Christopher Hein ist Direktor der italienischen Hilfsorganisation CIR, Consiglio Italiano per i Rifugiati. Zusammen mit den italienischen Gewerkschaften, den ACLI, der Caritas, der Evangelischen Kirche, Amnesty International , Fondazione Migrantes und der Communita di Sant Egidio gehört er zu den Gründungsmitgliedern der Organisation. Sie ist in erster Linie eine Anlaufstelle für Flüchtlinge und Asylbewerber aus Afrika, woher weiterhin der Grossteil der Boots-Flüchtlinge kommen, die in Italien stranden. Doch vermehrt kommen auch wieder Flüchtlinge aus Syrien über das Mittelmeer , um sich vor Krieg, Hunger und Kälte zu retten.
Am Donnerstag ist erneut ein Flüchtlingsschiff im Mittelmeer gesunken. 17 Menschen sind ums Leben gekommen. Hat also die im November gestartete europäische Frontex-Initiative im Mittelmeer keine Besserung gebracht ? " Frontex hat andere Vorgaben als die Operation Mare Nostrum", antwortet Hein. "Die von Polen geleitete Operation Triton beschränkt sich auf den Grenzzschutz. Glücklicherweise ist die italienische Marine weiterhin im Einsatz, um Leben zu retten. Wir hoffen, dass es so bleibt und werden, wie es bereits die deutsche Hilfsorganisation Cap Anamur getan hat, die italienische Marine für den nächsten Friedensnobelpreis vorschlagen."
Besonders schwerwiegend ist derzeit das Versiegen der Geldmittel , die zur Flüchtlingshilfe notwendig sind. So ist das Budget für den Frontex-Einsatz im Mittelmeer extrem knapp. Vor dem Aus stehen auch die Hilfsorganisationen in den türkischen Flüchtlingslagern an der syrisch-irakischen Grenze. Den dort operierenden UNO-Organisationen fehlt schon jetzt, bei Wintereinbruch, das Geld für Nahrung und warme Kleiduzng für die 1,5 Millionen syrischer Flüchtlinge.
Die Türkei bemühe sich zwar, den Flüchtlingsstrom in den Griff zu bekommen, sagt Hein. Doch leben hunderttausende von Flüchtlingen weiterhin ohne ein Dach über dem Kopf in Istanbul, Ankara und Izmir sozusagen auf der Strasse. Ausserdem haben die in der Türkei lebenden Kurden viele ihrer geflohenen Landsleute bei sich aufgenommen. Nicht alle kurdischen Kriegsfüchtlinge fühlen sich den türkischen Flüchtlingslagern sicher.
Im Gegensatz zur Türkei ist die Lage der Flüchtlinge vor allem in Süditalien und in Rom beschämend. Mehrmals ist Italien von EU-Institutionen verwarnt worden, weil Asylbewerber und Flüchtlinge in menschenunwürdigen Strukturen untergebracht werden. Der jüngste in Rom geplatzte Skandal " Mafia Capitale " hat ans Tageslicht gebracht, warum Flüchtlinge oder Roma zusammen mit den Ratten , aber ohne Strom und Wasser leben müssen.
Die faschistisch-mafiöse römische Stadtverwaltung unter Gianni Alemanno hat Genossenschaften mit der Flüchtlingsversorgung betraut, die den Grossteil der überwiesenen Millionen ( 23 ) in die eigene Tasche gesteckt haben, während die Flüchtlingslager verlotterten . Dass diese Genossenschaften von einem Exponenten des Partito Democratico geleitet wurden, der nebenbei auch wegen Mordes 11 Jahre im Gefängnis gesessen hatte, beweist einmal mehr, dass Ideologien belanglos werden, wenn Geldströme fliessen.
Was sagt Christopher Hein zu diesem Skandal ? " Ich bin erschüttert , vor allem auch, weil bei unserer Organisation CIR fast täglich jeder ausgegebene Cent von den zuständigen Behörden kontrolliert wird." Andererseits kämen nur solche Organisationen bei der Vergabe der Aufträge zur Flüchtlingsversorgung zum Zug, die über grosse Finanzmittel verfügen. Sie müssen das Geld vorstrecken, das sie von der öffentlichen Verwaltung erst neun bis zehn Monate später überwiesen bekommen. Eine Organisation wie sein Flüchtlingsrat könnten das nie stemmen.
Meine Meinung : über flüssige Millionen für Investitionen etwa in die Flüchtlingsversorgung verfügen entweder kriminelle Organisationen oder Persönlichkeiten mit ausgezeichneten Beziehungen zu Geldinstituten, die die erforderlichen Mittel vorstrecken . Weil Banken aber seit Ausbruch der Finanzkrise mit Krediten eher sparsam umgehen, bleiben als Investitoren vor allem die Mitglieder des weitverzweigten Organisierten Verbrechens. Sie wissen am besten, wo gute Gewinne winken. Das beweist ein niederschmetternder Satz aus einem abgehörten Telefongespräch bei der Fahndung nach den Mafia-Capitale-Verbrechern. Er lautet : mit den Roma und den Flüchtlingen kannst du mittlerweile bessere Profite machen als mit Kokain.