Politica | Zoff in Rom
Die Zwei-Seelen-Regierung
Foto: Quirinale
Die neue Regierung geht bei der Abwicklung ihres Programms arbeitsteilig vor. Während Lega-Chef Matteo Salvini mit populistischer Verve die Migration bekämpft, tritt sein Partner Luigi Di Maio mit dem umstrittenen decreto dignità ins Fettnäpfchen.
Seit seinem Amtsantritt als Innenminister vor einem Monat hat Salvini den Kampf gegen Migration zur Chefsache ernannt. Kein Tag ohne Kriegserklärung – gegen die EU, die Hilfsorganisationen, die Schleuser, die Betreiber der Flüchtlingslager. Das kompromisslose Vorgehen Salvinis gegen Einwanderer wird von vielen Fünfsterne-Parlamentariern nicht geteilt. Das hat Kammerpräsident Roberto Fico mehrmals deutlich gemacht. Doch im Gegenzug hat Salvini der Bewegung bei der Neuregelung des Arbeitsmarkts weitgehend freie Hand gelassen.
Staatssekretär Giancarlo Giorgetti bestätigte, es habe sich um eine "do ut des"- Aktion gehandelt. Di Maio feierte das Dekret als "colpo mortale al precariato". Es sollte den Arbeitnehmern durch weitgehende Abschaffung der befristeten Verträge "jene Würde zurückgeben, die ihnen Renzis jobs act geraubt hat". Doch das Dekret stieß bei den Wirtschaftsverbänden auf herbe Kritik. "Non produrrà meno precarietà, ma meno lavoro", so der enttäuschte Unternehmerverband lakonisch.
Besonders in Lega-Hochburgen wie Veneto und Lombardei wurde es mit Verständnislosigkeit aufgenommen. "Il decreto dignità taglia le gambe alle imprese. Ci sono molti ad avere organici che variano per brevi periodi, penso al turismo ed agli stagionali", wetterte Venetos Lega-Chef Toni Da Re. Der Chef des regionalen Industriellenverbandes Matteo Zoppas erklärte, das Dekret führe "unweigerlich zu Entlassungen". Regierungschef Giuseppe Conte beschwichtigte: "Wir sind nicht gegen die Unternehmer, sondern planen für sie Steuerkürzungen."
Matteo Salvini schaltete schnell und zog angesichts der negativen Reaktionen sofort die Notbremse: "Sarà possibile emendare il testo in parlamento." Di Maio versuchte sich zu wehren: "Il decreto non dev'essere annacquato."
Die Panne um die Arbeitsmarktreform beleuchtet den Arbeitsstil einer Regierung, die selbst betont, keine Koalition zu sein, sondern nur ein gemeinsames Programm zu verwirklichen. Dieses Programm ist nicht bis ins Detail festgeschrieben, sondern nur in Leitlinien. Das führt zu Pannen wie beim decreto dignità. Und zu populistischen Maßnahmen wie zur faktischen Aufhebung des Impfzwangs. Denn für die Einschreibung in die Kindergärten wird in Zukunft nur noch eine Erklärung der Eltern genügen.
Di Maios politisches Programm entspringt den politischen Visionen der Fünfsterne-Bewegung von einer gerechten Gesellschaft mit Chancengleichheit und ohne Privilegien wie Leibrenten oder Luxus-Pensionen. Jenes Salvinis drückt sich in der Losung "Prima gli italiani" aus, in der Vision bewaffneter Bürger, in der drastischen Reduzierung von Ausländern. Kein Tag ohne populistische Auftritte – wie letzthin bei seinem Sprung ins Schwimmbad einer beschlagnahmten Mafia-Villa mit 5 Sekunden-Spot: "Fare il bagno qui è una soddisfazione particolare."
Derweil finden M5S und Lega neuen Konfliktstoff: Salvini besteht auf der Wiedereinführung der Voucher, die Fünf-Sterne-Bewegung sperrt sich dagegen.
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