Hat es was gebracht?
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Seit den frühen 2000er Jahren werden in Südtirol Flüsse renaturiert – oder, wie es oft heißt, revitalisiert. Seit 2011 verfolgt die Agentur für Bevölkerungsschutz, ehemals Landesabteilung Wasserschutzbauten, den Entwicklungsplan für die Fließgewässer Südtirols (EFS30).
Die EU-Wasserrahmenrichtlinie gibt vor, in und um Südtiroler Bäche und Flüsse auf einer Gesamtlänge von 9700 Kilometern einen guten ökologischen Zustand zu erreichen. Ziel ist es, mehr Natur in die Landschaft zu integrieren. Mit Projekten an der Passer, der Falschauer, der Etsch, dem Eisack und der Ahr wurden größere und kleinere Eingriffe vorgenommen, um den Flüssen ihren ursprünglichen Charakter zurückzugeben. Ufer wurden höher oder niedriger gestaltet, Bachbette vertieft, Seitenarme geschaffen und die Grenzen zwischen Fluss und Ufer aufgelöst.
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Der Rückgang natürlicher Flusslandschaften
Peter Hecher, vom Landeswarnzentrum zuständig für Flussraummanagement und Fließgewässerentwicklung, spricht von einem Rückgang der natürlichen Flusslandschaften um 80 Prozent seit Beginn der Landgewinnungsarbeiten in Südtirol. Er betont, dass die Langzeitplanung des EFS30 erst in Zukunft ihre volle Wirkung zeigen wird.
Hochwasserschutz und Renaturierung müssen dabei Hand in Hand gehen, wie die jüngsten Hochwasser-Ereignisse in Norditalien und Österreich verdeutlicht haben. Die Klimaveränderungen erhöhen Häufigkeit und Intensität von Hochwassern. Für Hechers Amt stehen daher praktische Lösungen im Fokus, die Renaturierung, Hochwasserschutz und das Einvernehmen mit den Anrainern in Einklang bringen.
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Flüsse als Gesamtheit betrachten
Hecher unterstreicht, dass Flüsse vom Oberlauf bis zur Mündung miteinander verbunden sind. Renaturierungen sollten daher fair über die gesamte Flusslandschaft verteilt werden, um die Last für Grundstücksbesitzer zu verringern und Solidarität zu fördern. Besonders wichtig ist es Hecher, die Revitalisierung langfristig und gemeinschaftlich zu denken. Viele Menschen in Südtirol sind zwar für den Schutz der Natur, jedoch oft weniger bereit, bei eigenen Grundstücken Einschränkungen hinzunehmen.
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Erfolge und Herausforderungen
Thomas Wilhalm, Botaniker am Biodiversitätszentrum des Landes, hebt die hohe Dynamik renaturierter Gewässer hervor. Ein Beispiel ist die Ilsterner Au bei Kiens im Pustertal, wo sich die Pflanzenvielfalt schon kurz nach den Maßnahmen erhöht hat. Dennoch fehlt es oft an Zeit, Geld und Personal für Langzeitstudien über den ökologischen Effekt der Maßnahmen.
Stichproben haben Verbesserungen gezeigt, etwa in der Ahr. Dort haben sich Substrate und das Strömungsverhalten diversifiziert, und die Wasserqualität ist deutlich gestiegen. Eine Studie aus dem Jahr 2020 identifizierte 83 Arten des Makrozoobenthos (sichtbare, wirbellose Tiere am Wassergrund). Generell kann die Ahr als Erfolgsmodell angesehen werden. Dort gab es auch größere Erhebungen. Trotzdem können diese oft nur das hohe Potential des Lebensraums ermitteln, ob dies beispielsweise seltene Amphibien oder Insekten zurück lockt, ist offen. An der Ahr haben sich seit 2000 die Bestände der Äsche verbessert. Auch Vogelarten wie Eisvogel, Kleinspecht, Flussregenpfeifer und Graureiher haben sich stabilisiert oder erholt.
Trotz dieser Erfolge blieb der Fischbestand hinter den Erwartungen zurück. Laut Klaus Graber vom Naturtreff Eisvogel an der Ahr kamen viele Maßnahmen zu spät. Auch das Insektensterben und der Klimawandel begrenzen die Wirkung lokaler Projekte. Beispielsweise konnten Flußkrebse trotz verbesserter Wasserqualität an der Ahr nicht wieder angesiedelt werden.
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Monitoring und Langzeitstudien
Langzeitstudien zur Bewertung der Maßnahmen fehlen nicht nur in Südtirol. In den USA wurden Mitte der 2000er Jahre nur etwa 10 Prozent von 30.000 Revitalisierungsprojekten evaluiert, in Nordrhein-Westfalen waren es sogar nur 7 Prozent. Zudem werden viele Renaturierungsmaßnahmen standardisiert durchgeführt, ohne ausreichende Anpassung an die jeweiligen Ökosysteme.
Die Renaturierung bleibt also eine langfristige Aufgabe, die sowohl ökologische als auch gesellschaftliche Herausforderungen birgt.
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