Società | Darf man das?

Brief an meinen Landesrat

Nie hätte ich gedacht, dass ich Ihnen schreiben werde.
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Brief an meinen Landesrat

Sehr geehrter Herr Thomas Widmann,

nie hätte ich gedacht, dass ich Ihnen hier schreiben werde. Aber es gibt ja so Vieles, das wir alle bis vor kurzen nicht für möglich gehalten hätten. Ob Sie mich kennen oder nicht, tut auch nichts zur Sache, denn Sie sind mein Landesrat für Gesundheit. In anderen Zeiten wäre mir das nicht zum Bewusstsein gekommen, aber jetzt ist mir klar, dass es so ist und dass es so bleiben wird, solange Sie dieses Amt bekleiden. Und das verbindet uns – in guten und schlechten Zeiten. In den guten Zeiten hab ich Ihnen viel Freude bereitet. Ich hab den Alkohol nicht missbraucht, nicht geraucht, hab auf die Ernährung geachtet, mich bewegt, wenn gesundheitlich irgendetwas war, hab ich zuerst auf Mittel zurückgegriffen, die nicht „dispensati dal SSN“ und steuerlich auch nicht absetzbar sind und hab auch nie leichtfertig die öffentlichen Einrichtungen in Anspruch genommen und Präventionsuntersuchungen sehr oft selber bezahlt. Und dann kam die schlechte Zeit und Sie wollen jetzt von mir, dass ich mich impfen lasse. Das habe ich bis heute nicht gemacht. Vielleicht mach ich es einmal, kann sein, ich weiß es nicht. Jedenfalls versuch ich die verschiedenen Risiken gegeneinander abzuwägen, was ja nicht leicht ist und viel Informationssuche nötig macht und die Abwägung, was glaubhaft ist und was nicht und die entsprechende Unsicherheit ist auszuhalten. In den guten Zeiten hätte Ihnen sogar das Freude gemacht, denn der sog. mündige Patient war ja das Ideal eines Gesundheitswesens, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Ja, das war einmal.

Jetzt haben Sie mit mir viel Verdruss. Ich bin ja mit Schuld daran, dass wir Schlusslicht sind in der nationalen Impfstatistik. Das ist für Sie als verantwortlicher Landesrat sicher schwer und mag auch eine persönliche Kränkung sein. Das tut mir leid.

Aber warum schreibe ich Ihnen? Kürzlich haben Sie in der Neuen Südtiroler Tageszeitung in einem Interview sich länger mit der Frage befasst, ob die Menschen, die nicht geimpft sind, im Falle einer Aufnahme in die Intensivstation sämtliche Kosten selber tragen sollen. Am Ende meinten Sie, dass dies rechtlich nicht möglich ist. Nun frage ich mich, warum Sie dann überhaupt darüber reden. Das wird man wohl noch dürfen, meinen Sie? Ich meine, nein, das darf man nicht, denn Sie sind als oberster politisch Verantwortlicher im Gesundheitswesen Landesrat für alle Menschen im Land. Und wenn Sie Ihre Kommunikationsberater fragen, dann werden die Ihnen sagen, dass die Botschaft in diesem harmlosen Geplauder nur eine ist, nämlich „Passt auf, denn wenn wir wollen, können wir euch fertig machen, nicht nur ein bisschen, sondern ganz!“

Sie sind mein Landesrat und ich will nicht, dass Sie öffentlich so zu mir reden. Sie haben es schwer, ich weiß. Sie werden sagen, dass die Regeln der Welt und auch der Coronamegamaschine ganz wo anders festgelegt werden, irgendwo in irgendwelchen Gremien, die für demokratische Kontrollen nicht erreichbar sind und dass Sie nur ein kleiner Landesrat in einem unbedeutenden Flecken auf der Welt sind und überhaupt nichts zu sagen haben. Das mag so sein. Und doch stimmt es nicht ganz. Sie können auf diesem Posten in dieser harten Zeit von einem inneren Ort aus handeln, den man vielleicht mit Anstand, Größe, Standfestigkeit, Würde, Menschlichkeit o. ä. beschreiben könnte. Wie sehr bewegen uns doch die Geschichten von Menschen, die in Situationen totaler Ohnmacht dies alles nicht verloren haben. Ich verlange nicht, dass Sie sich wegen Hochverrats erschießen lassen. Aber Sie könnten gar einiges tun oder es zumindest glaubhaft versuchen, an das vielleicht sogar die Geschichte sich erinnern könnte. Sie könnten zum Beispiel diese Suspendierungen im Gesundheitswesen völlig anders handhaben, sie könnten die Tests kostenfrei machen, sie könnten Anweisung geben, echte Daten zu veröffentlichen und nicht sinnfreie Zahlen, sie könnten von Ihren Kommunikationsexperten verlangen, die öffentliche Kommunikation so zu gestalten, dass Diffamierung und Ausgrenzung von nicht geimpften Menschen verhindert wird, sie könnten wahrscheinlich noch manches mehr – kurzum, Sie könnten dazu beitragen, dass es weniger Angst, Stress und Wut im täglichen Leben der Menschen  in unserem Land gibt.

Das wünsch ich mir von Dir, mein Landesrat.