Economia | Solland Silicon

Wo bleibt die Politik?

Soll die Landespolitik in der Causa Solland Silicon wirklich nur passiver Beobachter spielen? Warum sich die Gewerkschaften in Sinich allein gelassen fühlen.

Eine Arbeitslandesrätin kann nicht in jeden Betrieb des Landes Einsicht haben. Vor allem wenn sie Martha Stocker heißt und nebenbei noch Brandherde wie die Sanität oder die Flüchtlingsfrage unter Kontrolle zu halten hat. Dennoch verwundern die Aussagen, die Stocker am Donnerstag in einem Interview mit der Südtiroler Tageszeitung zum größten aktuellen Problemfall auf Südtirols Arbeitsmarkt, der Sinnicher Solland Silicon, tätigt. Wie geht es mit der Ex-Memc weiter? „Das ist mir selbst nicht klar“, antwortet die Arbeitslandesrätin. „Ich erfahre die Entwicklungen im Grunde genommen aus den Medien“. Wer zahlt die Bonifizierungsspesen in Millionenhöhe, wenn Eigentümer Massimo Pugliese Konkurs anmeldet? „Diese Millionensummen werden kolportiert, wir verfügen über keine sicheren Informationen oder Dokumentationen dazu“, so die Antwort.  „Wie man sieht, hat die Politik keinerlei Ahnung von der ganzen Angelegenheit“, meint  der Generalsekretär der Fachgewerkschaft Chemie des CGIL/AGB Stefano Schwarze. Dabei bezieht er sich auch auf das von Stocker geäußerte Unverständnis, warum man sich bei der Gewerkschaft gegen den  Versuch der Abteilung Arbeit gewehrt hätte, die Arbeiter in die Sonderlohnausgleichkasse zu überstellen. „Der Betrieb erfüllt in der aktuellen prekären Lage schlichtweg nicht die Voraussetzungen für eine solche Maßnahme“, klärt Schwarze die Arbeitslandesrätin auf. Ja, bei Solland Silicon gäbe es nicht einmal mehr die finanziellen Mittel, um die nötigen Vorauszahlungen für die Eröffnung der Mobilität zu leisten, sagt der Fachgewerkschafter.

Wirklich überrascht ist Stefano Schwarze über so viel Unwissen aber nicht. Denn, so sehr sich die Lage im vergangenen Jahr in der Ex-Memc unter ihrem problematischen neuen Eigentümer Massimo Pugliese zugespitzt hat: Politische Unterstützung hätten die Gewerkschafter und betroffenen Arbeiter bisher so gut wie keine bekommen, kreidet Schwarze an. Einmal sei Stocker im vergangenen Sommer bei einem Treffen mit Pugliese dabei gewesen, bei dem der süditalienische Unternehmer aber wie auch sonst nur leere Versprechen gemacht hätte. Wirtschaftslandesrat und Landeshauptmann Arno Kompatscher habe auf mehrere schriftliche Hilferufe aus Sinich mit einer schriftlichen Solidaritätsbekundung für die Arbeiter  reagiert. Mit Wohnbaulandesrat Christian Tommasini und Merans Bürgermeister Paul Rösch sei es zu je einem Treffen gekommen. Doch obwohl dabei Hilfestellungen für die lohnlosen Beschäftigten bei monatlichen Belastungen wie Wohnbauraten oder Kindergartengebühren versprochen worden waren, sei bislang nichts geschehen, kritisiert Stefano Schwarze.

Haftender Landeshauptmann

Dabei geht es nicht nur um eine im Regen stehen gelassene Belegschaft von mittlerweile nur mehr 138 Mitarbeitern und ihren Familien. Dabei geht es nicht nur darum, dass man erst 2014 im römischen Wirtschaftsministerium unter Jubel der Südtiroler Landespolitik einen bereits in Verruf geratenen Unternehmer als Lösung für die Ex-Memc gefeiert hat. Es geht auch um einen Betrieb, der unter die staatlichen Seveso-Richtlinien und damit unter die höchstmöglichen Sicherheitsstandards fällt. Nicht ohne Grund, sind im Ex-Memc-Gebäude doch zahlreiche hochexplosive Chemikalien gelagert. „Deshalb könnte man das Werk auch nicht einfach schließen, denn diese Chemikalien müssen konstant gekühlt und überwacht werden“, erklärt der Gewerkschafter. Bislang gebe es dafür eine trotz aller Enttäuschungen immer noch verantwortungsvolle Belegschaft. Doch besonders das besser qualifizierte Personal verlasse den Betrieb nach und nach; fast 20 Kündigungen seien in den vergangenen Monaten eingetrudelt. Was also passiert, wenn die nötigen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, um die Sinicher Chemiebombe unter Kontrolle zu halten? Und was passiert, wenn Massimo Pugliese sich bei der immer wahrscheinlicheren Schließung des Werks aus dem Staub macht – und die Reinigung des Betriebsgeländes von Rückständen der jahrzehntelangen chemischen Aktivitäten den Steuerzahler tatsächlich hunderte Millionen von Euro kostet, wie kolportiert wird?

Nicht nur die Arbeitslandesrätin, sondern auch Landeshauptmann Arno Kompatscher sollte deshalb laut dem Gewerkschafter höchstes Interesse haben, dem Fall   Solland Silicon mehr Aufmerksamkeit zu schenken als bisher. „Denn schließlich ist es auch der Landeshauptmann der laut Seveso-Bestimmung die Haftung für die Sicherheit im Betrieb trägt“, sagt Stefano Schwarze. Nicht zuletzt deshalb fordern die Gewerkschafter nun ein dringliches Treffen mit Kompatscher und Stocker. Vorerst steht aber noch am heutigen Donnerstag eine weitere Audio-Konferenz mit Massimo Pugliese auf dem Programm. Die Hoffnung dabei wieder einen Schritt weiter zu kommen, ist bei Stefano Schwarze nach den unzähligen leeren Versprechen des vergangenen Jahres jedoch minimal. Statt des süditalienischen Unternehmers könnte nun jedoch zumindest die Politik beweisen, dass sie ihre Verantwortung in Sinich wahrnimmt.