Cronaca | Identität

In sich eingewickelte Identität

Identität besteht auch aus Umwelt, nicht nur aus Sprache, ethnischer Zugehörigkeit oder Religion.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Identität kann nicht allein auf Sprache, ethnische Zugehörigkeit oder Religion reduziert werden. Die grundlegenden Modelle für unser Handeln, unseren Glauben, unser Wissen, für unser Fühlen und Leiden, unsere Freuden und unser Leben liegen vielmehr in unserer Geschichte, in unseren Geschichten. Wenn wir Identität auf ein Paradigma beschränken, auf einen festgeschriebenen Ort, dann ersticken wir sie. Denn Identität braucht Luft zum Atmen. Wenn sie keine Berührungspunkte hat, von allem anderen abgetrennt ist, erdrückt wird von Vorurteilen, dann kann sie einen Fundamentalismus erzeugen, der ihr selbst und anderen schadet. Eine Identität, die sich nicht weiterentwickelt, wird zu etwas Schädlichem und führt bis hin zu Bücherverbrennungen. Das hat uns die Geschichte gezeigt.  

Das vieldiskutierte ladinische Memorandum bringt eine bestimmte Erwartungshaltung in Sachen Identität zu Papier und wurde von ein paar großen alten und jungen ladinischen Intellektuellen verfasst. Vor allem zwei echte Ur-Ladiner gehören zu ihren Urhebern: Erwin Valentini und Lois Trebo. In ihrem politisch-kulturellen Programm werden zahlreiche wichtige und vertretbare Punkte angesprochen. Die Ladiner wurden von der Partei, die hier seit 70 Jahren regiert, nicht immer gut behandelt (ein Euphemismus). Dass die Politik Einrichtungen, welche die Geschichte der Ladiner geschrieben haben – angefangen von der Union Generela di Ladins über Rai Ladina bis hin zur Usc di Ladins – nicht wichtig genommen hat (und ihre Finanzierung genauso wenig), dass sie die Politik einer einheitlichen Sprache nur aus Angst, die Ladiner könnten sich wieder wichtig fühlen, weder unterstützt noch geduldet hat, all das ist die Wahrheit. Die faschistische Dreiteilung schadet uns bis heute, und mit Sicherheit fehlt uns eine einheitliche panladinische Politik – all das steht völlig außer Zweifel. 

Identität wird jedoch auch von der Umwelt beeinflusst. Wenn dieses Thema nicht einmal ansatzweise erwähnt wird, dann fehlt etwas. Wenn man gegen eine Verkehrsbeschränkung ist, dann heißt das, dass man die Bedeutung von Identität in ihrer tiefst gehenden Form, auch wenn sie einem an Herzen liegt, nicht wirklich begriffen hat.

Ein Memorandum, das sich nicht mit Themen wie Umwelt, Land, Raum und Zukunftsvisionen beschäftigt, ist ein Memorandum auf tönernen Füßen. Es ist wie verstümmelt. Beschränkt.  Eine Identität, die sich nur mit sich selbst beschäftigt und sich nicht zur Welt öffnet, riskiert einzugehen, statt neue Knospen zu treiben. Mehr denn je muss heute – friedlich und kreativ – eine Umweltrevolution in Gang gesetzt werden. Eine hauptsächlich kulturelle Revolution, die wesentlich mehr Ergebnisse bringen könnte als wenn man immer wieder dieselben, seit Jahren diskutierten Formeln wiederholt. Ganz abgesehen davon, dass ein allzu forsches Unabhängigkeitskonzept im aktuellen geschichtlichen Kontext sogar ausgesprochen gefährlich werden könnte. Auch das hat uns die Geschichte gelehrt: 1910 herrschten in Europa starke Globalisierungstendenzen, viele Nationen wurden zu Demokratien. Doch dann kamen Wirtschaftskrise, Rezession, Protektionismus und Nationalismus und führten zu den uns wohlbekannten Entwicklungen. Und Geschichte, wenn wir nicht aufpassen, wiederholt sich. Die aktuelle Tendenz vieler europäischer Länder, sich komplett einzuigeln, ist sehr gefährlich.

Deshalb geht es heute darum, sich zu öffnen statt sich zurückzuziehen. Heute sollten wir damit anfangen, über Literatur und Kultur zu sprechen, über achtsamen Umgang mit der Umwelt und einen neuen Spirit bei der Wiederherstellung einer offenen Identität, deren Wurzeln sich nach oben strecken, in die frische Luft. Ladinien steckt voller Künstler und Menschen, die aus dem Besonderen das Allgemeine entwickeln und aus einer globalen Dimension die lokale ableiten können. Diese Menschen sind offen und zugänglich, nicht verschlossen. Sie könnten die wahren Macher des Wandels sein. Denn ihnen liegen universales Denken und freundliches Rebellieren am Herzen; sie besitzen die Sensibilität für die Umwelt, die viele von uns vergessen haben. Sie sind der Angelpunkt einer Gesellschaft, die sich positiv weiterentwickelt. Es kann nicht sein, dass immer nur der Homo Oeconomicus bestimmt, wie es weitergeht bei uns. Dass der unangreifbare, habsüchtige und egoistische Wohlstand unsere einzige Theologie ist. Auch unsere Berge müssen beschützt werden, unsere Wälder und Wässer, unsere Straßen. Zu hoffen ist, dass das Memorandum in dieser Hinsicht runder werden möge; gleichzeitig wünsche ich mir, dass es zur Diskussionsbühne wird. Dass junge und weniger junge Menschen an den Diskussionen teilnehmen, dass Kritik geäußert wird, dass Vorschläge gemacht werden. Dass es Streitgespräche gibt, die Schönheit erzeugen. Denn Schönheit brauchen wir immer mehr, wir müssen sie mit anderen teilen und weitergeben, nicht einkesseln. Dann wäre es keine Schönheit mehr, sondern Egoismus. Und von dem haben wir schon mehr als genug. 

Bild
Profile picture for user Christian Mair
Christian Mair Mar, 03/08/2016 - 20:58

Neben politischer Selbstverwaltung werden hier wichtige Aspekte kultureller und landschaftlicher Umwelt angesprochen:
Trotz Unesco Weltkulturerbe bleiben die Dolomiten eines der am besten erschlossenen Berggebiete weltweit. Das Diktat des Marktes verbietet den Blick auf einen vernünftigen Umgang mit den Resourccen. Und doch muss die Grenze des Wachstums gerade in diesen sensiblen Gebieten als Tatsache anerkannt sein. Auch die Marschroute Reinhold Messners die Berge ab der Waldgrenze zu schützen und die Täler für Wirtschaft frei zugänglich zu halten versagt, sind doch die Trennlinien nicht so einfach zu ziehen (bsp Verkehrslärm).
Wie viel Tourismus vertragen die Dolomiten?
Wie kann der Tourismus unabhängig vom Wachstum werden?

Antworten auf ähnliche Fragestellungen werden im städtischen Tourismus in Barcelona (http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/sep/02/mass-tourism-kill-…) und den cinque terre (http://www.spiegel.de/reise/aktuell/italien-will-touristenzahl-in-den-c…) bereits gesucht.

Mar, 03/08/2016 - 20:58 Collegamento permanente