Società | Saisonarbeit

Zeitbank statt Arbeitslosengeld

Kann eine „Zeitbank“ der Saisonarbeitslosigkeit entgegenwirken. Die Idee stammt vom Arbeitsförderungsinstitut. Die Gewerkschaften sind dem Vorschlag gewogen. Kritik kommt vom HGV.
Gastronomie
Foto: Rudi Moling
  • In Südtirol prägt die starke Saisonalität im Tourismus die Arbeitslosigkeit. Viele Beschäftigte im Gastgewerbe arbeiten nur während der Hauptsaison im Winter oder Sommer und seien dazwischen arbeitslos gemeldet. Das führe zu großen Schwankungen in der Arbeitslosenstatistik und erschwere die Lebensplanung der Betroffenen.

    Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstituts (AFI), beschreibt das verbreitete „4+2+4+2“-Saisonmodell: Arbeitnehmer arbeiten vier Monate, sind dann zwei Monate arbeitslos, arbeiten erneut vier Monate und dann wieder zwei Monate arbeitslos. Dadurch würden nur für acht Monate volle Rentenbeiträge eingezahlt, und die verbleibenden vier Monate seien die Beschäftigten auf Arbeitslosengeld angewiesen. Das erschwere etwa Kreditaufnahmen und verursache jährlich mindestens sechs Behördengänge für An- und Abmeldungen.

     

    „Ich behaupte, dass 75 % der kurzzeitigen Registerarbeitslosen auf das Phänomen Tourismus zurückzuführen sind.“ 

     

    Daten des Arbeitsmarktservice zeigen, dass die Registerarbeitslosigkeit in Südtirol im Jahresverlauf zwischen 10.000 und 22.000 Personen schwanke. Die Kurzzeitarbeitslosigkeit (unter drei Monaten) steige im November auf über 15.000 Personen, davon kommen fast zwei Drittel aus dem Gastgewerbe. Perini ist überzeugt: „Ich behaupte, dass 75 % der kurzzeitigen Registerarbeitslosen auf das Phänomen Tourismus zurückzuführen sind.“ Würden Saisonverträge überwunden, könne die Arbeitslosigkeit um etwa 30 % sinken – das wären 4.000 bis 5.000 Arbeitslose weniger.

    Hinzu komme, dass die Südtiroler Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe stark auf Arbeitskräfte aus anderen Teilen Italiens und aus Osteuropa angewiesen seien, während der Anteil einheimischer Beschäftigter sinke. Die saisonale Beschäftigung führe zu einer hohen Fluktuation: Etwa die Hälfte der Belegschaft wechsele nach jeder Saison.

  • Ein neues Modell

    Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstituts (AFI): Ein neues System solle für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die öffentliche Hand entlastend sein Foto: SALTO

    Als Lösung schlägt Perini ein ganzjähriges Festanstellungsmodell mit einer „Zeitbank“ vor. Die Gesamtjahresarbeitsstunden bleiben gleich, werden aber auf alle zwölf Monate verteilt. In den Hochsaisonmonaten arbeitet der Arbeitnehmer zwar immer die selben Stunden wie bisher, allerdings werden nicht alle sofort ausgezahlt (z. B. nur 150 statt 225 Stunden pro Monat). Die übrigen Stunden werden in eine Zeitbank eingezahlt und in den arbeitsfreien Monaten ausgeglichen. So bleibt das Einkommen stabil, die Rentenbiografie lückenlos und es fällt kein Arbeitslosengeld an.

    Arbeitnehmer hätten ein stabiles Einkommen, eine lückenlose Rentenbiografie und benötigten kein Arbeitslosengeld. Betriebe würden von geringerem Rekrutierungsaufwand und einer höheren Mitarbeiterbindung profitieren, was wertvolles Know-how im Unternehmen halten würde. Auch die öffentliche Hand werde entlastet, da nur ein Behördenschritt anstelle von sechs erforderlich sei und die Ausgaben für Arbeitslosengeld entfallen würden.

  • Gewerkschaftliche Sichtweise

    Alex Piras, Vize-Vorsitzender des ASGB, unterstützt grundsätzlich mehr unbefristete Verträge, warnt aber vor einer zu einfachen Sicht auf die Sache. Viele Saisonkräfte, vor allem aus Osteuropa, wählten bewusst den Saisonvertrag, und es gebe gesetzliche sowie strukturelle Rahmenbedingungen, die Saisonarbeit bedingen. Ein großes Hindernis für die Zeitbank sehe er in der weit verbreiteten Praxis von Nettolöhnen, bei denen Überstunden oft bereits enthalten seien. Für eine faire Umsetzung müsse man zu Bruttolöhnen wechseln. Zudem seien viele Betriebe rechtlich als Saisonbetriebe definiert, was vollständiges Abschaffen von Saisonverträgen erschwere. Regionale Unterschiede innerhalb Südtirols machten zudem einheitliche Lösungen schwierig. Gewerkschaften hätten bereits soziale Absicherungen wie Gesundheitsfonds und Zusatzrentenbeiträge geschaffen. Obwohl ein Anspruch auf unbefristete Verträge nach zwei Saisonverträgen besteht, wird dieser oft nicht eingefordert.

    Gianluca da Col vom Südtiroler Gewerkschaftsbund sieht das ähnlich: Ziel seien mehr unbefristete Verträge, aber die Realität sei komplex. Zeitbanken eigneten sich nicht überall, weil Schließzeiten sehr unterschiedlich sind. Für Betriebe mit mindestens 50 Tagen Schließzeit („AS50“-Betriebe) könnten solche Modelle jedoch hilfreich sein. Positiv bewertet er den Anstieg unbefristeter Verträge im Hotel- und Gastronomiebereich um 6 bis 7 %. Dennoch seien die regionalen Unterschiede zu beachten.

     

    „Chancen in einer Degionalisierung.“

     

    Stefano Picchetti  von der Gewerkschaft UIL betont, dass es sich auch um ein politisches und soziales Problem handle: Jeder habe das Recht auf ein stabiles Arbeitsleben. Trotz wachsendem Tourismus bleiben 80 % der Verträge befristet, gleichzeitig herrsche in Spitzenzeiten ein Arbeitskräftemangel von 30 bis 40 %. Das Paradoxon entstehe durch „Overtourism“ – Angebot und Nachfrage konzentrieren sich auf wenige Monate. Die Lösung liege in der Entzerrung der Nachfrage, Glättung der Spitzen sowie Investitionen in Aus- und Weiterbildung während schwacher Monate. Das Thema müsse grenzübergreifend und ganzheitlich betrachtet werden und könne nicht so einfach gelöst werden.

  • Stellungnahme des Hoteliers- und Gastwirteverbands (HGV)

    Raffael Mooswalder HGV-Direktor: betont, dass die Saisonalität keine freiwillige Entscheidung sei und regionale Unterschiede differenziert zu betrachten seien. Foto: Seehauserfoto

    Der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) kritisiert die Analyse des Arbeitsförderungsinstituts (AFI) zu den saisonalen Arbeitsverträgen als zu einseitig und wenig praxisnah. Die Saisonalität sei durch touristische, geografische und klimatische Faktoren vorgegeben und keine freiwillige Entscheidung der Betriebe. Viele Arbeitnehmer würden die Flexibilität des Saisonvertrags schätzen, so  HGV-Direktor Raffael Mooswalder. Zudem würden saisonale Schließzeiten weiterhin bleiben und diese Realität lasse sich nicht einfach durch theoretische Vertragsmodelle auflösen. Viele Betriebe würden bereits längerfristige Arbeitsverträge anbieten, etwa in den Bereichen Verwaltung, Rezeption, Marketing oder Küche.

    Der HGV widerspricht der Behauptung von AFI-Direktor Perini, dass während der Arbeitslosigkeit keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt würden. Dies sei irreführend, da auch diese Zeiten für die Rentenversicherung angerechnet werden.

    Der HGV verweist auf das vor einem Jahr geschlossene Landesabkommen mit den Gewerkschaften, das klare Regeln für Saisonarbeit definiere. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Gewerkschaften und HGV arbeite aktuell an praxisnahen Lösungen zur Stabilisierung der Beschäftigung im Tourismussektor.