Auch wenn sie mir täglich die
Auch wenn sie mir täglich die Tageslaune verhauen, vielen Dank für diese Berichte. Die Realität übersteigt meine Vorstellungskraft und lähmt, wo man doch eigentlich aktiv werden sollte.
In Istanbul und anderen türkischen Städten protestieren die Menschen gegen die Tatenlosigkeit ihrer Regierung in Kobane, wo die ISIS- Milizen bereits ihre schwarzen Todesfahnen gehisst haben. Die kurdischen Peschmerga halten nur noch einige Häuserblöcke, was den türkischen Staatspräsidenten Erdogan zur lakonischen Prognose veranlasste, dass die Stadt nun wohl bald fallen würde. Am Abend erschossen türkische Soldaten im Grenzgebiet mindestens sechs Kurden, während ISIS den Eroberungsfeldzug fortsetzt.
Immer mehr Türken zweifeln an der Stillhaltepolitik der Regierung gegenüber ISIS. Sie verstehen nicht mehr, worauf Erdogan, der neue Sultan, hinauswill. Meine regierungskritische Freundin Yasemin befürchtet, dass sich Erdogan total überschätzt, wenn er glaubt, ISIS für die eigene Zwecke ausnützen zu können. Schon bald könnten die Kalifen den Spieß umdrehen und Erdogan in ein politisches Abenteuer verstricken, das der Türkei zum Verhängnis wird.
Yasemin hat gestern und heute in Kadikoey, wo die Proteste ihren Ausgang nahmen, mitdemonstriert. Tränengas, Wasserwerfer und Knüppel hat die Polizei eingesetzt. Meine Freundin hat von allem etwas abbekommen. Das bringt sie nicht mehr aus dem Gleichgewicht, hat sie doch schon an den Demonstrationen am Gezi-Park in Istanbul teilgenommen, wo wochenlang gegen die autoritäre Politik Erdogans protestiert wurde.
Ihre Familie gehört zu den vielen laizistischen Kemalisten ( Anhänger der Politik des Staatsgründers Kemal Atatuerk ) Istanbuls, die an der Islamisierung des Staates durch Erdogan besonders zu leiden hatten. Öffentliche Aufträge oder Genehmigungen werden fast nur noch an regierungsfreundliche Unternehmen vergeben. Wer kein Kopftuch trägt, hat Schwierigkeiten, am wachsenden Bruttosozialprodukt teilzuhaben.
An der Ausbreitung der Kopftuchträgerinnen in Istanbul ist ersichtlich, wie stark die Anhängerschaft Erdogans geworden ist. Er wird gewählt, weil er Straßen, Wohnungen und Krankenhäuser gebaut hat. Und weil das Arbeit und Wirtschaftswachstum gebracht hat. Doch sein Zaudern und Zögern gegenüber ISIS einerseits und NATO andererseits zeugt von Schwäche. Sein Plan, die seit jeher zu Staatsfeinden gestempelten Kurden dezimieren zu lassen, um innenpolitisch zu punkten, wird kaum noch aufgehen.
Auch wenn sie mir täglich die Tageslaune verhauen, vielen Dank für diese Berichte. Die Realität übersteigt meine Vorstellungskraft und lähmt, wo man doch eigentlich aktiv werden sollte.
Ich finde Ihre Analyse gut. Die Ursachen des Desasters sind wohl noch einmal im letzten Buch von Peter Scholl-Latour "Der Fluch der bösen Tat" zu lesen. Schade, dass man ihn nicht ernst genug genommen hat.