Cronaca | Prozess

„Gift für die Demokratie“

Die Kritiker des Pestizideinsatzes in Südtirol und ihre Verteidiger über den Strafgerichtsprozess in einer Woche: „Südtirol hat ein Demokratieproblem.“
PK Pestizid
Foto: Othmar Seehauser

„Südtirol hat nicht nur ein Pestizidproblem, sondern auch ein Demokratieproblem,“ sagt Karl Bär vom Münchner Umweltinstitut. Wegen seiner Kritik an Südtirols Pestizideinsatz muss sich der Referent für Agrarpolitik am 15. September dem Bozner Landesgericht stellen-Agrarlandesrat Arnold Schuler hatte ihn wegen „Übler Nachrede“ angeklagt. Sein Verteidiger, der Südtiroler Anwalt Nicola Canestrini bezeichnet den Strafprozess ebenso als „Gift für die Demokratie“ und sieht darin einen Fall von SLAPP-Antrag, kurz für „strategic lawsuit against public participation“. Damit gemeint sind Strafgerichtsprozesse, „die der Einschüchterung dienen, und eine Debatte in der Öffentlichkeit verhindern sollen,“ erklärt Canestrini,

Bei dem Gerichtsprozess werden die Angeklagten und ihre Verteidiger versuchen zu zeigen, dass es sich bei dem Prozess um ebenjenen Angriff auf die Meinungsfreiheit handelt, und dass ihre Kritiken zum Pestizideinsatz in Südtirol berechtigt waren. Dass bei der Pressekonferenz des Umweltinstituts eine Woche vor dem Gerichtsverfahren ausgerechnet Südtiroler Äpfel als Snack angeboten werden, wirkt dabei fast ironisch.

 

Die Anti-Pestizid Kampagne und ihre Folgen

 

Die ganze Geschichte hatte relativ harmlos begonnen. Im August 2017 hängte das Münchner Umweltinstitut ein Großplakat an die Münchner S-Bahn Station Karlsplatz, das an die üblichen Südtirol-Werbungen des IDM erinnerte. Allerdings war darauf keine idyllische Berglandschaft zu sehen, sondern ein Traktor, der auf einer Südtiroler Apfelplantage Pestizide spritzt. Darunter die Aufschrift „Südtirol sucht saubere Luft“, flankiert neben dem Südtiroler Logo und dem Titel „Pestizidtirol“. Dazu wurde eine Internetseite eingerichtet, auf der Fakten zum Pestizideinsatz in Südtirol zu lesen waren. Dass ein einziges Plakat solchen Zorn auf sich ziehen würde, hätte Bär damals noch nicht gedacht. Jetzt drohen ihm nicht nur eine Geld- und Freiheitsstrafe, sondern auch Schadenersatzzahlungen in Millionenhöhe.

Die provokante Kampagne des Münchner Umweltinstituts ist aber nicht die einzige offene Kritik, gegen die sich der Gerichtsprozess richtet. Neben Bär sitzen auch der österreichische Publizist Alexander Schiebel und sein Verlag Oekom auf der Anklagebank. Schiebel hatte 2015 das Buch (und zwei Jahre später den gleichnamigen Film) „Das Wunder von Mals“ veröffentlicht. Darin erzählt er vom Widerstand der Vinschgauer Gemeinde gegen den Einsatz von Pestiziden. Eine Textpassage, in der er Landwirte als Mörder bezeichnet haben soll, wird ihm nun zum Verhängnis.

 

Arnold Schuler rechtfertigte vor drei Jahren gegenüber Salto.bz seinen Schritt: „Kritik ist gut, aber das Ganze hat jetzt ein Niveau erreicht, das nicht mehr tragbar ist. Wir können es nicht tolerieren, dass die Südtiroler Landwirtschaft so falsch dargestellt wird.“ Mittlerweile haben sich rund 1.400 Obstbäuerinnen und Bauern dem Verfahren des Landes Landesrats für Landwirtschaft angeschlossen.

 

Angriff auf die Meinungsfreiheit?

 

Für die Angeklagten ist der Fall ein klarer Versuch, künftige Kritiker einzuschüchtern. Laut Bär läge die Gefahr solcher Anzeigen daran, dass sie unabhängig von ihrem Ausgang eine Wirkung über Jahre hätte. Daher sei es wichtig, sich nicht mundtot machen zu lassen: „Wenn wir jetzt aufhören den Pestizideinsatz zu kritisieren, dann hat die Gegenseite schon gewonnen,“ so Bär. Er ist sich sicher, nicht gegen Recht verstoßen zu haben, und beruht sich dabei auf die Meinungsfreiheit nach EU-Recht. „Ich darf sagen, dass Südtiroler Obstbauen Gifte einsetzen, die andere Leute einatmen,“ sagt der Referent für Agrarpolitik. Auch auf der Internetseite der Kampagne“ Pestizidtirol“ habe man sich auf Fakten berufen. Demnach wurden laut ISTAT im Jahr 2018 sechs Mal mehr Pestizide in Südtirol verkauft als im italienweiten Durchschnitt.

Wenn wir jetzt aufhören den Pestizideinsatz zu kritisieren, dann hat die Gegenseite schon gewonnen. Wir dürfen uns nicht mundtot machen lassen

Zu der Textstelle im Buch, die Schiebel vorgeworfen wird, sagt der Autor, sie seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Er habe einen Obstbauern zitiert, der bei einer Veranstaltung in Schlanders sagte, er fühle sich wie ein Mörder behandelt. Diesen Satz greift der Autor in seinem Buch auf und sagt, das Benutzen von Pestiziden sei kein Mord, jedoch handele es sich beim Ignorieren von Gefahren dieser Giftstoffe um vorsätzliche Tötung. Zum Prozess gegen ihn sagt Schiebel: „Die Anzeige ist nicht nur gegen mich gerechnet. Sondern die Aktion geht auch gegen euch. Dieser Fall soll euch lehren, dass, wer kritisiert, sich in Gefahr bringt.“ Er ist überzeugt, die Mehrheit der Südtiroler stehe gegen den Pestizideinsatz und fordert die Bevölkerung daher auf, sich solidarisch zu zeigen.

 

Auch gegen Mals wurde geklagt

 

Auf der Pressekonferenz sind auch Vertreter aus Mals anwesend, die wegen einer ähnlichen Geschichte in einen Gerichtsprozess verwickelt sind und ihre Solidarität für die Angeklagten aussprechen. „Wir wissen was es heißt, vor Gericht gezerrt zu werden, weil man auf einen Missstand aufmerksam macht,“ beginnt Der Bürgermeister von Mals Ulrich Veith. Die Gemeinde hatte 2014 ein Referendum veranstaltet, bei dem sich drei Viertel der Bevölkerung für eine pestizidfreie Landwirtschaft aussprachen. Die Gemeinde erließ daraufhin ein Verbot für den Einsatz von Pestiziden.

Die Anzeige ist nicht nur gegen mich gerechnet. Sondern die Aktion geht auch gegen euch. Dieser Fall soll euch lehren, dass, wer kritisiert, sich in Gefahr bringt

Dieser Schritt brachte der Gemeinde drei Gerichtsverfahren ein, bei denen es einmal darum geht, ob dieses Verbot zulässig war, dann um die Rechtmäßigkeit der Volksabstimmung und drittens gegen den Bürgermeister persönlich mit dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs. „Ich verstehe die dritte Anklage gar nicht, wenn man als Bürgermeister eines demokratischen Landes eine Volksabstimmung organisiert,“ sagt Veith. So sahen es auch die Richter, und Sprachen den Bürgermeister frei. Die ersten beiden Verfahren laufen noch in zweiter Instanz, die Entscheidung des Malser Referendums wurde für ungültig erklärt. Die Gemeinde werde sich aber weiterhin für mehr biologische Landwirtschaft und eine nachhaltige Entwicklung einsetzen, betont Veith.

 

 

Gerichtsprozess statt offener Debatte

 

Ob die Anklagen gegen Bär und Schiebel auf „Üble Nachrede“ gerechtfertigt sind, wird am Ende das Bozner Landesgericht entscheiden. „Meinungsfreiheit ist kompliziert“, sagt Canestrini, und gibt zu, dass sie auch Grenzen hat. Diese lägen dort, wo Kritik nicht gegen eine Sache gerichtet ist, sondern eine Person gezielt attackiert. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Statt vor Gericht zu ziehen, hätten die Strafantärger die Kritik am Pestizideinsatz kritisieren können. Dadurch wäre eine echte öffentliche Debatte entstanden. „Doch es scheint unmöglich, in Südtirol öffentlich über den Pestizideinsatz sprechen zu können,“ bedauert der Anwalt.

Es scheint unmöglich, in Südtirol öffentlich über den Pestizideinsatz sprechen zu können

Und so müssen die Umweltschützer diese Debatte statt auf politischer Bühne, wo sie eigentlich hingehört, juristisch austragen. „Darauf freuen wir uns,“ sagt Canestrini im Hinblick auf die breite öffentliche Aufmerksamkeit, die den Pestizidkritikern „dank“ der Anklage Schulers zukam. Eine Zeugenliste von 90 Personen, darunter mehr als dreißig Sachverständiger aus aller Welt könnten es kaum erwarten, im Gerichtssaal zu beweisen, dass Pestizide ein Problem für Umwelt und Gesundheit darstellten sagt Canestrini und gibt sich zuversichtlich. „Das wird nicht ein Prozess sein gegen Karl Bär und Alexander Schiebel, sondern ein Prozess gegen den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft.“