Politica | Weltkrieg?

Der Himmel über der Türkei

Russische Militärjets haben mehrmals den türkischen Luftraum verletzt. Wird das jetzt zum Casus Belli für die NATO und die Türkei?

Es wird eng im Luftraum zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak. Amerikanische, französische und seit einer Woche russische Jagdbomber tummeln sich dort. Die türkische Luftwaffe verletzt seit Jahren diesen Luftraum, um Kurden und Assad-treue Militäreinheiten in Syrien und im Irak niederzubomben. Seltsam, dass dies fast unbehelligt von internationalen Protesten geschehen konnte.

Jetzt will die NATO als Reaktion auf die russischen Luftraumverletzungen der Türkei beistehen, um Kremlchef Putin in die Grenzen zu weisen.

Das ist insofern problematisch, als Putin vom syrischen Phantom-Herrscher Assad zu Hilfe gerufen wurde und die Duma in Moskau die "Schutzintervention" Putins abgesegnet hat. Russland hat also eine Art Legitimation für den Syrien-Eingriff. 

Das Problem: Assads Syrien ist auf ein Zehntel seines ehemaligen Territoriums zusammengeschmolzen. Dort, in der Ungebung von Damaskus und Homs, wo die Assad-Clans noch dominieren, wird Putin als Held gefeiert.

Ausgangspunkt der letzten militärischen Eskalation im syrischen Kriegsgebiet war der immense Flüchtlingsstrom aus Syrien und dem Irak Richtung sicheres Europa. Um diesen Strom zu stoppen oder zumindest einzubremsen, wollte man im Kriegsgebiet Frieden schaffen, damit die Menschen nicht mehr fliehen müssen.

Doch was ist herausgekommen? Statt dem angepeilten Frieden gibt es jetzt echten, gefährlichen Krieg zwischen den Grossmächten im syrisch-irakischen Grenzgebiet! Welch Niederlage, welch Versagen aller Diplomatien, die wegen der Flüchtlinge in Panik gerieten!

Die Türkei ist zum Schlüsselland für die Flüchtlingsfrage und für das Verhältnis zwischen NATO und Russland geworden. Die EU hat sich freigekauft und eine Milliarde Euro bereitgestellt, damit  die Türken die syrischen und irakischen Flüchtlinge behalten. Dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan hat dieses rückgratlose Europa die Möglichkeit geboten, sich auf internationaler Ebene wieder zu etablieren, nachdem er wegen der Verletzung von Menschenrechten lange auf Distanz gehalten worden war. 

Aber gehen wir noch weiter zurück: die ersten militärischen Angriffe aus der Luft starteten vor einem Jahr und sollten den Islamischen Staat treffen und vernichten. Es waren US-Jagdbomber, die aufstiegen, um dieses Ziel anzupeilen - mit einer Reihe von aufsehenerregenden Misserfolgen. Am Boden riskierten Peshmerga und Kurdenkämpfer das Leben, um die bestens mit westlichen Waffen ausgerüsteten IS-Milizen zurückzudrängen.

Frankreich engagierte sich auch in diesem Militäreinsatz, da die Großstadtperipherien der Grand Nation von potentiellen Jihadisten wimmeln. Tausende sind schon nach Syrien gezogen, um sich dem neuen Kailfen Al Bagdadi anzuschliessen, der mit brutaler Gewalt sein Regime rund um Raqqa und Palmira errichtet hat.

Doch merkwürdig: Vom Kampf gegen den Islamischen Staat ist nur dann zu hören, wenn eine Großmacht ihren Militäreinsatz im Krisengebiet rechtfertigen muss. Den USA ist es weder gelungen, den Islamischen Staat einschneidend zu bedrohen, noch niederzumachen. Russland, ebenfalls angetreten, um den IS zu besiegen, bombardiert vor allem syrische Freiheitskämpfer, die Assad stürzen wollen.

Der Islamische Staat, der aus ehemaligen Saddam-Hussein-Militärs und Geheimdienstleuten besteht, die mit professioneller Internet-Propaganda billige Kämpferware aus den EU-Staaten und aus Tschetschenien anziehen, besetzt fast zwei Drittel des ehemaligen Syrien.

Auch einen Teil des Irak hat der IS besetzt. Militante Daesch-Sympathisanten und Kämpfer finden sich auch in den arabischen Ländern, in Libyien und in Afrika.

Fehlt nur noch, dass irgendein Land den Anfang macht und das Kalifat offiziell anerkennt. Warum? Um irgendwelche Waren zu exportieren, vielleicht Waffen? 

Dieser kranke Kapitalismus betritt nämlich immer dann die Bühne, wenn die Weltwirtschaft in einer tiefen Krise steckt. Nur ein ausgedehnter Krieg kann, laut marxistischer Wirtschaftsanalyse, die Weltwirtschaft sanieren: Die Produktion von teuren Waffen, die nach einmaligem Gebrauch futsch sind, bringt das meiste Geld. Die erhöhte Produktion von Medikamenten und Drogen für Kriegsgeschädigte  ist ebenfalls lukrativ. Der Wiederaufbau der zerstörten Infrastrukturen und Immobilien! Welch wunderbares Geschäft! 

Syrien und der Irak könnten der Vorwand dafür sein, um einen großen Krieg vom Zaun zu brechen. Die Türkei als säbelrasselnder Staat ist mit von der Partie. Wahlen stehen an. Und wenn Krieg droht, dann tendieren die Wähler dazu, sich für einen starken Mann zu entscheiden. Und der heißt Erdogan.

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Lupo Cattivo Gio, 10/08/2015 - 21:13

Putin wird im Augenblick als "der Böse" dargestellt, es spielt dabei keine Rolle,wer dort Bomben abwirft, es sterben Menschen und auch Zivilisten.
Würde man die Zahl der zivilen Opfer durch die Weltweiten US-Kriegshandlungen zählen.....das wäre eine gewaltig große Aufgabe.
Tja,und die ganzen Moralapostel aus Berlin,Brüssel,Washington oder sonstwo, sollten ihren Dreck vor der eigenen Haustüre kehren,denn ohne deutsche Waffen und die Ausbildung und das viele Geld der USA, wäre Syrien ein Land das Frieden hätte.

Gio, 10/08/2015 - 21:13 Collegamento permanente
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Benno Kusstatscher Ven, 10/09/2015 - 09:47

Ich möchte dieser Tage echt kein EU-Politiker sein. Ja, was habt denn ihr gedacht, was herauskommen soll, wenn gefordert wird, dass wir die Grenzen dicht machen? Erst setzt das Volk die Politik hirnlos unter Druck und dann wird die Politik verantwortlich gemacht.

Ven, 10/09/2015 - 09:47 Collegamento permanente
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Thomas Benedikter Ven, 10/09/2015 - 22:22

Deine Analyse kann ich weitgehend teilen, liebe Oktavia, die im letzten Ansatz angetippte Generalerklärung "der" Kapitalismus wolle den großen krieg in Syrien und stachle deshalb alle möglichen Akteure zum Eingreifen an, ist dann doch zu grobschlächtig. Waffen werden schließlich seit Beginn des Kriegs 2011 geliefert, und auf der Seite des Westens ist genau das Gegenteil der Fall: man will nach dem Abzug aus dem immer noch unbefriedeten Irak und der nicht wirklich gelungenen Intervention in Libyen sich nicht einen neuen Brandherd im Nahen Osten leisten. So verständlich das ist, genau dadurch hat der Westen den Krieg Assads gegen sein Volk am Kochen gehalten. Die NATO bzw. eine internationale Allianz war im Unterschied zum Irak nicht einmal gewillt, humanitäre Korridore zu schaffen und ein Flugverbot zum Schutz der Zivilbevölkerung auszusprechen. Dagegen hätte natürlich auch die pazifistische Linke vehement protestiert, die immer protestiert, wenn die NATO etwas unternimmt und nie protestiert, wenn ein Gewaltregime über 200.000 Bürger seines Landes ermordet und 4 Millionen in die Flucht vertreibt.
Leider weist dein Beitrag auch keinen Ausweg aus dem Dilemma, was kein Leichtes ist, gerade weil der Westen bzw. die NATO in diesem Fall auch dezidiert die Strategien eines Mitglieds durchkreuzen muss, der Türkei. Es wird Zeit, dass der Westen sich mit der Türkei aktiv gegen das Kriegsverbrecherregime in Damaskus stellt, die russische Intervention blockiert und die Zivilbevölkerung wirklich schützt. Es ist Zeit, dass der Westen gegen die Türkei die Kurden im gesamten betroffenen Gebiet schützt: Syrien, Irak und Türkei.

Ven, 10/09/2015 - 22:22 Collegamento permanente