Wie weit darf’s nach unten gehen?
Es sind nicht nur die Unternehmer, die angesichts der Krise nach einem Notfallplan rufen. Auch auf Arbeitnehmerseite wird vor dem Hintergrund aktueller Daten zu Kaufkraftverlust, steigender Verschuldung und prekärer Arbeitsverhältnisse zunehmend Alarm geschlagen. Der aktuellste Anlass? Daten des Sozialberichts, laut denen 27 Prozent der Sozialhilfeempfänger einer regulären Arbeit nachgehen – deren Entlohnung aber nicht ausreicht, um das vom Land definierte Mindesteinkommen zu erreichen.
Wer 40 Stunden arbeitet, sollte davon leben können: So lautet einer der Kernforderungen, mit denen die deutsche SPD in den Wahlkampf zieht. Zumindest ein Echo dieser Mindestlohn-Diskussion ist nun auch in im Südtiroler Vorwahlkampf angekommen. Während eine Oppositionspartei wie die Union als Reaktion auf die jüngsten Daten zum Kaufkraftverlust Maßnahmen wie einen Bürgerscheck fordert, rufen die Arbeitnehmer in der Südtiroler Volkspartei die Wirtschaft zur Verantwortung. „Es kann nicht sein, dass Sozialbeiträge sozusagen als Lohnelement herhalten müssen“, ortet Vorsitzender Christoph Gufler dringenden Handlungsbedarf.
Den zeigen nicht nur die Sozialdaten, meint Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstitutes AFI/IPL. Auch die letzten verfügbaren Einkommensdaten des Astat, die bis zum Jahr 2010 reichen, hätten gezeigt, dass jeder fünfte Arbeitnehmer in Südtirols Privatwirtschaft mit einem Bruttoeinkommen unter 20.000 Euro auskommen muss. „Das heißt, hier bleiben netto im Monat maximal 1100 Euro und vielfach auch weniger“, so Perini. Damit liege man schon sehr nahe – und in manchen Fällen auch unter dem Mindeststundenlohn von 8,50 Euro, der derzeit in Deutschland diskutiert wird. „Denn wer für einen Vollzeitjob 800 Euro bekommt, liegt in etwa bei einem Stundenlohn von 5 Euro – und hier stellt sich die Frage, ob das noch würdig ist.“
„Ohne Gegenmaßnahmen bricht Konsum ein“
Doch wo konkret ansetzen? Bei der Wirtschaft, die nun schon unter der Krise stöhnt? „Die Lösung liegt sicherlich in Bereichs- und Betriebsabkommen, die in Südtirols Unternehmen immer noch viel zu selten gemacht werden“, sagt Arbeitnehmer-Chef Gufler. „Und nachdem Südtirols Wirtschaft mit der Irap-Senkung massiv von Steuern entlastet wurde, gibt es hier, denke ich, durchaus Spielräume.“ Dabei geht es laut Gufler auch um die Erhaltung des eigenen Marktes. „Denn in einem Hochpreisland wie Südtirol wird der Konsum ohne Gegenmaßnahmen noch viel stärker einbrechen“, meint er.
Für Stefan Perini stellt sich angesichts der aktuellen Entwicklungen darüber hinaus eine Grundsatzfrage: Entweder müssen die Mindestlöhne angehoben werden – oder sonst muss bewusst in Kauf genommen werden, dass alle jene Menschen, die auf dem freien Markt kein ausreichendes Einkommen erzielen, über das Sozialsystem aufgefangen werden. „In dem Fall kann die Wirtschaft dann aber nicht klagen, dass im Haushalt zu viel für Soziales und Sanität ausgegeben wird.“