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„Vorräte hätten nicht ausgereicht“

Der blinde Eiskletterer Gabriel Tschurtschenthaler aus Sexten bestieg gemeinsam mit zwei Kletterpartnern den Cerro Torre in Patagonien. Ein Abenteuer im Schnee.
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Foto: Berg im Bild
salto.bz: Gabriel, wie kam es zur Idee, im Dezember 2021 den Cerro Torre in Patagonien zu besteigen?
 
Gabriel Tschurtschenthaler: Ich war mit einem guten Freund und Bergführer viel unterwegs und fing an, mich für Eisklettern zu interessieren. Er empfahl mir den Bergführer Vittorio Messini, bei dem ich einen Eiskletterkurs in Osttirol belegte. Als Nächstes machten ein Kumpel und ich mit Vitto beim Großglockner einen Gletscherkurs, bei dem ich auch die Gipfelbesteigung schaffte. Daraus entstand die Idee, mehr draus zu machen. Anfangs erschien mir das Ziel, den Cerro Torre in Patagonien zu besteigen, extrem hochgegriffen. Aber wir fingen an, zu trainieren und so ging es weiter.
 
Wieso habt ihr euch für genau diesen Berg entschieden?
 
Der Cerro Torre ist auf seiner Westseite, die Richtung Chile zeigt, komplett vereist. Der Berg hat sich angeboten, weil Vitto die Tour bereits einmal geklettert ist. Er dachte, die Tour wäre für meinen speziellen Fall passend. Der Berg ist sehr spannend und für jeden Eiskletterer ein Sehnsuchtsort. Für Osttirol und Italien hat er eine große Bedeutung, weil Cesare Maestri und Toni Egger laut dem Mythos die Erstbegeher waren. Toni Egger, der Cesare Maestri begleitete und bei der angeblichen Erstbegehung tödlich verunglückte, war ein Osttiroler.
 
 
Dir fällt es leichter, auf dem Eis als auf dem Felsen zu klettern. Wieso?
 
Auf dem Felsen gibt es beim Klettern ab einem bestimmten Schwierigkeitsgrad diesen einen Griff, den du erwischen musst. Wenn du den nicht siehst, tust du dich verdammt hart. Beim Eisklettern hingegen ist es nicht ganz so wichtig, ob man den Pickel ein wenig weiter rechts oder links hineinhackt. Mit dem Steigeisen und den Pickeln macht man sich die Griffe fürs Klettern selbst und ich habe so etwas mehr Spielraum.
 
Wie orientierst du dich in der Natur?
 
Wir entwickelten coole Taktiken dafür. Ein steilerer Wanderweg ist für mich anspruchsvoller und gefährlicher, als wenn ich auf allen Vieren auf einer Fels- oder Eiswand bin. Deshalb werde ich bei steilen Stellen gesichert. Auf leichteren Wegen ist die Absicherung schwieriger, weil ich mit den Händen in diesem Moment nichts tun kann.
 
Wieso habt ihr euch entschieden, nicht nur zu zweit zu gehen?
 
Es gibt einen sehr langen Zustieg über mehrere Tage und wir wussten, dass Vitto und ich es zu zweit nicht schaffen würden. Wäre uns etwas passiert, hätten wir ein Problem gehabt, dort gibt es weder Hubschrauber noch Bergrettung. Hätte sich Vitto verletzt, hätte ich ihn alleine schwer rausbringen können. Deshalb entschieden wir, mindestens zu dritt zu gehen und der langjährige Kumpel und Kletterpartner von Vitto, Matthias Wurzer, kam mit. Da sich unsere Reise wegen der Corona-Pandemie zeitlich verschob, hatten wir mehr Zeit, uns als Dreier-Seilschaft vorzubereiten. Um unsere Besteigung auch professionell festzuhalten, kam der Fotograf und Bergsteiger Christian Riepler mit, der uns beim Klettern unterstützte. Bei den Entscheidungen war ich verständlicherweise wenig eingebunden, da sie durch die Sicht des Geländes die Situation besser beurteilen konnten.
 
Wie haben dich deine Kletterkollegen bei der Besteigung unterstützt?
 
Bei dieser Tour war vor allem der 40-kilometerlange Zustieg eine große Herausforderung. Hier halfen sie mir mit Ansagen zum Wegverlauf. Während der erste Teil ein einfacher Wanderweg war, verlief der mittlere Teil durch sehr unwegsames Gelände und an einem See vorbei. In diesem Teil war jeder Schritt anzusagen. Du stirbst zwar nicht, wenn du fällst, aber tust dir ordentlich weh. Dadurch kamen wir sehr langsam voran. Der letzte Teil des Zustiegs befindet sich auf einer großen Eis- und Schneefläche, die bei guten Wetterverhältnissen einer Skipiste ähnelt. Allerdings hatten wir keine guten Wetterverhältnisse (lacht).
 
Was habt ihr dann gemacht?
 
Wir merkten beim ersten Anlauf, dass wir sehr langsam gewesen waren und das Wetterfenster für die Besteigung zu klein war. Durch das schwierige Gelände und meinen schweren Rucksack war ich sehr müde geworden und wir lagen hinter dem Zeitplan. Deshalb beschlossen wir schon nach einem Tag zurückzukehren. Denn in Patagonien ist das Wetter das A und O. Bei uns (mitteleuropäisches Klima, Anmerkung der Redakteurin) ist es einfacher, das Wetter für den Tag einzuschätzen, aber dort änderte es sich innerhalb weniger Minuten von sehr gut zu sehr schlecht.
 
 
Wie ging es beim zweiten Anlauf?
 
Kurz vor Weihnachten war es sehr schwierig, unsere Flüge umzubuchen. Aber wir bekamen es dank des Reisebüros und unseres aller Einsatzes hin. Es zeichnete sich ein ausgezeichnetes Wetterfenster für eine Woche ab und wir engagierten für den ersten Teil des Zustiegs einen einheimischen Träger für meinen Rucksack. Da es aber in den letzten Tagen sehr warm war und es geregnet hatte, war der letzte Teil des Zustiegs sehr mühsam und wir brachen im Schnee bis zu den Knien ein. Trotzdem mussten wir uns motivieren, weiterzugehen, weil sonst unsere Essensvorräte nicht ausgereicht hätten. Schlussendlich konnten wir beim zweiten Anlauf den Zeitplan mithilfe des Trägers sehr gut einhalten und kamen einen Tag vor unserer Rückreise wieder zurück. Diesen einen Tag hatten wir als Reserve eingeplant.
 
Das klingt nach Abenteuer.
 
Ja, Bergsteigen in Patagonien ist sehr ursprünglich. Es gibt dort keine Rettungskette und wir begegneten wahrscheinlich auch wegen der Pandemie niemandem.
 
Seit wann bist du blind?
 
Ich bin mit der Krankheit Retinitis pigmentosa geboren worden, deshalb hat sich meine Sehstärke im Laufe der Pubertät verschlechtert. Heute erkenne ich Farben und Umrisse in der Dämmerung oder im fahlen Licht noch schwach, allerdings nicht im Sonnenschein.
 
Welcher Arbeit gehst du nach?
 
Ich bin in Wien selbstständiger Heilmasseur.
 
Wie beurteilst du den Umgang der Gesellschaft mit blinden Menschen?
 
Ich stoße sehr selten auf Unverständnis. Wenn man ehrlich ist, wird einem viel Hilfe angeboten.