Società | Suchtprävention

Die Sache mit den Drogen

Evelin Mahlknecht koordiniert die Fachstelle Suchtprävention und war vor 15 Jahren Initiatorin des Safer Nightlife Projektes “streetlife.bz”. Wie steht es um das Recht auf Rausch?
  • Seit Sonntag ist das Oktoberfest 2025 in München Geschichte. Es hat seine berechtigte Tradition, sorgt aber auch regelmäßig für bedenkliche Exzesse unter den Besucherinnen und Besuchern. Auch in diesem Jahr sind die Zahlen zu Notaufnahmen, Belästigungen und Vergewaltigungen entsetzlich. Das Credo wird weiterhin lauten: Tradition ist erwünscht, gesundheitliche und gesellschaftliche Folgen werden auch weiterhin unter den Teppich gekehrt.

  • Evelin Mahlknecht: Sozialarbeiterin, Sexualberaterin, Traumapädagogin. Sie ist Koordinatorin der Fachstelle Suchtprävention im Forum Prävention und Initiatorin des Safer Nightlife Projektes “streetlife.bz” (vor 15 Jahren). Langjährige Erfahrung in der Jugendarbeit, Suchtarbeit, Bildungsarbeit, Prävention – lokal als auch international. Foto: Privat

    Alkohol als akzeptierte Droge wird in den Diskussionen um Süchte und Suchtmittel gerne außen vor gelassen, da Alkohol als Rauschmittel in der Gesellschaft fest verankert ist. Der durchschnittliche Erstkonsum liegt in Südtirol laut ASTAT bei 14 bis 16 Jahren. Aber: „Das eigentliche Alkoholproblem hat nicht die Jugend, sondern die Erwachsenenwelt“, sagt Evelin Mahlknecht, Koordinatorin der Fachstelle Suchtprävention im Forum Prävention und Initiatorin des Safer Nightlife Projektes streetlife.bz. Sie ist Expertin für Freizeitdrogenkonsum und jugendliche Lebenswelten. 

    Der Umgang mit der Thematik Alkohol – in Bayern wie in Südtirol – zeige, dass gesellschaftliche Akzeptanz oft mehr mit Tradition als mit Vernunft zu tun habe, sagt sie und bekräftigt in diesem Zusammenhang, dass Jugendlichen auch Raum zum Experimentieren zugestanden werden müsse. „Der Mensch hat ein Bedürfnis nach Rausch – das gehört zur Natur“, meint sie auf die Frage, ob es eigentlich ein „Recht auf Rausch“ gebe. „Der Wunsch nach rauschhaften Zuständen“, fügt sie hinzu, „kann auch durch Sport, Musik, Sex oder Geschwindigkeit herbeigeführt werden.“
     

    ...weg von Spekulationen, hin zu überprüfbaren Fakten.


    Eine Diskussion um verunreinigte Substanzen in Südtirol ließ das Thema Drogen in den letzten Wochen wieder aufkommen. 

    Nach mehreren Vorfällen mit mutmaßlich gestreckten Drogen fordert die Präventionsarbeit erneut pragmatische Lösungen – allen voran ein Drug-Checking. Doch moralische und politische Widerstände würden laut Evelin Mahlknecht den Fortschritt einbremsen. „Wir hören viel – aber verifizieren lässt sich fast nichts“, sagt sie. Todesfälle und medizinische Notfälle würden oft vorschnell mit Drogenkonsum in Verbindung gebracht, ohne dass toxikologische Befunde vorliegen. Daraufhin kursieren dann viele Gerüchte in sozialen Medien und Clubs, was Unsicherheit unter Konsumierenden und in der Bevölkerung schürt. „Wir wollten dem etwas entgegensetzen – weg von Spekulationen, hin zu überprüfbaren Fakten". 

    Das Risiko des Konsums liege laut Mahlknecht weniger in der Droge selbst als in der Unkontrollierbarkeit des illegalen Marktes. „Wenn eine Substanz illegal ist, steigt automatisch das Risiko. Es fehlt die Kontrolle, und konsumiert wird trotzdem – egal, ob man mit erhobenem Zeigefinger warnt oder mit Verständnis reagiert.“

  • Im Vergleich zu den 1980er- und 1990er-Jahren hat sich die lokale Drogenszene stark verändert. Härtere Substanzen wie Kokain etwa, sind längst keine Randerscheinung mehr. „Der Anstieg begann schon vor mehreren Jahren, erreichte 2018 einen ersten Höhepunkt, und erst Jahre später habe die öffentliche Wahrnehmung reagiert.“ Ähnliche Entwicklungen gab es bei synthetischen Cannabinoiden und sogenannten Research Chemicals

    Bereits 2010 meldete die Europäische Beobachtungsstelle über 70 neue psychoaktive Substanzen – heute sind es Hunderte.

     „Viele davon entstehen durch minimale chemische Veränderungen an bekannten Molekülen, um sie gesetzlich in einer Grauzone zu halten.“ So kam etwa synthetisches Cannabinoid auf Spice (Kräutermischung) auf den Markt, das als harmlos verkauft wurde, aber hochriskante synthetische Wirkstoffe enthielt. „Erst Laboruntersuchungen in Frankfurt konnten 2013 nachweisen, was tatsächlich in dieser Mischung steckt“, erinnert Mahlknecht. 
     

    Wollen wir moralisch reagieren – oder menschlich und realistisch handeln?


    Nach dem Abgang des restriktiven Regierungskommissars Paolo Sartori, der versucht hatte, Drogenprobleme pauschal zu kriminalisieren, hofft man nun auf eine offenere Haltung. Ziel sei eine „parteipolitisch unabhängige Debatte, die sich an Fakten und nicht an Moralvorstellungen orientiert.“ 

    Als positives Beispiel gelte die Schweiz: Dort habe man in den 1990er-Jahren auf katastrophale Zustände – offene Drogenszenen, Überdosierungen, hohe Sterberaten – mit Pragmatismus reagiert. Heute gibt es dort Konsumräume, klare Aufklärung und flächendeckendes Drug-Checking. „In der Schweiz fragt man: Was funktioniert? Nicht: Was wirkt moralisch richtig?“, unterstreicht die Expertin. Der Erfolg gebe dieser Haltung recht: Wo Konsumierende ihre Substanzen testen lassen, sinkt die Zahl der Überdosierungen deutlich. Und viele verzichten auf den Konsum, wenn die Analyse zeigt, dass die Droge anders zusammengesetzt ist als erwartet. Auch in Österreich und Teilen Deutschlands ist Drug-Checking längst etabliert. 

    In Südtirol hingegen existiert bis heute kein offizielles Angebot. Es gibt zwar ein Substanzanalyselabor, allerdings sind diese Informationen für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Warum hinkt Südtirol hinterher? „Weil wir immer noch stark von moralischen Vorstellungen geprägt sind“, glaubt Mahlknecht. Und weil der politische Rahmen fehle, sagt sie, „nachdem Drug-Checking vielerorts als Aufforderung zum Konsum missverstanden werde.“  Die entscheidende Frage für die Zukunft wird lauten: „Wollen wir moralisch reagieren – oder menschlich und realistisch handeln?“

  • streetlife.bz ist ein Safer Nightlife Projekt, das direkt in den Nacht- und Freizeitszenen in ganz Südtirol präsent ist. Als mobile Interventionsform sensibilisiert streetlife.bz die BesucherInnen von diversen (Musik)veranstaltungen zu den Thematiken des legalen und illegalisierten Substanzkonsums, sexuell übertragbaren Krankheiten, das Verhalten im Nachtleben und die Vorbeugung von Notfällen im Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenkonsum.