Società | Gewalt

"Die rosarote Brille setze ich nicht auf"

Landesrat Philipp Achammer ruft in der Gewaltdiskussion zu einem Umdenken auf. "Wir müssen alle couragierter gegen Gewalt vorgehen."

Herr Achammer, in Südtirol wird viel verschwiegen: ein junger Einheimischer sprach schon im Sommer von gewalttätigen Übergriffen auf Festen und im Nightliner. Von offenem Rassismus in Lokalen. In den Südtiroler Medien wird die Gewalt zunächst den Migranten untergeschoben. Muss es erst brennen, bis die Politik in die Gänge kommt?
Philipp Achammer: Zunächst einmal, und das sag ich ganz klar, muss das Sicherheitsgefühl gerade von jungen Menschen gewährleistet werden. In den Nachtstunden, am Abend, an den Wochenenden, ob in der Innenstadt oder im Nightliner – denn jeder Gewaltübergriff ist einer zu viel! Wobei gerade die Fälle von roher, brutaler Gewalt erschreckend sind. Und hier muss zweifelsohne alles getan werden, damit Straftäter abgeschreckt werden. Eine gezielte Präsenz von Ordnungskräften ist dafür mit Sicherheit Voraussetzung.
Zum anderen ist jeder Gewalteingriff einer für sich. Man muss sehr aufpassen vor Verallgemeinerungen, die der Sache nicht gerecht werden oder ein verfälschtes Bild zeichnen könnten.
Und schlussendlich muss man auch hinter die Gewalttat – ob physische oder psychische Gewalt – blicken und dort ansetzen, wo Gewalt erst aufkeimen kann. Daher sind Präventionsmaßnahmen unabdingbar.

Bleiben wir bei der Sicherheit, die Sie angesprochen haben. 500 Kameras für Bozen sollen bald kommen, was bringt denn das wirklich?
Was die Kameras im öffentlichen Raum betrifft, so habe ich eine gespaltene Meinung. Natürlich kann eine Kamera auf viel besuchten, öffentlichen Plätzen ein Gefühl der Sicherheit geben. Das kann eine Abschreckung darstellen, aber  auf der anderen Seite werden durch Kameras die Schauplätze von Gewalt entweder ganz einfach verlagert oder, auch das ist in anderen Ländern schon zu beobachten, es stellt sogar einen Kick dar, sich bei Gewalttaten filmen zu lassen.
 
BürgerInnen fragen sich teilweise, wie man sich schützen soll, wenn das Gesetz sie nicht schützt. Welche Handhabe haben BürgerInnen denn, um Gewalt zur Anzeige zu bringen?
Sicherheitskräfte und Behörden haben bereits deutlich geäußert, dass vor allem gegen kleinkriminelle Taten nicht ausreichend vorgegangen werden kann. Es fehlen ausreichende Mittel, weshalb auch keine Abschreckung für Straftaten entstehen kann, hier müssen wir zweifelsohne ansetzen. Momentan wird die Debatte sehr emotional geführt. Gewalt ist abzulehnen, egal welcher Herkunft. Das sag ich explizit. Wir alle müssen uns couragierter zeigen, und zwar überall dort wo Gewalt entstehen kann.

Es fehlen ausreichende Mittel, weshalb auch keine Abschreckung für Straftaten entstehen kann, hier müssen wir zweifelsohne ansetzen.

Couragiert vorgehen, wenn doch nichts passiert?
Es passiert etwas, nämlich ein Umdenken, wenn man handelt. Nicht nur still sein und den Ärger über Fehlverhalten oder Aggression – von wem auch immer – hinunterschlucken, nicht wegschauen, sondern das ansprechen! Offen und ehrlich. Gewalt ist in jedem Fall zu verurteilen, physische und psychische Gewalt. Und natürlich stellen wir uns immer mehr auch die Frage, warum wir nicht schon früher eingeschritten sind – aber mit präventiven Maßnahmen.

Gewalt ist abzulehnen, egal welcher Herkunft. Das sag ich explizit. Wir alle müssen uns couragierter zeigen, und zwar überall dort wo Gewalt entstehen kann.

Dass die Gewalttat aus Meran in den Medien so aufgekocht wurde, stört Sie als Landesrat für Integration?
Noch einmal: Ich möchte vor Verallgemeinerungen jeglicher Art warnen! Es darf nicht sein, dass ganze Gruppen pauschal unter Generalverdacht gestellt werden, und auf eine Herkunft kann man das Thema schon gar nicht reduzieren.
Genauso sollten wir aber auch nichts schön reden, denn Gewaltsituationen sind eine Tatsache! Die rosarote Brille setze ich nicht auf. Reden wir offen und ehrlich: Ja, einzelne junge Migranten sind auch in Gewalttaten verwickelt. Aber sollten wir nicht auch über die Gründe von Gewalt sprechen, damit dort angesetzt werden kann, damit Gewalt erst gar nicht entstehen kann? Ich glaube wir sollten dies tun. Gewalt entsteht immer aus einer negativen Geschichte, Prägung oder Sozialisierung, aus einer Perspektivlosigkeit – persönlich oder beruflich. Mich stimmt es zum Beispiel sehr nachdenklich, ja es ist ein Alarmsignal, wenn bei Gewalttaten Personen dabei sind, die schon vorher aufgefallen sind. Gleichzeitig müssen wir auch feststellen, dass wir momentan zu wenig geeignete Instrumente haben, um angemessen auf solche Entwicklungen reagieren zu können.

Und natürlich stellen wir uns immer mehr auch die Frage, warum wir nicht schon früher eingeschritten sind – aber mit präventiven Maßnahmen.

Sie sind besorgt?
Auf jeden Fall: Wir haben beispielsweise eine viel zu hohe Schulabbrecherquote bei Migranten, und ohne Qualifizierung ist Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit die Folge. Perspektivlosigkeit wiederum bringt eine Reihe von möglichen Gefährdungen mit sich. Deshalb braucht es geeignete Maßnahmen zur Prävention, vor allem in Ausbildung, wie es auch mehr Maßnahmen zur Intervention braucht, wie z.B. Streetworker, Antiaggressionstrainings etc.

Was ist mit der Anti-Diskriminierungsstelle, kann die helfen?
Es wäre vollkommen falsch diese Einrichtung, die beim Landtag angesiedelt wird und als eine eigene Stelle gilt, wie die Volks- oder Jugendanwaltschaft, unmittelbar mit Migranten in Verbindung zu bringen. Jemand kann sich aus verschiedenen Gründen diskriminiert fühlen, egal ob Einheimischer oder neuer Mitbürger. Zum Beispiel wegen einer physischer oder psychischer Beeinträchtigung, seiner sexuellen Orientierung, und auch wegen seiner Herkunft. Deshalb wollte ich diese Stelle auch nicht in meinem Ressort als Landesrat für Integration angesiedelt wissen – Diskriminierung hat viele Gesichter.

Die rosarote Brille setze ich nicht auf. Reden wir offen und ehrlich: Ja, einzelne junge Migranten sind auch in Gewalttaten verwickelt. Aber sollten wir nicht auch über die Gründe von Gewalt sprechen, damit dort angesetzt werden kann, damit Gewalt erst gar nicht entstehen kann?

Laut Aussagen von öffentlich Bediensteten, die täglich mit Ausländern zu tun haben, heißt es man sei gleich rassistisch, wenn man Ausländer in ihre Grenzen weist. Was läuft falsch in unseren Köpfen?
Genau das ist es. Es geht um das offene, entschiedene und mutige Aufzeigen von einem falschen Verhalten, und nicht um Herkunft. Wir müssen hier umdenken, entschlossener an die Problematik herangehen. Kehren wir schwierige Situationen, die sich im Zusammenleben mit Migranten ergeben, nicht unter den Teppich. Sprechen wir sie offen an, und ja, das braucht Zivilcourage von allen. Das ist meines Erachtens der einzige Weg, um Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen entgegenzuwirken!

Landesrat Philipp Achammer wird auf salto.bz für weitere Fragen zum Thema zur Verfügung stehen. Bitte kommentieren Sie hier unten.