Economia | Volksbank
21 Schneebälle
Foto: Oskar Dariz
An der Spitze der Bank ist man noch zuversichtlich. „Wir gehen nicht davon aus, dass tausende Aktionäre klagen“, heißt es in der Südtiroler Volksbank, „weil wir davon überzeugt sind, dass unser Beratungsprozess angemessen und korrekt war.“
Es eine optimistische Auslegung einer brandgefährlichen Situation, die bisher in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist. Dabei geht es um 21 Schneebälle, die ins Rollen gekommen sind und die sich zu einer Lawine ausweiten und der Volksbank einen ernsthaften und dauerhaften Schaden zufügen könnten.
Wie ernst die Lage ist, zeigen die 21 Entscheidungen, die das Schiedsgericht für Finanzstreitigkeiten (Arbitro per le Controversie Finanziarie, kurz ACF) in den vergangenen neun Monaten gegen die Südtiroler Bank gefällt hat. Dabei wurden den Sparen Schadenersatzzahlungen zwischen 801,72 Euro und 101.627,61 Euro zugesprochen. Ingesamt muss die Bank 447.063,20 Euro an verschiedene Sparer zahlen. Noch ist nicht klar, ob das Institut dem auch wirklich nachkommen wird.
„Wir schauen uns jeden Einzelfall im Detail an und überprüfen und analysieren ihn unvoreingenommen“, heißt es aus der Volksbank. Und weiter: „Wenn es dabei Fälle einer nicht angemessenen Beratung gegeben hat, dann stehen wir auf jeden Fall für ein lösungsorientiertes Gespräch zur Verfügung“.
Doch mit einem „lösungsorientiertes Gespräch“ wird es kaum getan sein.
Das Schiedsgericht
Der „L’Arbitro per le Controversie Finanziarie (ACF)“ wurde im Mai 2016 von der Börsenaufsicht CONSOB eingesetzt. Es ist ein Schiedsgericht, das Sparern und privaten Investoren bei Streitigkeiten mit Banken, Finanzdienstleistern und Anlageberatern zu Hilfe kommt. Immer dann, wenn es um den Vorwurf geht, der Finanzdienstleister habe die Regel der Börsenaufsicht in Sachen Transparenz oder Informationspflicht verletzt. Jeder Sparer kann dann vor dem Schiedsgericht für Finanzstreitigkeiten rekurrieren, wobei gesetzlich eine Obergrenze eines möglichen Schadenersatzes von 500.000 Euro festgelegt ist.
Der ACF besteht aus einem fünfköpfigen Senat, in dem Juristen und Fachleute aus dem Bankensektor sitzen. Präsident ist der römische Jurist und langjährige CONSOB-Spitzenbeamte Gianpaolo Eduardo Barbuzzi. Seit einigen Monaten sitzt im Schiedsgericht zudem auch eine Richterin mit einem aktuellen Bezug zu Südtirol: Daniela Morgante bis Anfang August 2019 leitende Staatsanwältin beim regionalen Rechnungshof in Bozen.
Der Sinn dieser Einrichtung ist einfach. Der ACF soll eine Plattform sein, die schnell und relativ unbürokratisch Streitfälle zwischen Kunden und Finanzdienstleistern außergerichtlich löst. Der Vorteil für die Kunden: Die Anrufung des Schiedsgerichtes ist fast kostenlos, kann ohne Anwalt erfolgen und der Schiedsspruch ist ein erster Gradmesser, ob die Beschwerde angemessen ist oder nicht. Die Schiedssprüche des ACF können die Banken zwar nicht zum Zahlen zwingen, doch hat sich in den vergangenen vier Jahren gezeigt, dass die meisten Zivilgerichte dem Urteil dieses Fachleutegremiums folgen.
Der Präzedenzfall
Vor diesem Hintergrund hat die Verbraucherzentrale Südtirol (VZS) auch allen Kunden und Aktionären der Südtiroler Volksbank, die Beschwerden gegen die Verkaufspolitik der Bank eingereicht haben, empfohlen diesen Weg vor das Schiedsgericht zu gehen. Mit Erfolg.
Denn am 25. September 2019 kam es in Sachen Volksbank zum ersten Schiedsspruch mit dem der ACF einer Südtiroler Sparerin Recht gab.
Die Kundin hatte im Jahr 2013 und anlässlich der Kapitalerhöhung 2015 insgesamt 1.242 Aktien der Südtiroler Volksbank erworben. Sie zahlte dafür 23.786,40 Euro und der von ihr bezahlte Durchschnittspreis pro Aktie betrug damit 19,15 Euro. Doch die Aktien haben in den letzten Jahren stetig an Wert verloren, und waren für lange Zeit auch unverkäuflich (illiquide). Die Kundin hatte deshalb bereits 2018 Beschwerde bei der Bank eingereicht, und die Art, wie der Verkauf abgewickelt wurde, beanstandet.
Die Kundin beklagte in erster Linie, dass die Bank bei der Erstellung ihres Anlegerinnen-Profil nicht korrekt vorgegangen war, da die Angaben über ihre Erfahrungen und Kenntnisse im Finanzbereich nicht präzise erfasst wurden. Daraus ergab sich eine nicht korrekte Bewertung der Angemessenheit der Geldanlage im Verhältnis zum Risikoprofil. Die Kundin beklagte des weiteren auch die irreführenden Angaben in der Dokumentation, welche die Bank über das Produkt zur Verfügung gestellt hatte.
Das Schiedsgericht hat die Beschwerden der Kundin angenommen und dem Rekurs stattgegeben. Die Fachleute kamen zum Schluss, dass die Volksbank beim Aktienverkauf verschiedene Informationspflichten und Verhaltensregeln der Börsenaufsicht verletzt haben soll.
Auch bei der Schadensbemessung hat der ACF aber einen durchaus überraschenden Weg eingeschlagen. Obwohl die Volksbankaktien heute über die Handelsplattform Hi-Mtf gehandelt wird, könne deren Wert nicht einfach im dort angegebenen Preis (11,90 Euro) festgestellt werden, sondern müsse um 50 Prozent verringert werden, angesichts des geringen Handelsvolumens und der Möglichkeit, die Wertpapiere zu liquidieren. Mit anderen Worten: die von der Kundin besessenen 1.242 Aktien sind insgesamt 7.389,90 Euro wert, was einem Preis pro Aktie von 5,95 Euro entspricht. Der Kundin wurde deshalb ein Schadenersatz von 15.731,16 zugesprochen, zu welchem noch 520,32 Euro Geldentwertung kommen, sowie die Zinsen ab dem Datum der Beschwerdeeinreichung bis zur Zahlung. Die Aktien verbleiben dabei im Besitz der Kundin, welche nun theoretisch auch versuchen könnte, diese auf der Hi-Mtf-Plattform zu verkaufen. Und damit einen deutlichen Gewinn erzielen könnte.
20 Schiedssprüche
Dass diese Entscheidung keine Eintagsfliege war, zeigt sich jetzt. Denn zwischen dem 15. Jänner und dem 15. Mai 2020 hat sich das Schiedsgericht für Finanzstreitigkeiten mit den Beschwerden von weiteren 20 Volksbank-Kunden beschäftigt. Dabei kam es zu 20 mehr oder weniger gleichlautenden Entscheidungen gegen die Volksbank.
Der ACF erkennt damit eine Art systematische Verletzung der Bestimmungen durch die Südtiroler Bank bei den Kapitalerhöhungen und Aktienausgaben, von 2008, 2012 und 2015 an. Und das Schiedsgericht hat in allen Fällen den Kunden einen Schadenersatz zugesprochen, der nach dem Prinzip des Präzedenzfalles berechnet wird.
Nach den geltenden Regeln muss die Bank nicht zahlen. Noch ist nicht klar, ob die Volksbank den Schaden deshalb zurückzahlen wird. „Vorausgeschickt sei, dass wir offen und gesprächsbereit sind“, heißt es in der Erklärung der Bank für Salto.bz. „ möchten wird jedoch auch betonen, dass wir nicht in jedem Fall mit den Begründungen und Entscheidungen des ACF einverstanden sind.“
Demnach dürften einige Fälle vor Gericht ausjudiziert werden müssen. Das einfache Kalkül der Bank dabei: Nicht jeder Kunde wird sich auf einen langjährigen und kostspieligen Prozess einlassen. „Es ist letztlich die Entscheidung des einzelnen Aktionärs, wie er in dieser Sache vorgehen möchte und ob er den Gerichtsweg beschreiten möchte“, sagt die Bank.
Dabei weiß man in der Volksbank-Zentrale in der Bozner Schlachhofstraße aber auch eines: Nach diesen klaren Entscheidungen des Schiedsgerichtes könnten theoretisch tausende Aktionäre diesen Rechtsweg bestreiten.
Dann aber wird aus den Schneebällen eine Lawine.
Dann aber wird aus den Schneebällen eine Lawine.
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Aha, jetzt, wo Schneebacher
Aha, jetzt, wo Schneebacher und Michaeler nicht mehr in der Bank sind, kommen einige ihrer "tollen Entscheidungen" ans Tageslicht.
Was für ein Zufall, dass man jetzt von diesen Fällen vor dem Schiedsgericht erfährt, kurz nachdem die beiden offiziell "freiwillig" aus der Bank ausgeschieden sind !
Auch das Wortspiel Schneeball - Schneebacher ist eine unmissverständliche Andeutung auf zumindest einen der Verantwortlichen für dieses Desaster.