” So könnte ein spannender Spionage-Roman beginnen. In Wirklichkeit aber sind dies die ersten Sätze einer Nachrichtenmeldung, die die ARD am frühen Dienstag Morgen lanciert. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios soll Klaus L. nun in München wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit vor Gericht. Dabei spielt auch ein kleines Dorf am Rande der Südtiroler Dolomiten eine nicht unbedeutende Rolle.

 

Institut als Tarnung?

 

Dank minutiöser Investigativarbeit gelingt es ARD-Journalist Michael Götschenberg, den Werdegang des Politologen Klaus L. nachzuerzählen: Demnach hat der heute 75-Jährige jahrzehntelang ein Doppelleben geführt. Neben seiner Tätigkeit als Mitarbeiter der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung war er als Spion für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) tätig. Auch nach der Pensionierung ging die Spionagetätigkeit weiter – unter anderem über einen eigens gegründeten Think Tank, das “Institut für Transnationale Studien”, das er als Direktor leitete. “Der BND soll bei Veranstaltungen mit internationalen Referenten immer mit am Tisch gesessen und die Gäste ‘abgeschöpft’ haben”, erklärt Götschenberg die Methode. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei dem Institut um eine Tarninstitution des BND handelte. Vonseiten des Nachrichtendienstes habe es auf eine Anfrage der ARD dazu geheißen: No comment.

Was hingegen sehr wohl bekannt ist, ist der Sitz des “Instituts für transnationale Studien”: Klaus L. habe es sowohl von seinem Haus im bayerischen Landshut betrieben, vor allem aber in einem Anwesen in Südtirol, das auch über Seminarräume verfügte”. Eine kurze Recherche reicht, um herauszufinden: Ein Sitz des ITS-Institut für Transnationale Studien/Institute for Transnational Studies ist seit 2011 im kleinen Pusterer Dorf Gais. “Aktuell wird es von Klaus Lange und Karin Knapp geleitet und ist im Sektor der Beratertätigkeit für internationale Politik aktiv”, heißt es auf der italienischsprachigen Wikipedia-Seite zu Gais – mit Verweis auf die Webseite des Instituts, die allerdings nicht online ist. (Update 7. Juli, 8 Uhr: Die zweite Person, die das ITS leitet, ist nicht Karin Knapp, sondern Langes Ehefrau Klara Knapp.)

 

Konferenzen in Südtirol

 

Auch das Onlineportal formiche.net greift die Nachricht am Dienstag auf. Dort listet man einige der Veranstaltungen auf, die das Institut von 2011 bis 2018 in Südtirol durchgeführt hat: eine Konferenz zu den “Dynamiken Südasiens”, eine zur “somalischen Piraterie” im chinesischen Meer; Konferenzen zum Iran oder Myanmar.

2010 – ein Jahr bevor der Sitz des “Instituts für transnationale Studien” in Gais eröffnet wurde – sei laut ARD-Bericht, der chinesische Geheimdienst auf Klaus L. zugetreten. Von da an stand er in Kontakt mit den Chinesen – für seine Informationstätigkeiten habe er Reisekosten und ein einzelnes Honorar erhalten. ARD-Journalist Götschenberg schreibt: “Ob der chinesische Dienst von L.s Verbindungen zum BND wusste, ist unklar. Er soll jedoch keine BND-Interna verraten haben. Ursprünglich sollen die Chinesen beabsichtigt haben, L. auf den Weltkongress der Uiguren anzusetzen, der seinen Sitz in München hat. Doch darauf soll er sich nicht eingelassen haben.”

 

Agent in zweierlei Diensten

 

Klaus L. habe laut ARD-Informationen dem BND von seiner Spionagetätigkeit für die Chinesen berichtet – zumindest anfänglich. Nach den Medienberichten reagiert der deutsche Generalbundesanwalt mit einer Aussendung – und bestätigt:

“Die Bundesanwaltschaft hat am 20. Mai 2021 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München Anklage gegen
den deutschen Staatsangehörigen Dr. Klaus L.
wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit erhoben. Dieser wurde am 5. Juli 2021 festgenommen. Grundlage für die Festnahme ist ein Haftbefehl des Oberlandesgerichts München vom 21. Juni 2021, dessen Erlass die Bundesanwaltschaft zusammen mit der Anklageerhebung wegen des Vorwurfs der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 StGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG) beantragt hatte.
In der Anklageschrift ist im Wesentlichen folgender Sachverhalt dargelegt:
Dr. Klaus L. ist Politologe und betrieb seit 2001 einen sogenannten Thinktank. Diesem verhalf der Angeschuldigte aufgrund seiner wissenschaftlichen Reputation und über lange Jahre aufgebauter Netzwerke zu internationaler Bedeutung. Anlässlich einer Vortragsreise nach Schanghai im Juni 2010 traten Angehörige eines chinesischen Nachrichtendienstes mit dem Angeschuldigten in Kontakt, um ihn für eine Mitarbeit zu gewinnen. In der Folgezeit bis November 2019 übermittelte der Angeschuldigte dem chinesischen Geheimdienst im Vorfeld oder Nachgang von Staatsbesuchen oder multinationalen Konferenzen sowie zu bestimmten aktuellen Fragestellungen regelmäßig Informationen. Diese beschaffte er vorrangig von seinen zahlreichen, über das Institut gewonnenen hochrangigen politischen Ansprechpartnern. Als Gegenleistung wurden dem Angeschuldigten die Reisen zu den jeweiligen Treffen mit den chinesischen Nachrichtendienstmitarbeitern einschließlich eines Rahmenprogramms finanziert; zudem erhielt er ein Honorar.
Der Angeschuldigte wird im Laufe des heutigen Tages (6. Juli 2021) dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München vorgeführt, der ihm den Haftbefehl eröffnen und über den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden wird.”

Diesseits des Brenners fragt man sich nun, welche Rolle Südtirol bzw. Gais in der Spionage-Karriere von Klaus L. gespielt hat und ob auch hier Spionage betrieben wurde. Der Landtagsabgeorndete von Fratelli d’Italia Alessandro Urzì fordert die lokalen Institutionen auf, ihre eventuellen Verbindungen mit dem Verhafteten bzw. dessen Institut offenzulegen. Die SZ hat  zum Fall Klaus L. folgendes recherchiert: “Bereits der Beirat seines ‘Instituts für Transnationale Studien’, das er teils von zu Hause aus betrieb, zeigt, wie weit das Netzwerk reichte. Beiratsmitglieder waren laut der inzwischen stillgelegten Internetseite ein Zentrumsdirektor an der Russischen Akademie der Wissenschaft, ein Botschafter aus Pakistan und der Präsident der US-Denkfabrik International Strategic Studies Association, ISSA, welche die Fachzeitschrift Defense & Foreign Affairs herausgibt.”