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Regierung von Le Pens Gnaden

Präsident Emmanuel Macron hat mit Michel Barnier einen rechtskonservativen Premierminister ernannt, der eine von Marine Le Pens RN tolerierte, also von außen unterstützte Regierung bilden soll.
Frankreich
Foto: upi
  • Vor zwei Monaten haben Zehntausende Französinnen und Franzosen auf den Straßen ausgelassen gejubelt, heute werden sie wieder auf die Straße gehen, aber um wütend zu protestieren. Am 7. Juli war es im 2. Durchgang der Parlamentswahlen gelungen, eine Regierungsmehrheit des rechtsextremen Rassemblement National (RN) zu verhindern, jetzt hat Präsident Emmanuel Macron mit Michel Barnier einen rechtskonservativen Premierminister ernannt, der eine von Marine Le Pens RN tolerierte, also von außen unterstützte Regierung bilden soll. Wie konnte das passieren?

  • Die Verheißungen des Wunderknaben Macron

    Emmanuel Macron: „Man muss am Berg den Ersten der Seilschaft unterstützen, nicht den Letzten.“ Foto: Upi

    Der bei Rothschield erfolgreiche Investmentbanker wurde 2012 vom damaligen sozialistischen Präsidenten Francois Hollande als Berater geholt und zwei Jahre später zum Wirtschaftsminister gemacht. Weil er seine teils neoliberale Arbeitsmarktreform nicht durchsetzen konnte, trat Macron 2016 aus der Regierung und der sozialistischen Partei aus und gründete die vor allem in urbanen Zentren und bei der start-up-Generation erfolgreiche Aktivistenbewegung „En Marche“. Mit dem Versprechen „Weder rechts, noch links“ das herkömmliche Parteiensystem überwinden und Frankreich modernisieren zu wollen, wurde Macron nach nur einem Jahr als 39-Jähriger zum jüngsten Präsidenten Frankreichs gewählt und als Wunderknabe bejubelt.
    Trotz aller Brillanz in der Selbstdarstellung und einer unleugbaren Strahlkraft am internationalen Parkett, stieß Macron mit seinen Reformvorhaben sehr bald auf Widerstand. Steuerreform zugunsten der Unternehmen, strengere Auflagen bei Sozial- und Arbeitslosenregelungen, Flexibilisierung  der Arbeitsverträge, Zurückdrängung des Einflusses der Gewerkschaften – Macrons Devise lautet; „Man muss am Berg den Ersten der Seilschaft unterstützen, nicht den Letzten“, also den Tüchtigen gehört die Welt. Monatelange heftige Streiks und Straßenkämpfe gegen die Reform der Eisenbahn, der Pensionsversicherung und der Sozialausgaben und die de facto zur Revolte mutierten Proteste der Gelbwesten begleiteten die erste Amtszeit Macrons. 

  • Die erste Niederlage

    Marine Le Pen: Die Stimmen der Enttäuschten geholt. Foto: upi

    Die Hoffnung in den jungen Erneuerer kippte sehr bald, wurde zunehmend zur Ablehnung. Elitär, hochnäsig, volksfern, Präsident der Reichen wurden zu gängigen Bezeichnungen, bis ein Mitarbeiter den heute geläufigsten Spitznamen erfand: „Jupiter“ (der Gott der Götter). Die Popularitätswerte stürzten innerhalb eines Jahres von 62% auf 29% ab.
    2022 schaffte Macron zwar die Wiederwahl im Duell mit Marine Le Pen, aber er selbst gestand in seiner Siegesrede, er wisse, dass sehr viele nicht für ihn, sondern gegen Le Pen gestimmt hätten – knapp 40% laut Umfragen. Dementsprechend erhielten seine Partei und Verbündete bei den gleich darauffolgenden Parlamentswahlen keine absolute Mehrheit mehr. Die Stimmen der Enttäuschten gingen an den RN Le Pens und vor allem an das neue Linksbündnis NUPES aus der Radikalen Linken, den Sozialisten, Kommunisten und den Grünen. Zwei Jahre lang war Macron gezwungen mit den Stimmen der sehr nach rechts gerückten ex-Gaullisten Les Républicains zu regieren.
     

    „Bei der EU-Wahl vor drei Monaten wurde das Macron-Lager dafür dramatisch abgestraft.“

     

    Bei der EU-Wahl vor drei Monaten wurde das Macron-Lager dafür dramatisch abgestraft: erbärmliche 14,5 % während die extreme Rechte mit einem wahrlichen Erdrutschsieg zur stärksten Kraft wurde (Marine Le Pen fast 32% und 7,7 Millionen Stimmen plus die Nichte Marion Marechal 5%).

  • Macrons Flucht nach vorne und seine Fehlkalkulation

    Obwohl das Ergebnis der EU-Wahl keine konkreten Folgen für die Innenpolitik hat, löste Macron das Parlament auf und setzte Neuwahlen innerhalb von drei Wochen an, knapp vor Beginn der Olympiade in Paris. Ein Schachzug, durch den er sich angesichts der mittlerweile völlig zerstrittenen Linken wieder eine stärkere Mehrheit im Parlament erhoffte – eine folgenschwere Fehlkalkulation. Innerhalb von 48 Stunden war das Linksbündnis wieder geeint, mit einem stark links ausgerichteten Programm. Angesichts der realen Gefahr, dass die extreme Rechte eine Regierungsmehrheit erringen könnte, rief die Linke zur „Republikanischen Front“ auf. Das hat in Frankreich Tradition und bedeutet, dass angesichts des Mehrheitswahlrechts, in der Stichwahl sich zweitgereihte Kandidaten zurückziehen, um einen rechtsextremen Kandidaten zu besiegen. 
    Die Linke hielt sich zu 100 Prozent daran, die moderaten Konservativen immerhin zu 60 Prozent, andere enthielten sich. Resultat: Der RN Le Pens ging geschwächt, das Macron-Lager halbiert und das Linksbündnis als stärkste Fraktion mit 33% der Stimmen und 193 Abgeordneten aus der Wahl hervor.

  • Das blockierte Parlament

    Das französische Parlament: Es stehen sich drei Blöcke gegenüber. Foto: upi

    Allerdings schaffte keine Partei oder Bündnis auch nur eine relative Mehrheit, sondern es stehen sich drei Blöcke gegenüber: extreme Rechte, Macron und Konservative und das neu benannte Linksbündnis „Nouveau Front Populaire“ (Neue Republikanische Front). Der NFP forderte als stärkste Fraktion (wenn auch nur um eine Handvoll Abgeordneter) von Macron die Ernennung eines/einer Premierministers/in aus seinen Reihen mit dem Auftrag zur Regierungsbildung. Nach zweimonatigen Verzögerungen (wegen der Olympiade) und langen Sondierungsgesprächen verweigerte der Präsident den Regierungsauftrag. Angesichts des in der Tat radikalen Programms „de rupture“ – also des Bruchs mit der bisherigen Politik –  deklarierten alle anderen Fraktionen, sie würden eine NFP-Regierung sofort per Vertrauensvotum wieder abwählen. 

  • Vermasselte Chance der Linken

    In der Tat hat die Linke eine große Mitverantwortung dafür, dass jetzt eine vom RN Marine Lepens tolerierte rechte Regierung bevorsteht. Der NFP beharrte auf seinem Programm - Rücknahme der Pensionsreform mit dem Antrittsalter von 64 Jahren anstatt 60 oder 62, Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 1.600.-€ netto, Wiedereinführung der Reichensteuer etc. Zudem lehnte die Linke jegliche feste Koalition mit dem Macron-Lager ab, ebenso die Ernennung des früheren sozialdemokratischen Regierungschefs Bernard Cazeneuve zum Premier. Obwohl die Sozialisten und die kleinen Kommunisten da Kompromisse für möglich hielten, wagte keine der vier Parteien aus dem Linksbündnis auszuscheren, aus Angst als Verräter dazustehen. 
    Macron kam das sehr gelegen. Hatte er sich doch schon während der letzten sieben Jahre zunehmend nach rechts entwickelt, einen konservativen Premier, einen ebenso konservativen Innenminister und andere wenig moderate Minister in die Regierung geholt, um seine wirtschaftsliberale Politik umzusetzen. 

     

     „Obwohl die Sozialisten und die kleinen Kommunisten da Kompromisse für möglich hielten, wagte keine der vier Parteien aus dem Linksbündnis auszuscheren, aus Angst als Verräter dazustehen.“  

     

    Jetzt ist Macron noch einen Schritt weiter gegangen, eigentlich über den viel zitierten Rubikon. Denn mit der Bildung einer vom Gutdünken und der Duldung des Rassemblement National abhängigen Regierung, hat Macron erstmals den sogenannten „cordon sanitaire“ – oder im deutschen Politsprech die „Brandmauer“ – der demokratischen Parteien gegenüber der extremen Rechten aufgegeben. Dabei hatte Macron bei seiner ersten Wahl vor sieben Jahren angekündigt, er werde die Wähleranzahl der Partei Le Pens halbieren! 

  • Michel Barnier – ein Mann von gestern

    Michel Barnier: der neue Premierminister. Foto: upi

    Vollbringen soll den neuen Balanceakt Jupiters jetzt Michel Barnier. Ein mit seinen 72 Jahren erfahrenes Mitglied der Politelite, aber eben von gestern. Minister war er schon unter Mitterrand, Chirac und Sarkozy und als EU-Kommissar der Mann, der mit Boris Johnson den Brexit verhandelt hat. Vom tapferen Gaullisten hat er sich im Laufe seiner Karriere eher an den rechten Rand entwickelt und etwa ein fünfjähriges Moratorium – sprich einen Stop – der Einwanderung gefordert. Bei seinem ersten TV-Auftritt gab sich Barnier zwar gemäßigt, aber so allgemein, dass schwer abzuschätzen ist, ob er gegenüber Macron Spielraum und Durchsetzungsvermögen haben wird.