Cultura | Salto Afternoon
Dunkle Nacht auf der Sonnenterrasse
Foto: Unsplash/Phil
Die Gastgeberin und Sängerin Greta Marcolongo erklärte ihren Gästen kurz das Konzept „Hauskonzert“, für welches es in anderen Ländern bereits Agenturen gäbe, während man in Italien hinterherhinke. Das Konzert am frühen Sonntagabend sei die sechste Veranstaltung dieser Art, die bei ihr zu Hause stattfinde. Der Kostenfaktor für die geladenen Gäste belief sich auf 12 Euro, wovon zehn Euro an die eingeladenen Künstler (Yomer und Stagni) und zwei zur Kostendeckung an die Hausherrin gingen, welche dafür neben Raum auch für Getränke und Verpflegung sorgte. Willkommen waren ebenso interessierte Nachbarn, was zur Durchmischung des eher jungen Altersschnitts beitrug. Jegliche freiwillige Spende, die am Abend zusammenkommen sollte, würde einem wohltätigen Zweck zugeführt, so Marcolongo. Ich selbst war eher zufällig, nachdem ich Yomer am Freitagabend am Eisackufer begegnet war, auf die Gästeliste gerutscht und wollte wissen wie man sich ein Hauskonzert in Bozen vorzustellen hatte.
Die „Märchen“ in italienischer Sprache für die dunkle Nacht, welche Yomer für den frühen Abend (in etwa ab halb 7) im Gepäck hatte waren für ihn ein Bewältigungsmechanismus: Er gestand, schon immer Angst vor dem Dunkeln gehabt zu haben. Auf dem Weg in die Finsternis (oft im übertragenen Sinn) begleitete ihn also das „animale notturno“ Marco Stagni mit seinem Bass und vertonte die Slam-Texte und die anderen Gedichte des Wahlwieners: Von der Auflösung in Wiener Bar-Gesprächen über die Verdunkelung der Sprache durch Metaphern wie „Folge deinem Herzen“, bis zur Einsamkeit, welche in der Liebesbeziehung mit einer Plastikpflanze durchscheint. Stagni fand für alles den richtigen Ton, selbst wenn dieser nicht vom Bass, sondern von seinen mitgebrachten Effekt-Pedalen kam. Yomer bewies, dass er nicht nur sprachliches, sondern auch rhythmisches Taktgefühl von der Slambühne mitbrachte.
Recht früh, mit einem Text den Yomer seiner Oma - und allen weiteren Omas dieser Welt - widmete, rührte er sich und sein Publikum so sehr, dass die eine oder andere Träne floss. Seiner mit Alzheimer verstorbenen Großmutter gedachte der Slampoet in einem Text der emotional, poetisch und trostspendend war. Stagni stieg mit seinem Bass immer wieder an wenn Yomer die Stimme erhob, auch zum letzten Crescendo, das wissen ließ, dass die Verstorbene in ihren Rosen fortbestand.
Nachdem der Abend bis dahin gefühlvolle aber doch eher konventionelle Töne von Stagni gefordert hatte, wollte Yomer, dass sich das Instrument des Musikers erst in ein Tiefseetauchbot in Richtung Einsamkeit, dann zur Erheiterung aller in ein ausladendes Hinterteil verwandeln sollte, dem der Poet eine kurzweilige „Ode“ widmete. Die Mehrheit der Texte brachte jedoch mehr Tiefgang mit und man erlebte einen ausgesprochen verletzlichen Yomer, der aus nächster Nähe in sein Gefühlsleben blicken ließ. Unter anderem auch mit einem weiteren Text, der den vorzeitigen Freitod eines Jugendfreundes thematisierte, sich fragt, wozu man dann befreundet gewesen sei und versöhnlich endete.
Beim nächsten Text, welchem der schweigsame Stagni mit dem Bass die stimmlichen Hebungen und Senkungen von Yomers „Filastrocche“ nachäffte, erhielt man unerwartete Konkurrenz auf den Schallwellen: „Funkytown“ von Lipps Inc. Die wohl passiv-aggressive Herausforderung zum Lautstärkenwettkampf hatte etwas Surreales, aber nach kurzer Beratung ließ man sich darauf nicht ein. Die verbleibenden Texte waren durch die chaotisch zusammengewürfelte Playlist, die keine innere Logik erkennen ließ einigermaßen, besonders in der musikalischen Komponente der Performance gestört. Zuerst kam ein Text über Katzen, da beide Künstler entsprechende Unterarm-Tattoos hatten und auch die Hausherrin darüber erfreut gewesen sein dürfte, wenngleich die Katze des Hauses vorab das Weite gesucht hatte. Nach einem triumphalen Bass-Crescendo Stagnis, zu welchem sich Yomer die Vorzüge einer Existenz als Katze seiner Angebeteten ausmalte, wurde der Abend dann noch einmal überraschend märchenhaft.
Man musste genau hinhorchen, um homosexuellen Astronauten auf den Mars zu folgen sowie den Sturz von Franco dem Baummann zu vernehmen, welchen niemand gehört hatte und dessen Missgeschick deswegen niemand glauben wollte, um zuletzt von der tragischen Liebesgeschichte des Pilzmädchens und des Wolfmannes zu erfahren.
Beim anschließenden Antipasti-Buffet ließen sich die Gäste durch die nach wie vor überlaute Musik von einem nahen Balkon nicht aus der Ruhe bringen und ich sprach noch kurz mit der alles in allem hoch zufriedenen Gastgeberin. Man darf sich gern vorstellen, dass bald wieder „Funkytown“ zu hören war.
Salto.bz: Frau Marcolongo, war es bei diesem sechsten Hauskonzert zum ersten Mal der Fall, dass einer Ihrer Nachbarn durch Gegenbeschallung rebelliert hat?
Greta Marcolongo: Ich würde nicht von Rebellion sprechen, ich denke, er schafft eher einen Klangraum in einem Viertel, das nicht daran gewöhnt ist. Beim letzten Konzert, als Anna Bernhard mit ihrem Cello zu Gast war haben die Leute von den umliegenden Balkonen aus zugesehen. Das war sehr schön.
Die Unterstützung für die Initiative war dabei also größer…
Sie müssen bedenken, dass wir hier nicht im Stadtzentrum sind wo es sehr viel komplizierter ist, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren und wo diese nur bis zu einer gewissen Uhrzeit dauern dürfen. Das hier an zwei bis drei Sonntagen im Monat machen zu können, mit Häusern die so nahe gebaut sind und keine Schwierigkeiten zu haben heißt, wir dürfen uns glücklich schätzen.
Was steuert das Format Heimkonzert aus Ihrer Sicht bei?
Meine Idee ist es, einen sicheren Raum für Künstlerinnen und Künstler von außerhalb und aus der Region zu schaffen. Von diesen Orten gibt es in Bozen nicht gerade viele, da habe ich mich gefragt, was zu tun sei. Ich öffne mein Zuhause für die Künstler. Was dabei passiert ist, dass alles sehr viel intimer wird, was ich sehr liebe. Man lernt einen Künstler kennen und hört ihm aus nächster Nähe zu. Auch dieser Teil, das anschließende Gespräch miteinander, ist schön: Es findet Austausch mit dem Publikum statt und es entstehen Situationen, in denen man sich kennenlernt und ein Arbeitsnetzwerk entsteht. Das ist mein Ziel.
Entsteht wirklich ein solches Netzwerk hier auf der Terrasse?
Junge Menschen kommen mit der Universitätswelt, Journalismus und Künstlerinnen und Künstlern nicht nur aus der Welt der Musik, sondern aus der gesamten Kunstwelt in Kontakt. Das ist auch für mich und meinen Beruf eine Bereicherung. Das braucht es heutzutage und das hält uns auch am Leben, mich zumindest.
Wir sprechen hier von Ihrem Zuhause, deswegen funktioniert das Ganze auf Basis eines Einladungssystems. Lernen Sie dennoch neue Menschen kennen?
Die Mehrheit der Gäste, die heute gekommen sind, habe ich zuvor noch nicht gekannt. Ich kenne hier vielleicht zwei, drei Personen. Die anderen Gäste kommen zu mir nach Hause und machen was sie wollen. Es ist ein bisschen wie „Der große Gatsby“: Ich könnte verschwinden und meine Gäste wären bei sich zu Hause. Das ist wunderbar und für mich ein Konzept von Zuhause. Wenn es dann noch Musik, einen guten Zweck und ein aufgeschlossenes Publikum gibt, ist auch der Nachbar zufrieden.
Gab es bis jetzt irgendwelche für Sie umvorhergesehenen Probleme?
Nein, im Gegenteil, auch wenn man es sich vielleicht erwarten würde. Häufig bleiben die Gäste bis sehr spät und ich könnte in der Zwischenzeit verschwinden. Ich spreche hier mit Ihnen und niemand denkt daran, dass das hier mein Zuhause ist, ich spiele keine Rolle. Das ist aber kein Problem. Ich erhalte sehr viel mehr, als ich gebe, was ja nur ein Ort ist, nichts weiter.
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