Cultura | Salto Weekend

Ausblick

Der Poet und Übersetzer Werner Menapace hat zum Jahreswechsel seine Gedanken in Jahreszeiten und in Versform eingeteilt. Neben dem Rückblick wagt er auch einen Ausblick.
Ausblick
Foto: Salto.bz

Frühling

Diese Krise wird die Welt verändern.
Unser Leben. Uns selbst.
Nichts wird mehr so sein wie’s war.
Daraus werden wir lernen.
Müssen wir lernen.
Was haben wir bis jetzt
daraus gelernt?
Wir klagen.
Das trifft ganz besonders die hart.
Das trifft ganz besonders jene hart.
Das trifft ganz besonders uns hart.
Das trifft ganz besonders mich hart.
Es drohen riesige Verluste.
Zigtausend. Millionen.
Menschen. Leben.
Wir kritisieren.
Wissen es besser.
Suchen Schuldige.
Klagen an.
Wir fordern.
Gehen auf die Barrikaden.
Protestieren. Drohen.
Wir sind mit unserer Geduld am Ende.
Wir haben genug.
Haben wir denn nie genug?
Schneller. Höher. Stärker.
Möglichst viel. Auf jeden Fall.
Und zwar sofort. Und vor allem.
Es braucht. Unbedingt. Dringend.
Einkehr. Umkehr. Bescheidenheit.
Menschenmaß und Solidarität.    

Herbst

Wir müssen unbedingt versuchen,
Weihnachten zu retten.
Wir müssen unbedingt versuchen,
die Wintersaison zu retten.
Wir müssen das Überleben
der Betriebe sichern.
Wir fordern Ausnahmen.
Wir fordern Sonderregelungen.
Wir fordern Planungssicherheit.
Gibt es vielleicht sonst noch
etwas zu retten?
Kämpft etwa sonst noch wer
ums Überleben?

Ausblick

„Heute zählen wir die Toten,
morgen zählen wir die Konkurse“.
Werte kontra Zahlen,
Wertschöpfung kontra Wertschätzung.
Wie systemrelevant sind ein paar hundert,
ein paar tausend Menschenleben?
Wie systemrelevant sind ein paar hundert,
ein paar tausend Fließbänder?
Wie relevant ist unser System
für den Lauf unseres Planeten,
für das Wohlergehen seiner Bewohner?
Wiegen. Wägen. Wählen. Wandeln.
Handeln.