Società | Zeitgeschichte

Der Antisemit am Berg

In der Tiroler Alpingeschichte gibt es noch genügend braune Flecken. Die Geschichte der Erklärungstafel für Waldemar Titzenthaler ist ein aktuelles Beispiel dafür.
Rofental
Foto: upi
Das Denkmal ist eine ständige, ewige, unerträgliche Provokation“, schreibt Markus Wilhelm. Und der Tiroler Blogger schickt einen Wunsch hinterher: „Möge daher wenigstens der so notwendigen neuen Zusatztafel eine längere Lebensdauer beschieden sein als ihrer Vorgängerin.
Markus Wilhelm verbindet auf seiner Plattform „dietiwag.org“ immer wieder historisch recherchiert Themen mit aktuellen Ereignissen. Aus bewusst vergrabener Geschichte wird so kritische Gegenwart.
So verfolgt Wilhelm seit Jahren auch eine Geschichte, die jetzt eine neue aktuelle Wendung genommen hat. Es ist ein Stück Tiroler Alpingeschichte, das aber genauso gut in Südtirol spielen könnten. Denn auch hier gibt es auf den Bergen ähnliche braune Flecken, die der Schnee der Vergangenheit zudecken soll.
 

Der Fotograf

 


Die zentrale Figur ist dabei der Fotograf Waldemar Titzenthaler. Titzenthaler wurde 1869 in Laibach als Sohn des großherzoglich-oldenburgischen Hoffotografen Franz Hermann Titzenthaler geboren. 
 
Nach einer Lehre zum Fotografen in Hannover und Arbeitsaufenthalten in Berchtesgaden, Leipzig, Lausanne und Königsberg zog Waldemar Titzenthaler schließlich 1896 nach Berlin, wo er für die Berliner Illustrierte Zeitung tätig war. Nachdem er sich selbstständig gemacht hatte arbeitete er später fast 20 Jahre lang für die im Ullstein Verlag erscheinende Zeitschrift „Die Dame“. Dabei fotografierte er unter anderem die Wohnungen bekannter Schauspieler, Sänger, Regisseure und Architekten. Titzenthaler machte sich aber vor allem als Architektur-Fotograf einen Namen. Seine Fotos werden noch heute als besondere Exponate gehandelt.
Waldemar Titzenthaler war aber auch ein begeisterter Bergsteiger. Er war von 1922 bis zu seinem Tod 1937 Vorsitzender der Berliner Sektion „Mark Brandenburg“ des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. 
Diese Alpenvereinssektion fiel schon sehr früh durch ihren offenen Antisemitismus und als Speerspitze anfänglich der deutsch-nationaler Ideologie und dann des Nationalsozialismus auf. So etwa nahm diese Alpenvereinsgruppe bereits bei ihrer Gründung 1899 in ihre Statut den sogenannten „Arierparagraphen“ auf. Das heißt: jüdische Bergsteiger wurden aus dem Alpenverein systematisch ausgeschlossen.
 
Waldemar Titzenthaler fand sich in dieser Gemeinschaft der Gleichgesinnten wohl und er fiel vor allem ab 1933 durch einen offen praktizierten Antisemitismus auf.
 

Das Grab

 
Die deutsch-österreichischen Alpenvereinssektion Alpenvereinssektion bekamen gewisse Gebiete in den Alpen zugewiesen, wo sie nicht nur dem Bergsteigen nachkommen konnten, sondern auch Schutzhütten und Wege bauen sollten. Das „Kolonialgebiet“ der Sektion „Mark Brandenburg“ war das Tiroler Ötztal rund um Vent, wo die strammen, deutschen Bergsteiger auch drei Schutzhütten betrieben.
Waldemar Titzenthaler war von den Ötztaler Bergen so angetan, dass er testamentarisch verfügte auch dort begraben zu werden.
Auf dem Weg von Vent zum Hochjoch Hospiz (2.413 m) befindet sich deshalb seit 1937 in einer Felswand das mit einer bronzenen Gedenktafel abgedeckte Urnengrab des Waldemar Titzenthaler. Auf der Bronzetafel steht zu lesen „Ein Kämpfer für das Deutschtum und langjähriger Führer und Ehrenvorsitzender der Sektion Mark Brandenburg des D. u. Oe. A.V.“
 

Die Umbenennung

 
Auch der Weg zum Hochjochhospiz wurde nach Waldemar Titzenthaler benannt.
2003 begann der Deutsche Alpenverein (DAV) seine teilweise unrühmliche Geschichte aufzuarbeiten und man stieß dabei auch auf den radikalen Antisemiten vom Rofental stieß. Der DAV ging damals auf die Rolle ein, die Titzenthaler und der Wiener Hofrat Pichl in den 1930er Jahren und davor spielten.
 
In eine Presseerklärung des DAV ist zu lesen, dass beide „energische Verfechter eines radikalen Antisemitismus im damaligen Deutschen und Österreichischen Alpenverein“ waren. Und weiter:
 
„Mit allen Mitteln, teilweise mit falschen Unterstellungen und unfairen Methoden, erreichten sie den Ausschluss der Sektion Donauland, die sich nach der Einführung des Arierparagraphen in der Sektion Austria aus Protest gebildet hatte. Das
Wirken von Pichl und Titzenthaler führte mit konsequenter Intoleranz zur Aufkündigung jeglicher Bergfreundschaft für jüdische Mitglieder und deren christliche Freunde im Alpenverein und der Einführung des so genannten ‚Arierparagraphen‘ in fast allen österreichischen und vielen deutschen Sektionen.“
 
Gleichzeitig mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte machte der DAV Druck auf den österreichischen Alpenverein den Weg im Öztal umzubenennen. Das geschieht im September 2003. Der Titzenthaler-Weg wird offiziell in Cyprian-Granbichler-Weg umbenannt.
 

Die Tafel

 
Was aber blieb war die Gedenktafel an den „Kämpfer für das Deutschtum und langjähriger Führer“, Nach langen Diskussionen und langem Abwägen konnten sich der Deutsche und der Österreichischer Alpenverein nach über 10 Jahren einigen. Auf Vorschlag der DAV-Sektion Berlin wurde im August 2014 unter der provozierende Titzenthaler-Tafel eine Steinplatte mit einem relativierendem Zusatztext angebracht.
 
Auf der Zusatztafel stand:
 
„Der Berliner Fotograf Waldemar Titzenthaler war von 1922 bis 1930 Vorsitzender der ehemaligen Sektion Mark Brandenburg des Deutsche und Österreichischen Alpenvereins. Die Mark Brandenburg forderte den Ausschluss jüdischer Bergsteigerinnen und Bergsteiger aus dem Alpenverein und verfolgte einen radikal deutschnationalen Kurs.
Titzenthalers Urnengrab ist uns heute Mahnung der Intoleranz entgegen zu treten, wo immer sie uns begegnet“.
 
Die feierliche Enthüllung der Zusatztafel ging am 1. September 2014 über Bühne. Doch bereits wenige Woche später, entfernen Unbekannte die Tafel mit Hammer und Meißel gewaltsam.
Weil sich das Urnengrab auf Privatgrund befindet, droht der Enkel Titzenthalers zudem mit einer Klage wegen Störung der Totenruhe, sollte eine neue Mahntafel angebracht werden.
 

Neuer Anlauf

 
Vier Jahre lang geschah danach nichts mehr.
Bis im heurigen Sommer eine neue Tafel mit „ergänzenden Informationen“ angebracht wurde. Auf der Stahlplatte wird die problematische Figur der bergbegeisterten Berliner Fotografen noch deutlicher charakterisiert: „ Waldemar Titzenthaler (1869 - 1937) war ein aggressiver Deutschnationaler und radikaler Antisemit“.
Dazu heißt es:
 
„Titzenthaler trat für die Übernahme des Arierparagraphen der Sektion Mark Brandenburg im DuÖAV ein und damit für den Ausschluss der Juden aus dem Alpenverein. Die Machtergreifung der NSDAP begrüßte er euphorisch und sprach sich für die Eingliederung der deutschen Stämme in Österreich und Südtirol ins Deutsche Reich aus“.
 
 
Die Wahrheit ist nicht abzustechen“ meint Markus Wilhelm über diese neue Zusatztafel. „Man kann sie nicht derschlagen wie eine steinerne Schrifttafel. Mit ihr ist nicht hinter dem Berg zu halten auf Dauer, hier: hinter dem Rofenberg. Sie wird immer wieder auf den Schild gehoben: auf das Schild. So geschehen im heurigen Sommer, erfreulicherweise, von wem auch immer.“
Die Frage ist jetzt, wie lang wird die Tafel diesmal hängen, bis sie den braun-alpinen Bilderstürmern wieder zum Opfer fallen wird.