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Zu naher Verkehr

Haben unlautere Absprachen 2018 zur Annullierung der Ausschreibung zur Vergabe des Südtiroler Nahverkehrs geführt? Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Arno Kompatscher
Sad, autobus, autisti
Foto: Provincia Bz
Ein klein wenig Schadenfreude kann sich Andreas Leiter Reber nicht verkneifen. „Zu Beginn dieser Legislatur bin ich mit dieser Forderung noch abgeblitzt“, sagt der Freiheitliche Obmann.
Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar, dass es im Südtiroler Landtag innerhalb weniger Wochen zur Einsetzung eines zweiten Untersuchungsausschusses kommen wird.
Ulli Mair und Andreas Leiter Reber haben am Dienstag auf einer Pressekonferenz die Chronologie einer Ermittlung der Staatsanwaltschaft Bozen vorgestellt und die Einsetzung einer Untersuchungskommission zum Thema „Öffentlicher Personennahverkehr“ gefordert. Bereits zu Mittag war klar, dass es dazu kommen wird. Denn die gesamte Opposition wird den freiheitlichen Antrag unterzeichnen.
Damit aber gerät Landeshauptmann Arno Kompatscher erstmals in seiner siebenjährigen Amtszeit nicht nur ernsthaft in den Fokus der Opposition, sondern auch in den Strudel einer strafrechtlichen Ermittlung. „Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bozen in Bezug auf die Ausschreibung des Personentransports im Jahr 2018 sind derzeit noch nicht abgeschlossen“, gibt sich der Landeshauptmann gelassen.
 
 
In einer Aussendung verweist Kompatscher darauf, dass der Staatsanwalt noch keine Entscheidung getroffen habe und deshalb alle diesbezüglichen Spekulationen verfrüht seien. Er habe über seine Rechtsanwälte bereits eine detaillierte Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft hinterlegt. „Aus dieser gehe klar hervor, dass die Anschuldigungen jeder Grundlage entbehren“, meint Kompatscher. Die Justizbehörde würde nach einer aufmerksamen Prüfung zum Schluss kommen, dass er immer korrekt gehandelt habe.
In dieser Affäre kommt eine beunruhigende Tatsache ungeschminkt zum Vorschein: Wie schlampig, ungeschickt und dilettantisch man zuweilen in den höchsten Etagen der Südtiroler Landesverwaltung vorgeht.
Unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen kommt in dieser Affäre aber eine beunruhigende Tatsache ungeschminkt zum Vorschein: Wie schlampig, ungeschickt und dilettantisch man zuweilen in den höchsten Etagen der Südtiroler Landesverwaltung vorgeht. Selbst bei einer öffentlichen Ausschreibun, in der es um 880 Millionen Euro geht.
 

Die Ermittlung

 
Es war die Neue Südtiroler Tageszeitung, die am Dienstagmorgen „Die Bus-Bombe“ platzen ließ. Die Tageszeitung veröffentlichte die zentralen Stellen des Abschlussberichtes der Bozner Quästur zur Strafermittlung 4741/18.
Es ist ein Fall, in dem die beiden Bozner Staatsanwälte Igor Secco und Andrea Sacchetti seit Herbst 2018 ermitteln. Ausgangspunkt sind mehrere detaillierte Strafanzeigen des SAD-CEOs und -Eigners Ingemar Gatterer. Die Ermittlungen führte das Amt für kriminalpolizeiliche Ermittlungen der Quästur Bozen. Dabei wurden die Beamten vor über einem Jahr auch beim Autor dieser Zeilen in der Salto-Redaktion vorstellig. Es ging dabei um einen Nebenstrang in dieser Ermittlung und um die Frage nach der Herkunft gewisser Dokumente.
 
 
Die Nachfrage wurde unter Hinweis auf das Berufsgeheimnis freundlich aber bestimmt unbeantwortet gelassen.
Vor einigen Wochen haben die Ermittler jetzt aber ihren 156 Seiten starken Abschlussbericht vorgelegt, in dem sie den Staatsanwälten eine Anklageerhebung gegen Landeshauptmann Arno Kompatscher, den damaligen Abteilungsdirektor für Mobilität, Günther Burger, und gegen den Busnehmer Markus Silbernagl nahelegen. Die Vorwürfe: Störung eines Wettbewerbsverfahrens (Art. 353 -Turbata libertà degli incanti) und Amtsmissbrauch (Art. 323 Abuso d'ufficio).
Beide Vorwürfe sind schwerwiegend, sollten sie bestätigt werden.
 

Chronik einer Affäre

 
Andreas Leiter Reber und Ulli Mair lassen am Dienstag auf einer Pressekonferenz noch einmal die gesamte Chronik dieser Affäre Revue passieren. Dabei berufen sie sich auf die Ermittlungsergebnisse der Polizei, die den beiden Freiheitlichen Landtagsabgeordneten zu diesem Zeitpunkt vorliegen.
 
  • Am 4. April 2018 beschließt die Landesregierung die Vergabe des außerstädtischen Linienverkehrs mit Autobussen – aufgeteilt in vier Losen - zu veranlassen.
  • Am 6. Juni startet die Ausschreibung in der Höhe von rund 880 Millionen Euro auf zehn Jahre. Abgabefrist: 6. Juli, 10.00 Uhr.
  • Auf dem Ausschreibungs-Portal wird am 29. Juni nachgefragt, ob Konsortien (wie Libus und KSM) in das staatliche REN-Register für Kraftverkehrsunternehmen eingetragen sein müssen oder nur die Mitgliedsunternehmen. Die Vergabestelle antwortet, dass auch ein Konsortium selbst die REN-Eintragung braucht. Weil sich Libus und KSM als Dachorganisationen und somit als nicht-operative Konsortien aber nicht eintragen lassen können, müssten sie von der Ausschreibung ausgeschlossen werden
  •  29. Juni bis 3. Juli: Beim Land laufen die Drähte heiß. Das bis dato nicht bekannte Problem von Libus und KSM wird vertieft.
  • Via Whatsapp-Nachricht fordert LiBus-Präsident Markus Silbernagl am 02. Juli den damaligen Direktor der Mobilitätsabteilung Günther Burger und heutigen Ressortchef von Gesundheitslandesrat Thomas Widmann auf, die Eintragung in das REN-Register zu streichen.
 
  • Am 3. Juli bittet Günther Burger bittet in einer E-Mail an die Vergabeagentur des Landes, dahingehend abzuändern, dass die für Teilnahme am Wettbewerb vorgesehene Eintragung in das REN-Register nicht für Dachorganisationen zu gelten habe.
  • Am 4. Juli lehnt die Vergabeagentur jedoch Burgers Anfrage ab und erklärt, dass man die Eintragung in das REN-Register rechtlich vorgesehen und man das Ausschreibungsverfahren nicht im letzten Moment abändern könne.
  •  Am selben Tag fordert KSM die Änderung der Ausschreibung.
  • Am 5. Juli laufen zwischen Markus Silbernagel, Günther Burger und Landeshauptmann Arno Kompatscher die Drähte heiß. Kompatscher tifft sich noch am selben Tag mit dem Verantwortlichen der Landesagentur für Ausschreibungen Thomas Mathà, um den Wettbewerb für LiBus und KSM doch noch zu ermöglichen. LiBus fordert die Annullierung der Ausschreibung.
  • Beim Land wird weiter über das große Ausschreibungs-Problem diskutierrt.
  • ·Die brisante E-Mail von Günther Burger wird dem Vater von SAD-Chef Ingemar Gatterer, Josef Gatterer sowie Landtagsabgeordneten Andreas Pöder zugespielt, welche sie an die Landesregierung und die Medien verschickt haben.
  • Krisensitzung beim Land: Die zuständigen Ämter schlagen der Landesregierung vor, die Ausschreibung im Selbstschutzwege zu annullieren. Wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses und des Wettbewerbsprinzips, da die E-Mail veröffentlicht wurde und die Mitbewerber nun vom Ausscheiden der Dachorganisationen LiBus und KSM-Problem wussten.
  • 6. Juli: Die Landesregierung annulliert die Ausschreibung.
  • Das Land erstattet Anzeige gegen Unbekannt bei Staatsanwaltschaft, Antikorruptionsbehörde und Wettbewerbsbehörde, die jetzt ermitteln.
  • Am 22. Juli fordert der Landtagsabgeordnete Andreas Pöder öffentlich die Einberufung eines Untersuchungsausschusses. Aufgrund der anstehenden Landtagswahlen und Aussetzung der institutionellen Arbeiten wird dieser nicht einberufen.
 
Nach eineinhalb Jahren Ermittlung glaubt die Staatspolizei jetzt genügend Belastungselemente zusammengetragen zu haben, um die strafrechtlichen Verstöße beweisen zu können.
Es wird sich in den nächsten Wochen zeigen, ob die Staatsanwaltschaft den Schlüssen der Ermittler folgen und formal die Anklageerhebung gegen Landeshauptmann Arno Kompatscher & Co fordern wird.
Spätesten dann wird der Fall in der Aula eines Gerichts landen.
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Martin Federspieler Mer, 06/10/2020 - 07:20

Dass bei dieser Ausschreibung nicht alles rund gelaufen ist, ist wohl evident. Aber jede und jeden der leichtfertig kritisiert, würde ich mal einladen, sich ins Regelwerk für derartige Verfahren einzulesen, wobei die meisten der tausenden Artikel und Asätze mehr Fragen aufwerfen als sie klären.
Und wie man sieht, stöst da selbst die spezialisierte Landes-Vergabeagentur an ihre Grenzen und die Ergebnisse der Ausschreibungen sind durchwachsen (siehe Ausschreibung der Milchprodukte).
Nun wäre also die Formalie der Auslegung bzgl. der Eintragung ins staatliche REN-Register dafür entscheidend gewesen, dass der gesamte öffentliche Liniendienst in Südtirol unserem lieben Gatterer in den Rachen geworfen worden wäre. Respekt unserem LH, dass er das nicht zugelassen hat.
Ich sage, das ganze Vergabesystem ist das eigentliche Problem, da es mit seinen riesen-Ausschreibungen den Markt, zu dessen Schutz die Bestimmungen eigentlich gedacht wären und von dem man mit niederen Preisen profitieren sollte, auf kurz oder lang kaputt macht.
Und am Ende bestimmen dann die Gatterers das Geschehen und die Preise.
Schöne Aussichten...

Mer, 06/10/2020 - 07:20 Collegamento permanente
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Karl Trojer Mer, 06/10/2020 - 09:36

In risposta a di Martin Federspieler

Herr Federspieler, ich teile Ihre Darlegungen und füge hinzu, dass auch bei Ausschreibungen das öffentliche Interesse Vorrgang vor privaten Interessen haben muss. Ohne diesen grundsätzlichen Vorrang hat die Allgemeinheit generell gegen private "Geier" keine Chance; zumal es den sogenannten "freien und gerechten Markt" nicht gibt und juridische Tricks die Handlungsfähigkeit der öffentlichne Hand leicht behindern können.

Mer, 06/10/2020 - 09:36 Collegamento permanente