Cronaca | Masken-Affäre

Zerzers Märchenstunde

Florian Zerzer behauptet, die Salto.bz-Darstellung sei „in vielen Punkten falsch“. Der Generaldirektor verwickelt sich in immer größere Widersprüche. Urteilen Sie selbst.
Zerzer
Foto: Seehauser
Leider Gottes ist das, wie vieles andere im Bericht von Christoph Franceschini, falsch dargelegt“, sagt Florian Zerzer am Donnerstag im Morgengespräch auf RAI-Südtirol zum schwerwiegenden Vorwurf, er habe die Mail und das Gutachten des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik (ARTW) am Abend des 29. März in der Sanitätsdirektion löschen lassen. „Ich habe das Mail archiviert, es findet sich in meiner Ablage und ich habe es aus meinem Mailordner herausgelöscht“, erklärt Zerzer auf RAI-Südtirol.
Das Morgengespräch ist eine Aufzeichnung, die am Abend zuvor gemacht wurde. Denn am Donnerstag Vormittag hat der Generaldirektor etwas Wichtigeres zu tun. Um 7.30 Uhr ist eine Krisensitzung der Südtiroler Sanitätsspitze angesagt.
Es geht dabei um die 1, 5 Millionen Masken, die die Firma Oberalp aus China angeliefert und an den Sanitätsbetrieb verkauft hat. Das Hauptthema auf der Sitzung: die fieberhafte Suche nach einer Institution, die die Masken im Nachhinein zertifizieren und für geeignet erklären kann.
Bereits bei diesem Thema zeigt sich, dass manchem an der Sanitätsspitze die Schutzmaske anscheinend über die Augen gerutscht sein muss.
Ich habe das Mail archiviert, es findet sich in meiner Ablage und ich habe es aus meinem Mailordner herausgelöscht.
Florian Zerzer
 

Das Zertifikat

 
Nach der Salto.bz-Enthüllung am Montag erklärte der Südtiroler Sanitätsbetrieb in einer Presseaussendung:
 
Die Zertifikate der Schutzausrüstungen wurden unter anderem von der Universitätsklinik Innsbruck (Prof. Christian Wiedermann) überprüft und deren Validität bestätigt. Der Standard der Schutzausrüstungen hat effektiv den gelieferten Produkten entsprochen. „In weiterer Folgen haben die internen Fachleute und Kliniker ebenfalls die Schutzausrüstungen überprüft und deren Einsatzmöglichkeiten für jeden Qualitätsstandard und Typ definiert und umgesetzt“, erläutert Generaldirektor Florian Zerzer.“
 
Fast zeitgleich liefert auch der Verkäufer der Masken dieselbe Erklärung. Die Oberalp Group AG schreibt in einer Presseaussendung:
 
„Für diese beiden Produktkategorien konnte ein für Asien standardisiertes und ähnliches Produkt mit dem Zertifizierungsstandard KN95 (GB2626-2006) angeboten werden, allerdings mit allen für China geforderten Zertifikaten und Prüflaborberichten. Die Güte dieser Dokumente wurde von der Universitätsklinik Innsbruck geprüft und die Produkte nachfolgend für die Verwendung freigegeben.“
 
 
Das erste Problem.
Die Universitätsklinik widerlegt diese Darstellung umgehend. Man habe die Südtiroler Masken weder untersucht noch eine Zertifizierung ausgestellt. Rund 100.000 Stück der Oberalp-Masken wurden bereits am 23. und 24. März an das Land Tirol geliefert. Davon ging eine Charge auch an die „Tirol Kliniken GmbH“. Doch dort liegen die Masken im Lager und werden auch nicht eingesetzt.
Der Grund: Nach dem vernichtenden Testgutachten der deutschen DEKRA, das vom österreichischem Wirtschaftsministerium in Auftrag geben worden war, hat das Land Tirol  bereits am 27. März also „am Tag nach der ersten Austeilung der Masken die Verteilung gestoppt“. Ausgelieferte Masken seien „nach Möglichkeit zurückgeholt und durch neue ersetzt“ worden, heißt es in einer Stellungnahme der Tiroler Landesregierung.
 

Shanghai, Bologna

 
Zudem verschweigt man in der Sanitätsdirektion auch noch ein anderes Detail.
Die Carabinierisondereinheit NAS prüft die offiziellen Zertifikate, mit der die 10 Millionen Euro teure Ladung nach Europa gekommen ist. Auch hier gibt es eine konkrete Vorgeschichte.
Das Österreichische Rote Kreuz war nach übereinstimmenden Medienberichten beim Ausladen in Wien stutzig geworden. Nach einem Radiobericht von Ö1 seien die Zertifikate nach Ansicht des österreichischen Wirtschaftsministeriums „mit größter Wahrscheinlichkeit gefälscht“.
Dafür gibt es derzeit noch keinen Beweis. Sicher ist, die Zertifizierung der Südtiroler Ladung weist einige Merkwürdigkeiten auf. Das offizielle Zertifikat wurde am 11. März 2020 von dem „Ente Certificazione Macchine Srl“ (EMC) mit Sitz in Castello di Serravalle in der Gemeinde Valsamoggia bei Bologna ausgestellt. Das Unternehmen hat die Genehmigung, Medizinprodukte zu zertifizieren und zu erklären, dass diese den gesetzlich vorgeschriebenen EU-Standards entsprechen.
 
 
Unterzeichnet ist das „Certificate of Compliance“ von Marco Morina und Amanda Payne. Es handelt sich dabei um den Direktor und die Laborchefin der EMC-Niederlassung in Shanghai. Ausgestellt ist das Zertifikat auf die „Arcnode China Ltd“. Das Unternehmen mit Sitz in Jianghsu in China stellt vor allem Einkaufstaschen, Koffer und Plastikverpackungen her.
Vergleicht man das ECM-Zertificat für die Südtiroler-Masken mit anderen ECM-Zertifikaten, die zur selben Zeit ausgestellt wurden, fallen größere grafische Unterschiede ins Auge.
Das dürfte auch den Verdacht nähren, es könnte sich um eine Fälschung handeln.
Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Ermittlungen der Bozner Staatsanwaltschaft werden hier Klarheit schaffen.
 

Mysterium Auftraggeber

 
Wenn zwei Personen das Gegenteil sagen, dann muss sich zumindest einer täuschen.
Der Pressesprecher des österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung, Oberst Michael Bauer, erklärte am Montag gegenüber dem Nachrichtenmagazin profil: „Wir hatten den Auftrag der Südtiroler Gesundheitsbehörden, eine Prüfung der Atemschutzmasken vorzunehmen. Diesen Auftrag haben wir erfüllt. Was mit dem Gutachten in weiterer Folge geschehen ist, entzieht sich unserer Kenntnis.“
Florian Zerzer im RAI-Südtirol Morgentelefon: „ Der Sanitätsbetrieb hat niemals eine österreichische Bundesheerstelle beauftragt ,einen Bericht oder ein Prüfverfahren für dieses Schutzmaterial zu machen.
Dazu kommt ein Detail, das man bisher kaum beachtet hat.
Die Prüfung im Amt für Rüstung im Amt für Wehrtechnik (ARWT) in Wien Simmering erfolgte am späten Nachmittag des 28. März. Laut Ö1 wurden die 50 Testmasken dafür aus Südtirol angeliefert. Sie sollen am Brenner einem Sonderkommando des österreichischen Bundesheeres übergeben und von diesem nach Wien gebracht worden sein.
Im Prüfbericht steht dann auch: „Probentransport Überbringer KdoSK“.
Interessant ist jetzt aber die Frage: Wer hat die 50 Masken am jenem Samstag Ende März auf den Brenner gebracht und dort dem österreichischen Heer übergeben?
 

Die Anrufe

 
Florian Zerzer bestätigt im RAI-Morgentelefon, dass es am Sonntag, den 29. März um 20.30 zu einer Telefonkonferenz über das ARWT-Gutachten in der Sanitätsdirektion gekommen ist. Mit dabei neben dem Generaldirektor auch Sanitätsdirektor Pieropaolo Bertoli, Verwaltungsdirektor Enrico Wegher, Covid19-Taskforce-Leiter Marc Kaufmann und, per Videokonferenz zugeschaltet, der Innsbrucker Primar Christian Wiedermann.
Zerzer bestätigt, dass die „vertrauliche E-Mail“ an zehn Personen gegangen sei und er persönlich sowie Pieropaolo Bertoli nach der Sitzung diese angerufen haben. „Ich habe die Empfänger dieses Mails kontaktiert, aber nicht um zu sagen, löscht dieses Mail, sondern ich habe gesagt, ich bitte, dieses Mail vertraulich zu behandeln, weil ich das nicht als offiziell verwendbar bekommen habe.“
 
 
Zerzer bestätigt den Ablauf damit, gibt dem Ganzen inhaltlich aber eine andere Interpretation.

Tatsache ist, dass die E-Mail am frühen Sonntagabend des 29. März aus Versehen an die klinischen Verantwortlichen der Südtiroler Krankenhäuser weitergeleitet wurde. Deshalb rufen Zerzer und Bertoli am Sonntagabend ab 21.30 Uhr die ärztlichen Krankenhaus-Leiter Gottfried Kühbacher (Innichen), Robert Rainer (Schlanders), Michael Engl (Sterzing), Elisabeth Montel (Brixen) Markus Markart (Sanitätskoordinator Gesundheitsbezirk Brixen), Valter Coarrocchi (Meran), Michele Sommavilla (Bruneck) und Flavio Girardi (Bozen) an.

Um zu sagen, dass eine angeblich als vertraulich klassifizierte Mail als vertraulich behandelt werden soll?


Der zentrale Satz

 
Nach der Darstellung von Florian Zerzer gibt es in der Generaldirektion des Südtiroler Sanitätsbetriebes – einem öffentlichen Amt – demnach vertrauliche Dokumente, die zwar archiviert, aber nicht protokolliert werden.
Das ARWT-Gutachten, das am 29. März in der Sanitätsdirektion eingegangen ist, wird erst zehn Tage später am 7. April offiziell protokolliert. Allein dieser Vorgang dürfte deutlich machen, wie man hier den normalen Behördenweg umgangen hat.
Wie sehr dabei die kreative Phantasie des Generaldirektors reicht, wird aber an einer Aussage im RAI-Morgeninterview deutlich.
Florian Zerzer sagt:
 
„Aus dem Bericht der österreichischen Bundeswehr geht eindeutig hervor, dass das Material, wenn es nicht richtig sitzt, dann nicht den gewünschten Standard erreicht. Denn ein für mich und für meine Verantwortlichen zentraler Satz in diesem Gutachten heißt: Wenn die Maske gut sitzt, wenn sie einen FIT-Faktor von 20 erreicht, dann hat sie einen Standard der höchsten Qualitätsklasse. Nämlich FFP-3.....[...]....Das ist für uns alle ein zentraler Satz gewesen, wo wir gesagt haben: Ok, wenn die Maske an und für sich diese Qualitätsmerkmale aufweist...“
 
Salto.bz publiziert erstmals im Anhang an diesem Artikel das gesamte Gutachten des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik.
Dann kann jeder und jede selbst urteilen, ob dieser Satz im Gutachten steht oder nicht.
 

Das Gutachten

 

Prüfbericht des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik.