Cultura | Salto Afternoon
The Rest is drag
Foto: Nikolaus Ostermann/VBB
Kurz vor dem 50-Jahr-Jubiläum am 16. Juni ist Richard O’Brians Stück auf der Bühne des Bozner Stadttheaters in einer Eigenproduktion zu sehen. Noch immer gibt es zahlreiche Produktionen, aber dadurch, dass man sich die Rechte am Stück sicherte, hatte man in der eigenen Gestaltung des Stücks größere Freiheiten.
Zur Transparenz: Da ich den Samstag bei der Salto Festa am Stangler Hof verbracht habe, nutzte ich die Gelegenheit tags zuvor, am Freitag Abend der Generalprobe und 125 Jahr Feier einer Sponsoren-Firma beizuwohnen. Aus Unterhaltungen mit Premierenbesucher:innen weiß ich, dass Abends darauf die Mitmachmoral des Publikums sehr viel stärker ausgeprägt war und, wenig verwunderlich, viele Rocky Fans im ausverkauften Saal gewesen sein sollen. Mit meiner Begleitung befand ich, dass man bei der „Rocky Horror Show“ mittendrin statt nur dabei sein sollte und wir haben uns deshalb mit Fan-Utensilien ausgestattet. Leider war an diesem Abend auch die Schauspielerin der Magenta (Dorina Garuci) abwesend, die der Generalprobe fern bleiben musste, in ihren kleinen Sprechparts wurde sie durch die Regieassistenz eingelesen, die Interpretation des Eröffnungssongs „Science Fiction Double Feature“ übernahm Columbia-Darstellerin Mariyama Ebel würdig.
Eine der größten Abweichung vom Original ist die Ausgestaltung der Erzähler-Rolle durch Lukas Lobis, der als Zeremonienmeister die Verbindung zwischen Bühne und Publikum herstellen sollte, unter anderem dadurch, dass er sich mit einem Signalschild mit Blitz am Rande der großen Materialschlacht bemerkbar machte, um auf Mitmachmöglichkeiten zu markieren. Auch indem er zu Beginn des Stückes aus der Rolle trat und in Dialekt an ihn herangetragene Zweifel weitergab, ob in Bozen das Publikum wohl mitmachen würde. Immer wieder war Lobis auch dazu da dafür zu sorgen, dass ja nicht der Eindruck entstünde, dass sich die Geschichte um die Schaffung des künstlichen Sexgotts Rocky (Andrea De Majo stahl eindeutig sein Schöpfer Frank N. Furter das Rampenlicht) durch Aliens vom Planeten Transsexual aus der Galaxie Transylvania zu ernst nehmen würde, etwa wenn er die Türglocke mimt.
Ohne große Umbauten, aber mit beeindruckenden Bühnenelementen (Ayşe Gülsüm Özel, auch für die aufwändigen Videoprojektionen gerade ab der zweiten Hälfte zuständig, die Tiefenwirkung erzeugen) wurde der Rahmen der zweistündigen Show gesteckt, welche choreographisch durchwegs auf so vielen Ebenen stattfand, dass man bei mehrmaligem Besuch der Show Neues entdecken wird: Stehen im Vordergrund noch Janet (Anna Burger) und Brad (Sebastian Prange) vor ihrem Ford Puma Coupe bei der Panne im Regen, so tanzen im Halbdunkel dahinter schon die Phantome. Neun Kopf stark ist die Truppe aus Gregor Krammer (Co-Choreograph für Vogueing Elemente), Robin Rohrmann (Dance Captain), Antonia Wortberg, Anna Fink, DaDa JV, Bruna Trze, William Briscoe-Peake, Aloysia Astari und Adam Demetz. Sie seien alle genannt, da durch ihr Spiel die Bühne in 120 Minuten Spielzeit nie wirklich zum Stillstand kam. Die Doppel-Choreographie unter Marcel Leemann war dabei im gleichen Maße glamouröse Kostümschau (es kam zu vielen Wechseln, Aleksandra Kica hatte allerhand zu tun und fand zu einem ikonischen Look, manchmal mit klaren Anleihen, von Playboy-Bunny bis Maleficent) und Tanz der lediglich in der zweiten Hälfte etwas zu sehr auf das Eine versteift war. Zuvor waren die Gesten humor- und fantasievoll, die tänzerische Leistung im Kollektiv überbrückte immer mal wieder Passagen, in welchen zwischen einer Gesangs-Nummer und der nächsten wenig geschah, oft in für akrobatische Elemente schwierigem Schuhwerk.
Was die Musik anbelangt, so spielte die Band (Matteo Rossetto an der E-Gitarre, Dominik Told am Bass, Federico Groff an den Drums, Fiorenzo Zeni am Tenor Saxophon und musikalischer Leiter Stephen Lloyd, sowie Ingo Ramoser an den Keyboards) im Hintergrund, von schmalzig bis groovy, fast unsichtbar aber stilsicher. Auch die Gesangs-Rollen machten ihre Sache gut bis sehr gut, Brad und Janet fanden, je mehr sie im Laufe des Abends (nach einem weniger überzeugenden „Dammit, Janet!“, das schließlich zu den Kultsongs des Stücks zählt), mehr und mehr zu ihrer Stimme, je queerer sie wurden, umso mutiger gaben sie sich auch. Michael Souschek, in Doppelbesetzung als Eddie und Dr. Scott auf der Bühne, hatte als ersterer nur einen sehr kurzen Gesangsauftritt, welcher ebenfalls zu den wenigen für den Abend etwas nach unten abfallenden Liedern zählte, als Doktor war er jedoch ein scheinbar perfektes Gegengewicht für die schaurig schöne Queerness der „Creatures of the Night“. Zumindest bis unter den weiten Hosenbeinen seines Anzugs ein Paar Stilettos hervor blitzte, was die Absolutheit des Gegensatzes ein Stück weit brach. Als Detail verdeutlichte es noch einmal, dass sowohl die gesellschaftlich ausgelebten Geschlechterrollen, wie auch deren äußerliche Erkennungsmerkmale durchwegs vom Absoluten abweichen.
Die gesangliche Offenbarung des Abends war Riff-Raff, den Steven Ralph verkörperte, nicht etwa weil er besonders sauber, sondern besonders kraftvoll und rückhaltlos sang. Seine Performance war brutal und leidenschaftlich. Kalkül und Kontrolle brachte dagegen „Sweet Transvestite“ und „böses“ Supergenie Frank N. Furter. Philipp Moschitz gab den Part in den glamourösesten Kostümen und einer Aura von Macht, Sex und Selbstbewusstsein. Moschitz zeigte sich dabei ganz und gar in seinem Element, besonders in der tonal düsteren zweiten Hälfte des Abends, welche düster-erotisch und bedrohlich begann und noch einmal Spannung erzeugte, auf dem Weg zu den letzten Kultsongs und einer Reprise des Time-Warp.
Die Kostümkollektion des Schurken Frank N. Furter fing oben ohne an, mit Hasenohren und Puschelschwanz, sowie einer halbtransparenten Strumpfhose ohne Unterbekleidung. Im Publikum löste das bei einem Sitznachbarn physisch erkennbares Unwohlsein aus und er saß mit einem Mal unbequemer im Sessel. Warum denn eigentlich? Wie es Dragqueen RuPaul sang: „We're all born naked / And the rest is drag“. Die neue „Rocky Horror Show“ feiert diesen Umstand und, wie das bei einer Feier so ist, hat man mehr Spaß, wenn man nicht am Rande steht, sondern sich darauf einlässt und mitmacht. War das bei meinem Besuch nur recht begrenzt der Fall, so gab es am Ende doch lang anhaltende Standing Ovation für eine gelungene Vorpremiere, welchen sich das große Team verdient hatte.
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