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„Faschismus auf dem Land“

Der Pfarrer Karl Gögele protokolliert die systematische Zerschlagung von Identität und Sprache durch den Faschismus im ländlichen Passeiertal (1919–1939).
Faschismus auf dem Land, Edition Raetia, Karl Gögele, Monika Mader
Foto: Edition Raetia
  • Ex libris

    Questo estratto dal libro di Monika Mader fa parte del formato “Ex libris” su SALTO.

    Dieser Auszug aus dem Buch von Monika Mader ist Teil des Formats "Ex libris" auf SALTO. 

    Italienischer Unterricht und Katakombenschule.

    Bereits die liberalen Regierungen vor dem Faschismus griffen in das Südtiroler Schulsystem ein. Nach der sogenannten Lex Corbino mussten die Kinder Schulen mit Unterricht in ihrer Muttersprache besuchen. Die Behörden hatten die Umgangssprache der Schüler festzustellen, die Ladiner wurden zur italienischen Volksgruppe gezählt. Damit war die unter Österreich herrschende freie Schulwahl ausgehebelt. Im Herbst 1923 wurde mit der Lex Gentile ein neues Schulgesetz erlassen, das über die Forderungen Tolomeis im Bildungsbereich weit hinausging. In den staatlichen Volksschulen wurde auf dem gesamten Staatsgebiet Italienisch als alleinige Unterrichtssprache eingeführt. Die Umsetzung der Maßnahme erfolgte stufenweise beginnend mit dem Schuljahr 1923/24, in den weiterhin bestehenden deutschen Klassen wurde Italienisch als Pflichtfach eingeführt. Ab 1929 war die Pflichtschule rein italienisch. Gegen das Gesetz regte sich heftiger Widerstand vonseiten der Südtiroler Parlamentarier, aber auch der Zivilgesellschaft, insbesondere der Mütter, freilich vergeblich. Die Folgen waren drastisch, sowohl für die Schüler als auch für das Lehrpersonal. Hunderte von Pädagogen verloren ihre Stellen. Für die italienischen Lehrerinnen – die neuen Lehrpersonen waren zumeist Frauen – bedeutete eine Versetzung in den Alto Adige zumeist ein Eintauchen in eine völlig fremde Welt. Wenn sie aus dem Trentino kamen, waren sie zumindest mit der gebirgigen Landschaft vertraut und sprachen oft auch ein wenig Deutsch.

  • Pfarrer und Dekan Karl Gögele: 1919 wird Südtirol Teil Italiens, drei Jahre später ergreift Mussolini die Macht. Was folgt, ist die systematische Unterdrückung von Sprache, Kultur und Lebensweisen – besonders schmerzhaft im ländlichen Raum. Mit wachem Blick hält Dekan Karl Gögele diese Umbruchzeit in seiner Pfarrchronik fest. Woche für Woche beschreibt er, wie das faschistische Regime immer tiefer in Gesellschaft und Verwaltung eindringt. Durch kluges Taktieren widersetzt er sich, sieht sich allmählich aber auch mit den Gefahren des heraufziehenden Nationalsozialismus konfrontiert. Foto: Edition Raetia

     Stammten sie aber aus den alten Provinzen, waren ihnen Land, Leute und vor allem Sprache zumeist vollkommen unbekannt. In Bergschulen hielt kaum jemand länger als ein Jahr durch, Einsamkeit, das Fehlen jeglicher urbanen Freizeitkultur und die Unterbringung ohne modernen Komfort machten sie mürbe. Zudem begegnete ihnen die einheimische Bevölkerung oft mit Abwehr oder sogar Anfeindung, was sich auch auf die Schüler übertrug. Der Lerneifer Monika Mader: Faschismus auf dem Land war kaum vorhanden, wenn ihnen im Elternhaus mitgegeben wurde, sie müssten die italienische Sprache nicht lernen. 

     

    Mit aller Härte versuchten sie, das Diktat der Italianisierung durchzusetzen und den Kindern die faschistischen Ideen einzuimpfen.

     

    Da konnten sich die Lehrerinnen noch so abmühen und auch ein gutes Verhältnis mit Kindern und Eltern anstreben, unter diesen Umständen waren keine Erfolge zu erzielen. In anderen Fällen wurde der Einsatz der Lehrerinnen durchaus auch anerkannt. Die Erfahrungen mit italienischem Lehrpersonal konnten sehr negativ sein. Unter ihnen befanden sich oft Personen, die ihren Unterricht als Dienst am Vaterland im faschistischen Sinn verstanden. Mit aller Härte versuchten sie, das Diktat der Italianisierung durchzusetzen und den Kindern die faschistischen Ideen einzuimpfen.In der Muttersprache unterwiesen wurden die Schüler nur mehr im außerschulischen Pfarrunterricht im Ausmaß von zwei bis drei Stunden in der Woche, den die Seelsorger im Widum oder Privathäusern erteilten. 

  • Faschismus auf dem Land von Monika Mader, erschienen in der Edition Raetia. Edition Raetia. Foto: Edition Raetia

    Eine Intervention des Vatikans hatte diese Pfarrschulen ermöglicht, von den faschistischen Behörden zähneknirschend geduldet und vielerorts durch verschiedene Schikanen immer wieder gestört. Noch mehr stießen sich die Behörden aber am Heimunterricht, zu dem Kanonikus Michael Gamper, Priester, Pressemann und Politiker im Deutschen Verband, bereits am 1. November 1923 aufgerufen hatte. In der schulfreien Zeit sollten die Kinder in Privathäusern und Vereinslokalen unterrichtet werden, um das deutsche Volkstum zu erhalten. Gamper prägte das Schlagwort von der Katakomben- schule. Im ganzen Land entstand ein Netz von Privatschulen, gegen das die Behörden ab 1925 entschieden vorgingen. Unterricht konnte fortan nur mehr im Geheimen stattfinden, und dabei ertappte Lehrpersonen hatten schwere Strafen zu gewärtigen. Der Salurner Rechtsanwalt Josef Noldin wurde als einer der Hauptorganisatoren der Katakombenschule sogar verbannt. 

     

    Die Sorge, von den Sicherheitskräften in flagranti aufgegriffen zu werden, war ständig vorhanden. 

     

    In den Landgemeinden fand der Geheimunterricht auf entlegenen Bauernhöfen statt. Diesen erteilten zumeist blutjunge, schlecht bezahlte und kaum ausgebildete Lehrerinnen. Die Sorge, von den Sicherheitskräften in flagranti aufgegriffen zu werden, war ständig vorhanden. Deshalb wurden auch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen und die Kinder etwa dazu angehalten, einzeln oder nur in kleinen Gruppen in die Geheimschule zu kommen und niemandem davon zu erzählen. Jedes Kind sollte an die acht Stunden im Monat unterwiesen werden. Mitte der Dreißigerjahre erhielt die von Gamper initiierte Katakombenschule Konkurrenz durch die Notschule des nationalsozialistischen Völkischen Kampfrings Südtirols (VKS). Mittels reichsdeutscher Schulmaterialien kamen nun bereits Kinder in Kontakt mit NS-Gedankengut.

  • „Faschismus auf dem Land“ von Monika Mader ist in der Edition Raetia erschienen.

    Faschisten fragten die Frau des Bäckermeisters von Platt, ob sie zu Mussolini oder Hitler halte. Die Frau war in großer Verlegenheit und sagte, daß man schon doch zu Mussolini halten müsse, da man schon einmal bei Italien sei. Indessen hielt sich ihr sechsjähriger Sohn am Rock der Mutter und rief: „Heil Hitler!“ Karl Gögele, Eintrag vom Februar 1935