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Die Lückenfüller im System

Freiberufliche Ärzte sollen nicht mehr die Personallücken in Krankenhäusern schließen. Betrifft das Aus für so genannte „Gettonisti“ auch Südtirol?
Ärzte
Foto: upi
  • Wichtiges im Voraus

    Nach Rückfrage bei SABES wurde die Auskunft gegeben, dass es derzeit keine „Gettonisti“-Verträge in Südtirol gibt. Werkverträge gibt es aber. Insgesamt circa 140, die 50 vollzeitäquivalente Stellen füllen. In der Regel handle es sich um Freiberufler, die projekt- oder einsatzbezogen arbeiten. Dies sei kein großer Bereich, aber dennoch notwendig. Für den Südtiroler Sanitätsbetrieb hat das Dekret, mit dem die Gettonisti abgeschafft werden sollen, keine unmittelbaren Auswirkungen auf Südtirol. 

    Der Begriff „Gettonisti“ wird hier im Artikel dennoch verwendet, da dieser umgangssprachlich gebräuchlich ist, um auf die Situation von Sanitätspersonal mit Werkverträgen im Gesundheitssystem hinzuweisen.

  • Im Juli 2024 wurde in Italien ein Dekret verabschiedet, das ab dem 31. Juli 2025 keine neuen Verträge mit sogenannten „Gettonisti“ mehr zulässt. Dabei handelt es sich um freiberufliche Ärzte, die etwa für Wochenendbereitschaften engagiert werden, um den Personalmangel abzufedern. 

    Das Dekret legt Leitlinien für die Vergabe von gesundheitlichen Dienstleistungen fest. Es enthält strenge Vorschriften für diese Art von Verträgen, darunter gedeckelte Tarife, ein Verbot der Vertragsverlängerung über zwölf Monate hinaus, strenge Voraussetzungen für den Vertragsabschluss sowie die Verpflichtung zur Einhaltung der vorgeschriebenen Ruhezeiten.

    Für den Südtiroler Sanitätsbetrieb hätten diese Regelungen jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen. In der Vergangenheit wurden laut SABES nur sehr wenige solcher Verträge abgeschlossen; derzeit existiere kein aktiver Vertrag dieser Art, und es bestehe auch keine Absicht, künftig solche Verträge abzuschließen. Aus diesem Grund habe der 31. Juli keine wesentlichen Veränderungen gebracht und führe auch nicht zu Engpässen in der Versorgung. 

    Auch wenn Werkverträgler derzeit benötigt würden, sei das Ziel eine Vollzeitanstellung. „Wir sind daran interessiert vor allem auf fix eingestelltes Personal zählen zu können, da sich diese viel mehr für den Betrieb interessieren, mehr in die Teamarbeit einbringen und auch die Motivation sehr häufig eine ganz andere ist“, so Lukas Raffl, Leiter der Pressestelle des Südtiroler Sanitätsbetriebs.

    Ivano Simioni, Arzt an der Psychiatrie Bruneck und Sekretär der Krankenhausärzte-Gewerkschaft BSK/VSK, beschreibt „Gettonisti“ als „Söldner“, die auf Honorarbasis Dienste übernehmen, um das festangestellte Personal zu entlasten. Dieses Modell sei eine direkte Folge des massiven Ärztemangels, der nicht nur Italien, sondern ganz Europa betreffe. Die Hoffnung der Politik: Wenn die Gettonisti-Verträge auslaufen, könnten wieder mehr Ärztinnen und Ärzte innerhalb Italiens in den öffentlichen Dienst zurückkehren. Simioni ist skeptisch: „Das wird kaum passieren. Viele haben längst im privaten Sektor Fuß gefasst und dort sind die Arbeitsbedingungen oft besser.“

     

    Wir denken, dass es eine gute Sache ist, dass Gettonisti begrenzt werden.“ 

     

    Edoardo Bonsante, Kardiologe am Krankenhaus Bozen und Provinzsekretär der Ärztegewerkschaft ANAAO, beschreibt die Maßnahmen grundsätzlich als einen Schritt in die richtige Richtung, wobei das Verbot nur ein Teil eines größeren Reformbedarfs sei. „Wir denken, dass es eine gute Sache ist, dass Gettonisti begrenzt werden“, sagt er. 

  • Edoardo Bonsante: Provinzsekretär der Gewerkschaft der Ärzte und in der Ärztekammer (ANAAO) Foto: privat

    Zwar seien viele dieser freiberuflichen Ärzte professionell, doch häufig nicht in die Abläufe der Abteilungen eingebunden. Sie kämen meist nur für eine einzelne Schicht, wollten diese möglichst reibungslos hinter sich bringen und hinterließen nicht selten ungelöste Aufgaben. „Häufig hinterlassen sie ungelöste Probleme, welche dann von den festangestellten Kollegen abgefangen werden müssen“, kritisiert er. Wobei die Abläufe in Südtirol durch die Werkverträge gut reguliert seien und in Teilen besser funktionierten, als in anderen Bereichen Italiens.

    Auch Simioni kenne die Schattenseiten. In der Psychiatrie Bruneck übernehme ein Werkverträgler“ an einem Wochenende im Monat die Bereitschaft, was das Team erheblich entlaste. Das könne zwischen dem Funktionieren und dem Erschöpft sein entscheidend sein. Trotz dieser positiven Erfahrung erkenne er die Kritik am System, denn Gettonisti hätten oftmals keinen engen Bezug zum Krankenhaus oder zu den Patienten. „Die Kontinuität der Behandlung ist nicht immer gewährleistet, weil der Gettonisto die Patienten vielleicht nicht kennt oder nicht direkt am Alltag der Abteilung beteiligt ist.“ Hinzu komme, dass die Qualität freiberuflicher Ärzte stark variieren könne.

  • Begriffserklärung

    Der Begriff „Gettonisti“ sei laut SABES kein offizieller Fachterminus, werde jedoch umgangssprachlich und auch in der Presse für unterschiedliche Situationen verwendet. In dem hier relevanten Zusammenhang bezeichne er Ärzte oder Pflegekräfte, die etwa über Genossenschaften, aber nicht ausschließlich, an öffentliche oder private Gesundheitseinrichtungen vermittelt werden, um dort Dienstleistungen zu erbringen. In Südtirol gebe es derzeit keine „Gettonisti“-Verträge in diesem Sinne; die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien entweder fest angestellt, befristet beschäftigt oder über Werkverträge verpflichtet. Letztere werden gelegentlich ebenfalls als „Gettonisti“ bezeichnet – was jedoch als abwertend und nicht korrekt anzusehen sei. Zudem würden diese auch nicht unter die Bestimmungen des genannten Dekrets fallen.

  • Rückkehr in den öffentlichen Dienst?

    Ivano Simioni: Sekretär der Krankenhausärzte-Gewerkschaft BSK/VSK, arbeitet im Krankenhaus Bruneck in der Abteilung für Psychiatrie und konnte gute Erfahrungen mit Gettonisti machen. Foto: privat

    Dass das Aus der Gettonisti in Italien die Rückkehr vieler Ärztinnen und Ärzte in den öffentlichen Dienst bewirke, hält Simioni für unwahrscheinlich. Die Abwanderung in den privaten Sektor sei in Italien schon lange Realität. Besonders in belastenden Fachbereichen wie der Anästhesie oder der Notfallmedizin. Ein Dekret allein werde diesen Trend kaum aufhalten.

    Auch Bonsante teilt diese Einschätzung. Viele hätten den öffentlichen Dienst nicht verlassen, weil sie das System der Gettonisti bevorzugten, sondern weil es schlicht finanziell attraktiver sei. „Viele haben gekündigt, um als Gettonist zu arbeiten. Das bedeutet, dass unsere Verträge nicht mehr attraktiv sind.“ Es sei „nicht logisch“, eine sichere Anstellung für eine unsichere Tagelohn-Tätigkeit aufzugeben. Dass viele Ärztinnen und Ärzte dies dennoch täten, sage viel über den Zustand des Systems beziehungsweise der Verträge aus.

  • Was sollte sich ändern?

    Beide Ärzte sind sich einig: Es gehe nicht nur ums Gehalt. Entscheidend sei eine Summe an Faktoren. So gehe es vor allem um bessere Arbeitsbedingungen, die Möglichkeit zur Weiterbildung, Rechtssicherheit und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

    Simioni weist zudem auf spezifische Probleme in Südtirol hin, etwa unterschiedliche Ausbildungssysteme und bürokratische Hürden für ausländische Ärztinnen und Ärzte. Ohne eine Vereinfachung dieser Verfahren und ein durchgängiges Ausbildungssystem lasse sich der Mangel kaum nachhaltig beheben.

     

     „Vielleicht öffnet sich ein Fenster für neue Vertragsverhandlungen.“ 

     

    Bonsante blickt mit vorsichtigem Optimismus auf 2026: „Vielleicht öffnet sich ein Fenster für neue Vertragsverhandlungen.“ Die Hoffnung liege in einem System, das medizinisches Personal für Leistung und Erfahrung anerkenne und ihnen auch entsprechende berufliche Perspektiven biete. Die Politik solle erkennen, dass nicht kurzfristige Notlösungen, sondern tiefgreifende strukturelle Reformen notwendig seien.

    Wer die Gettonisti abschafft, müsse gleichzeitig für ausreichend Personal sorgen, so Simioni. Und das mit Fachkräften, die im Haus sind, die Abläufe kennen und für die Patienten da sind. Nur so lasse sich eine hochwertige und kontinuierliche Versorgung sicherstellen.

    Die Herausforderung sei komplex. Es erfordere viele kleine, aber konsequente Schritte. Ein reines Verbot der Gettonisti werde den „Schmerz“ im italienischen System nicht lindern. Es sei zwar ein Signal für den Wandel, doch ohne begleitende Maßnahmen drohe sich die Versorgungskrise weiter zu verschärfen. Denn eines ist klar: Solange es keine weitreichenden Lösungen gibt, wird der Ärztemangel im öffentlichen Sektor bleiben, auch wenn die Gettonisti innerhalb Italiens verschwinden.