Economia | Die "privatwirtschaftliche Lösung" der MPS-Krise

Bankenrettung mit Vorbehalt

Die Rettung der MPS hat einen Pferdefuß: Nun geht es beim bevorstehenden Referendum, das eigentlich ein anderes Thema hat, auch noch um das Schicksal ihrer Kleinsparer.
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„Italien ist auf dem Weg zum ‚failed state‘“, titelte Welt-online am 22. Juli. Überschriften sind dazu da, um Leser anzulocken – liest man den  WELT-Artikel genauer, erweist sich die Prognose als nicht so ernst gemeint. Es handelt sich eher um ein worst case-Szenario, wenn sich in verschiedenen künftigen Etappen jeweils die schlechteste Alternative durchsetzt. Wozu es wohl nicht kommen wird. Obwohl nichts wirklich sicher ist.

Eine Bank in Schwierigkeiten

Der Ausgangspunkt ist eine sehr reale Bankenkrise, in deren Zentrum die Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS) steht, die drittgrößte Bank Italiens und (angeblich) „älteste der Welt“. Sie hat den für Ende Juli anberaumten Stresstest der Europäischen Zentralbank nicht überstanden, weil sie für die 47 Milliarden faulen („notleidenden“) Kredite, auf denen sie sitzt, über zu wenig Kapital verfügt (ihr Börsenwert ist auf etwa 1 Mrd. gesunken, obwohl erst vor wenigen Jahren Investitoren noch einmal 8 Mrd. in die Bank pumpten). Was bedeutet, dass sie jetzt bis zum Jahresende ihr Kapital um mindestens 5 Mrd. aufstocken muss. In der ZEIT vom 21. 7. („Italienische Misere“) urteilt der italienische Wirtschaftsjournalist Fubini: „Die Monte-Paschi-Saga könnte zum Showdown für Italiens angeschlagene Wirtschaft und Europas junge Bankenunion werden. Die Bank ist groß genug, um systemrelevant für Italien zu sein, und ein Italien in Schwierigkeiten ist gefährlich für Europa“.

Die Frage ist, woher das Geld für die Rekapitalisierung kommen soll. „Der Markt“ ist zögerlich. Nach der Finanzkrise von 2008 war es üblich geworden (s. Deutschland), dass der Staat den Banken mit Steuergeldern zur Hilfe kam. Auch jetzt wäre die Renzi-Regierung wohl dazu bereit gewesen, aber seit dem vergangenen Jahr hat die EU hier eine Bremse eingeführt: Bevor der Staat mit Steuermitteln einspringt, muss die betroffene Bank ihre Schuldenlast aus eigener Kraft um 8 % senken. Indem sie erst einmal ihre Aktionäre, Anteilseigner und notfalls auch Kunden zur Kasse bittet (das sog. „bail in“).

Die neue EU-Regel und die italienische Realität

Wenn man sich die Anteilseigner als die klassischen Couponschneider mit der dicken Zigarre im Maul vorstellt, die in besseren Zeiten entsprechende Extra-Dividenden einstrichen, scheint es die sozial gerechtere Lösung zu sein – gerechter zumindest als das übliche Sozialisieren der Verluste mit der Hilfe von Steuergeldern. Dass sich Renzi zunächst gegen die neue EU-Regel wehrte, wurde ihm dann auch wahlweise als Bankenhörigkeit oder Verantwortungslosigkeit ausgelegt („wozu Regeln, wenn sie nicht eingehalten werden?“).

Der altehrwürdige Palast in Siena

       Der altehrwürdige Palast in Siena

Die Kritik ging an der Realität Italiens vorbei. Zu ihr gehört es, dass die italienischen Banken vor einigen Jahren regelrechte Kampagnen starteten, um unter eklatanter Verletzung ihrer Fürsorgepflicht Kleinsparer zum Umstieg auf sog. „nachrangige“ Anleihen zu ermuntern. Denn die Banken hatten hierin das billigste Verfahren entdeckt, um ihre Liquidität zu erhöhen. Es gab Fälle, in denen sie ihren Kunden nur noch Kredite gewährten, wenn sie „Nachrangige“ kauften – ohne wirklich auf die damit verbundenen Risiken hinzuweisen.

Der hierin angelegte soziale und politische Sprengstoff zeigt sich spätestens in dem Moment, als die Besitzer der „Nachrangigen“ entdeckten, dass sie ihre Ersparnisse verloren hatten. Dies geschah zum Beispiel zur Jahreswende, als vier kleinere italienische Banken in die Krise gerieten (siehe auch unseren Beitrag „Die Menschen sind nachrangig“ vom 9. Januar). Schon damals kam es zu heftigen Protesten – der Hauptvorwurf richtete sich gegen eine Regierung, die „nichts tat“. Ein Rentner, der seine gesamten Ersparnisse verloren hatte, nahm sich das Leben.

Die „marktwirtschaftliche“ Rettung

Renzi weiß, es wäre sein politisches Aus, wenn es im Fall der MPS zu einem ähnlichen Ende käme, und zog deshalb eine „marktwirtschaftliche“ Rettung aus dem Ärmel. Sie soll in zwei Schritten alle Klippen umschiffen: Zunächst schlägt die MPS einen Großteil ihrer „faulen Kredite“ los und wird damit wieder für den Einstieg neuer Investoren attraktiv; dann steigt das Investoren-Konsortium ein. Alles bis zum Jahresende. Der Einsatz staatlicher Hilfsmittel wäre vermieden. Und damit wäre auch ein bail in nicht mehr nötig, ohne dass eine EU-Regel verletzt würde.

Der Aufkäufer für die „faulen Kredite“ steht offenbar bereit, und zwar in Gestalt eines Bankenrettungsfonds, den die italienische Kreditwirtschaft schon im Frühjahr unter der Ägide der Regierung genau für solche Zwecke gebildet hat. Die Einzelheiten sind noch zu klären, aber die Regierung versichert, dass der Fonds bis zum Herbst von den ihn tragenden Kreditinstituten mit den notwendigen Mitteln ausgestattet sein werde.
Auch das Konsortium, das im zweiten Schritt die so gereinigte MPS rekapitalisieren will, hat schon Gestalt angenommen: Neben der amerikanischen JP Morgan haben die Mediobanca, Credit Suisse, Merrill Lynch, Goldman Sachs, Deutsche Bank und Santander ihr Interesse angemeldet. Wobei die JP Morgan mit einem Übergangsdarlehen von 6 Mrd. € die Hauptlast tragen will.

Das sind Versprechen, für die die beteiligten Banken mehr oder minder gute Gründe haben: ein zusätzliches Standbein in Italien; erhöhte Umsätze mit der Aussicht auf lukrative Aufträge; der nicht ganz unpolitische Wunsch, die Renzi-Regierung zu stützen. Das klingt noch harmlos, auch wenn man vornehm überlesen muss, dass die JP Morgan nach einer aktuellen Studie der US-Regierung das „größte heimische Risiko für das weltweite Finanzsystem“ darstellt (Handelsblatt, 13. 4. 16)

Der Pferdefuß steckt im Timing

Die endgültige Entscheidung zur Bildung des Konsortiums fällt im Spätherbst, nach dem Referendum. Da die ausländischen Investoren keinen Hehl daraus machen, dass sie ihren Einstieg letztlich auch vom Fortbestehen der Regierung abhängig machen, wird die ganze Bedingungskette sichtbar: Wenn Renzi das Referendum verliert, wird er vermutlich zurücktreten. Dann wird kein Banken-Konsortium die vielen kleinen Sparer, die ihr Geld in die „Nachrangigen“ der MPS gesteckt haben, vor dem bail in retten. Und dann geraten vielleicht auch noch andere italienische Banken ins Rutschen (der nächste Kandidat ist schon bekannt: es wäre die Unicredit).

Kann man dies Erpressung nennen? Es ist schon schlimm genug, dass das Referendum zu einer Abstimmung über die Regierung wird – ein Nein könnte Italien ins Chaos führen. Jetzt wird es auch noch mit der Drohung eines New Yorker Finanzhais belastet, sich im Falle eines Neins zurückzuziehen und damit viele italienische Kleinsparer über die Klinge springen zu lassen. Worum es beim Referendum eigentlich geht, wird immer zweitrangiger, obwohl es wichtig genug ist: ob die Mehrheit der Bevölkerung einem – genauer: diesem – grundlegenden Umbau des Gefüges der italienischen Demokratie zustimmt oder nicht.

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Bernhard Oberrauch Lun, 08/08/2016 - 07:58

Wir scheinen von den vielen Bankenkrisen immer noch nicht ausreichend gelernt zu haben. "Die Bank ist groß genug, um systemrelevant für Italien zu sein"- die Banken müssten in ihrer Größe begrenzt werden, damit sie nicht systemrelevant werden.
Die Verantwortung müsste dort bleiben, wo sie ist- nämlich bei den Verursachern und nicht schon wieder bei den Steuerzahlern. Es geht nicht an, dass schon wieder der Staat dafür herhalten muss, was private verbrockt haben.
Ausserdem wäre gut, dass wir auch bei Banken, die noch nicht in der Krise stecken, darauf achten, dass sie sich der Verfassung entsprechend verhalten: die Privatinitiative ist frei, aber sie muss dem Gemeinwohl dienen.
Ein gutes Beispiel dafür ist die "banca etica" in Italien (http://www.bancaetica.it) und die Sparda-Bank in München (https://www.sparda-m.de/gemeinwohl-oekonomie.php).

Lun, 08/08/2016 - 07:58 Collegamento permanente