Carnivori tutti
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Hermelin, Baum- und Steinmarder, Fuchs, Dachs, Fischotter, Goldschakal, Luchs, Wolf, Bär. Diesen Raubtieren widmet Filippo Zibordi, der seine Arbeit 2002 als Zoologe mit Hermelinen im Parco Naturale Adamello Brenta begann, das Buch „L’uomo e l’orso possono convivere?”. Mittlerweile beschäftigt sich Zibordi statt mit 75 Gramm leichten Carnivoren hauptsächlich mit - im Fall von ausgewachsenen männlichen Individuen in der Region - bis zu 200 Kilogramm schweren Braunbären. Ein Gespräch.
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SALTO: Herr Zibordi, in Ihrem neuen Buch stellen Sie in neun Portraits Carnivoren vor, die in der Region vorkommen. Noch vorkommen, wieder vorkommen oder sich seit wenigen Jahren als neue Art verbreiten…
Filippo Zibordi: Die meisten Anfragen zu Vorträgen, Interviews oder Artikeln bekomme ich zum Thema Bär. Wir kommen auf die Braunbären hier sicher noch zu sprechen; mir war in diesem Buch wichtig, auch jene Tiere aus der Ordnung der Carnivora vorzustellen, die aus unterschiedlichen Gründen im Hintergrund bleiben. Das gilt nicht für Wolf, aber sicher für die Marder, für Fuchs oder Dachs.
Wobei Sie jeweils eine Art in den gesellschaftlichen Fokus holen, die sich mit den Folgen von menschlichem Handeln konfrontiert sieht. Am Beispiel des Hermelins erklären Sie, wie die alpinen Arten auf die Erwärmung reagieren. Was fanden Sie zu den Anpassungsstrategien der Hermeline heraus?
1995 bis 1997, als ich Hermeline mit Sendern ausstattete und ihren Kot nach den Nahrungsgewohnheiten untersuchte, war das Thema Klimawandel oder Erderhitzung noch nicht so präsent. Ich habe im Hermelin-Kapitel die steigenden Konzentrationen des Kohlendioxidgehalts in der Luft und die weltweite Erhöhung der Durchschnittstemperaturen in Beziehung gesetzt, zum Wissensstand der letzten 200 Jahre. Ich habe kurz umrissen, wie Pflanzen und Tiere auf die Veränderungen der Höhenlagen reagieren.
In jedem Kapitel führen Sie in eine Methode ein, die Sie für die Erforschung der jeweiligen Tierart eingesetzt haben oder die Forschungsstandard ist. Das Rückgrat Ihrer Aussagen sind Daten aus der Feldforschung. Bei welcher Art konnten Sie auf die meisten Daten zurückgreifen?
Beim Braunbären.
Warum?
Systematische zoologische Forschung ist in unserer Region die Ausnahme, nach meiner Doktorarbeit zum Hermelin im Parco Naturale Adamello Brenta ist mir keine jüngere lokale Studie zum Hermelin bekannt. Es gibt auch keine wissenschaftlichen Untersuchungen zum Fuchs in der Region Trentino Südtirol, obwohl er bejagt wird und schon deshalb interessant wäre, wie sich die Populationen der Füchse in Alter und Geschlecht zusammensetzen oder wie sich die Lebensraumnutzung ändert, denn die Füchse reagieren auf die Bejagung.
Die Braunbären im Trentino sind vermutlich die am genauesten erfassten Bären weltweit; das hängt mit dem EU-Projekt LIFE Ursus zusammen. Die zehn Bären, die von Slowenien im Parco Naturale Adamello Brenta eingebürgert wurden um wieder eine zusammenhängende Alpenpopulation aufzubauen, wurden alle mit einem Sendehalsband versehen, um zu erfahren, wie sie das neue Gebiet nutzen würden. Dadurch versuchte die Projektgruppe auch Konflikten mit menschlicher Präsenz vorzubeugen. Im PACOBACE, dem Protokoll, das den Aufbau der Bärenpopulation in den Mittel- und Ostalpen regelt, ist vorgesehen, dass Bären, die sich wiederholt Siedlungen nähern oder die Menschen verletzen - auch wenn sie provoziert werden oder ihre Jungbären verteidigen - nicht toleriert werden können. Ich fasse das hier kurz zusammen, das Protokoll ist natürlich viel komplexer.
LIFE Ursus baute einmal auf drei Elementen auf: Forschung, Information der Bevölkerung und Touristen, sowie Management. Davon ist eigentlich nur noch das Bärenmonitoring übriggeblieben, das heißt es werden in regelmäßigen Abständen Haar- und Kotproben von Bären ausgewertet, um durch das genetische Profil zu erfassen, wie viele Bären im Trentino leben. Das genetische Profil führt gleichzeitig auf die einzelnen Individuen zurück.
Die Braunbären im Trentino sind vermutlich die am genauesten erfassten Bären weltweit
Die Frage, wie viele Bären im Trentino und den benachbarten Provinzen vorkommen, ist eine der wenigen zoologischen Fakten, die in der Berichterstattung vorkommen. Menschen ärgern sich, wenn sie unterschiedliche Zahlen erhalten, 100 oder 120 Bären und scheinen davon sogar abhängig zu machen, ob den Behörden noch vertraut werden kann…
Bei wildlebenden Tieren ist es fast unmöglich, genaue Zahlen zu ermitteln. Bären, die jünger als ein Jahr sind, werden in diese Statistik gar nicht aufgenommen, weil die Sterblichkeit in dieser Altersklasse sehr hoch ist. Das verfälscht dann die Aussagekraft dieser Statistik.
…auf der einen Seite wollen die Menschen genaue Zahlen und wünschen sich Kontrolle. Auf der anderen Seite gibt es Personen, die sich wünschen, es sollte möglichst keine Forschung erfolgen, wenig Personal in diesem Bereich beschäftigt werden und Techniker sich zur Fauna so im Hintergrund halten, da Interessensvertreter das Thema Carnivoren vollständig beanspruchen.
Was ich nun sage gilt auch für alle anderen Tierarten: Je mehr wir über die Bären wissen - und das ist auch für Wölfe und Goldschakale besonders wichtig - desto effizienter können wir den Umgang mit den Carnivoren gestalten. Bei diesen Tieren ist es klug, vorbereitet zu sein und handeln, sich nicht von aktuellen Ereignissen oder Emotionen treiben zu lassen. Denn verschiedene Teile der Gesellschaft reagieren hier viel intensiver als bei anderen Tierarten. Aus diesem Grund ist eine klare, transparente Information seitens der Behörden und mit ihnen zusammenarbeitenden Institutionen so wichtig.
Sie sind nicht nur Zoologe und schreiben Fachartikel. In ihren Büchern schreiben Sie auch für eine allgemeine Leserschaft. Wie sehen Sie die Qualität des Wissenschaftsjournalismus und der Kommunikation zu diesen Themen im Trentino und in Südtirol?
Wir haben in der lokalen Medienwelt kaum Raum für Wissenschaftsjournalismus.
Wenn von Carnivora monatelang im Chronik-Teil berichtet wird, ist bereits sehr viel schiefgelaufen in der Kommunikation, oder?
Fundierte verständliche Kommunikation zu Bären oder Wölfen anzubieten, und zwar kontinuierlich, das ist anspruchsvolle Arbeit. Das darf nicht zu banal gehalten sein, aber auch nicht zu wissenschaftlich. Aus meiner Sicht ist das ein wesentlicher Teil der Vertrauensgrundlage zwischen Gesellschaft, Behörden und Medien. Dann entscheiden die Menschen individuell, was sie tun, aber vorher müssen sie einiges wissen. Nun haben wir eine Situation der Panik erreicht, die mit der Anwesenheit von Bären in einigen Zonen kaum zu rechtfertigen ist.
Der Titel des Buchs „L’uomo e l’orso. Possono convivere?“ lenkt ein bisschen ab vom Inhalt, in dem Sie erst im letzten Kapitel zu den Bären kommen. Eigentlich handelt das Buch davon, wie unterschiedlich große und für die Gesellschaft unterschiedlich relevante Carnivoren-Arten überleben, oder unter großen Schwierigkeiten überleben, wie Sie im Fischotter-Kapitel zeigen. Warum hier sensibilisieren?
Die Klimaerwärmung haben wir schon angesprochen im ersten Kapitel zum Hermelin. Sie betrifft zumindest 2000 weitere alpine Arten zu denen die Auswirkungen untersucht wurden. Klarerweise betrifft das auch uns Menschen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sowie im 18. und im 19., stiegen die Bevölkerungszahlen sehr stark an, Menschen rodeten Wald, um mehr Nutztiere ernähren zu können. Auch vorher zu entlegene Gebirgswälder wurden geschlägert, die Gesellschaft brauchte Holz, sehr viel Holz für Heizung, Bergbau und schließlich für Manufakturen und Industrie. 1859 wurde die Eisenbahn Verona Bozen gebaut, sie forderte hohe Mengen an Holz und konnte nun Holz aus den Bergtälern in die Zentren transportieren. Allein im Tovel-Tal im Trentino fielen dafür 16.000 Bäume. Die ursprünglichen Gebirgswälder waren Lebensraum für sehr viele Tiere.
Straßen zerschneiden und zersplittern die Lebensräume. Die Tierarten reagieren darauf unterschiedlich empfindlich. (...) täglich werden italienweit eineinhalb Millionen Quadratmeter Boden durch Beton versiegelt oder asphaltiert
Am Beispiel von Baummarder lässt sich zeigen, wie eine Art sehr stark zurückgeht, wenn die typischen Wälder Wiesen, Straßen oder menschlicher Besiedlung weichen. Die andere Marderart, der Steinmarder, passt sich hingegen an die von Menschen verursachten Veränderungen an und folgt uns bis in die Dörfer und Städte. So finden wir diese Marder oft überfahren auf den Landstraßen. Im Marder-Kapitel thematisiere ich die Straße und den Verkehr, diese töten sehr, sehr viele Tiere. Es geht aber auch um die indirekten Folgen: Straßen zerschneiden und zersplittern die Lebensräume. Die Tierarten reagieren darauf unterschiedlich empfindlich. Wir bauen immer weiter Straßen, täglich werden italienweit eineinhalb Millionen Quadratmeter Boden durch Beton versiegelt oder asphaltiert. Unter der Bodenversiegelung leiden wir auch, nicht nur viele andere Lebewesen. Hochwasser hängt eng mit Entwässerung und Versiegelung zusammen.
Überall, wo durch das veränderte Klima Hochwasser-Phasen oder über Jahre andauernde Dürreperioden eingetreten sind, geschieht dies, sei es durch die generelle Erwärmung als auch durch Veränderungen des regionalen Klimas, durch große Staudämme. Die umfassendsten und größten Flüchtlingsströme durch den Klimawandel kennen wir aus Afrika. Die Dürren in der Sahel-Zone zwingen geradezu zum Abwandern. Lassen Sie uns an Syrien oder den Libanon, Länder wo ich als Zoologe auch unterwegs bin, denken. Nach Naturkatastrophen - gleich, ob sie von Menschen verursacht wurden oder nicht - folgen gesellschaftliche Katastrophen, Bürgerkriege, Konflikte um das Wasser, um landwirtschaftlich nutzbare Böden… Umgekehrt sind Kriege für Menschen, Siedlungen, Wälder, Graslandschaften, Seen, für alle dort vorkommenden Tiere ein Desaster: Minen, Explosionen, Feuer, Bomben, vergiftete Gewässer, Hunger.
Wenn wir es schaffen (...) uns zurückzunehmen, tun wir uns auch bei sehr viel abstrakteren Themen wie dem Klima leichter.
Warum endet Ihr Buch gerade mit dem Bären?
Ich schließe das Buch mit dem Bärenkapitel, nicht nur, weil der Braunbär die größte der vorgestellten Tierarten ist. Gleichzeitig sind Bären auch für alle bekannten Kulturen, in deren Umfeld sie leben oder lebten, die kulturell einflussreichste Art. Bären sind für uns Menschen etwas, das wir schon sehr lange kennen und Bären scheinen für uns auch sehr konkret. Wenn wir es schaffen, mit ihrer Präsenz umzugehen, Grenzen anzuerkennen, Regeln des Verhaltens einzuhalten (nicht laufen und nicht attackieren, wenn wir unverhofft auf einen Bären in nächster Nähe treffen), schlicht, uns zurückzunehmen, tun wir uns auch bei sehr viel abstrakteren Themen wie dem Klima leichter.
Die Buchvorstellung im Naturmuseum Südtirol in Bozen, mit Filippo Zibordi findet in italienischer Sprache statt. Es soll unter anderem auch um Wolf und Superpredatoren gehen. Termin ist Freitag, der 22. Dezember ab 16.45 Uhr. Es ist keine Anmeldung nötig und der Eintritt ist frei. „L’uomo e l’orso possono convivere?” ist im Oktober bei Edizioni Dedalo erschienen.
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Danke Johanna Platzgummer…
Danke Johanna Platzgummer und Filippo Zibordi!
Ich hoffe die Haltung und das Wissen des Filippo Zibordi setzen sich durch!