Politica | Sanitätsreform

„Zu den Patienten gehen“

Der Schweizer Gesundheitsökonom Willy Oggier über die Südtiroler Sanitätsreform und die Alternative zur Zentralisierung.

Die Sanitätsreform hat auch ihre Vorteile. Der Protest weicht der Information, der Kampf der Kooperation. Menschen verschiedener Gesellschaftsschichten denken gemeinsam darüber nach, was sie besser machen können, damit das Krankenhaus in ihrer Region erhalten bleibt.
So hat am vergangenen Freitag eine Initiativgruppe den St. Gallener Gesundheitsökonom Willy Oggier zu einem Impulsrefarat in das Stadttheater Sterzing geladen. Der studierte Volkswirt Oggier ist Präsident von „Sw!ss Reha“ und gilt als profunder Kenner der europäischen Gesundheitssysteme. Salto.bz hat den Fachmann interviewt:


Herr Oggier, sie kennen die Grundausrichtung der anstehende Sanitätsreform in Südtirol?

Ja, ich kenne die Grundfragestellung, insbesondere die Frage über die Umwandlung der kleinen Krankenhäusern in Tageskliniken bzw. deren Schließung. Das ist auch nicht unüblich. Das kenne ich auch aus anderen Regionen. Die Diskussion wird in Deutschland, der Schweiz und teilweise auch in Österreich geführt. Von daher ist es auch für Europa nichts Neues.

Wie wichtig ist ein Kleinkrankenhaus für eine ländliche Region wie das Wipptal?

Ein Kleinkrankenhaus, gerade in so einer Region wie hier ist ähnlich einer Schule. Es ist ein elementares Basisbedürfnis einer Bevölkerung das man nicht so leichtfertig aufs Spiel setzten sollte. Ein Krankenhaus übernimmt ganz wichtige Funktionen, nicht nur für die Gesundheitsversorgung, sondern für die ganze Gesellschaft. Wenn diese Kleinspitäler wegfallen oder nur mehr Tageskliniken vorhanden sind, dann hat das selbstverständlich erhebliche Konsequenzen.

In Südtirol wird aber darüber diskutiert, dass die Kleinkrankenhäuser in Tageskliniken umgewandelt werden sollen. Ist dieser Schritt dann sinnvoll?

Entscheidend ist, wo ist dieses Kleinkrankenhaus? Ist es in einer ländlichen Region mit gebirgigen Verhältnissen, mit weiten Strecken, könnte es durchaus sein, dass die elementaren qualitätsvorgaben für Notfallmedizin nicht mehr eingehalten werden können. Handelt es sich zudem um eine Tourismusregion, wo in Zeiten der Hochsaison zwei bis drei mal soviel Leute anwesend sind, dann kann dieser Schritt, ein Kleinkrankenhaus in eine Tagesklinik umzuwandeln, gefährlich werden.

Nehmen wir Sterzing?

Wenn das ein Kleinkrankenhaus in Rom wäre oder in Mailand, dann wäre das kein Problem, weil das könnte man aufsaugen, die Patienten könnten man in anderen Orten behandeln weil es genügend andere Krankenhäuser gibt. Hier gibt es keine Alternative dazu. Das muss man einfach sehen, das ist eine ganz andere Voraussetzung. Deswegen darf die Diskussion nie darum gehen, kommen wir mit den Kosten raus, sondern es muss darum gehen, welches Gut haben wir.

Sie sagen: Schauen wir auf die Vorteile?

Wir reden hier von Versorgungssicherheit. Entweder wollen wir diese Versorgungssicherheit für diese Bevölkerung, dann darf man dafür auch was bezahlen, oder man will sie nicht, dann soll man es auch sagen. Dann darf man sich nicht wundern, wenn es mit der Zeit dann kein Krankenhaus mehr gibt, und auch keine Industriebetriebe, Gastbetriebe und andere wirtschaftliche Strukturen.

Steht hinter dieser Reform der Versuch einer Privatisierung der Gesundheit? 

Es gibt in vielen Ländern den Versuch auch öffentlichen Krankenhäusern, über private Rechtsformen mehr unternehmerischen Handlungsspielraum zu geben. Das ist ökonomisch betrachtet keine Privatisierung. Gerade für Randregionen, kleinere Regionen, ländliche Regionen, Grenzregionen, alles trifft hier zu, ist klar erwiesen, dass sie mit Konzepten des Wettbewerbs und der Privatisierung nicht weiterkommen.

Stichwort Pastera-Studie?

Ich kann im Rahmen der Grundversorgung nicht Vergleiche machen zwischen ländlichen Regionen, welche ein kleines Einzugsgebiet haben, aber die man aus Versorgungssicherheitsgründen braucht, mit Krankenhäusern wo die Situation ökonomisch von Haus aus schon einfacher ist, weil sie ein großes Einzugsgebiet haben und möglicherweise noch in der Ebene liegen und nicht 20-30 km gebirgige Autobahn oder Straßenfahrten vor sich haben.

Die integrierte Versorgung wird in den Ländern über die Kleinkrankenhäuser geschehen und nicht über die Landärzte, weil wir uns darauf einstellen müssen, dass es in Zukunft viel weniger Landärzte geben wird.

Effizienz und Wirtschaftlichkeit können sie nie beurteilen losgelöst von ihren Qualitätsvorstellungen. Sie müssen das Leistungsbündel definieren. Sie müssen definieren welche Versorgung sie einer Bevölkerung in einer Randregion geben wollen oder nicht. Erst dann können sie, wenn sie das Ziel definiert haben über Wirtschaftlichkeit sprechen. Ansonsten vergleichen sie Äpfel mit Birnen. Das geht nicht, die Ausgangsvoraussetzungen sind völlig andere. Einzugsgebiet, Wettbewerbssituation, städtische versus ländliche Region, das wäre fatal und nicht sachdienlich

Wie sehen Sie die Gesundheitsversorgung in Zukunft?

Man muss ganz klar sagen, die integrierte Versorgung wird in den Ländern über die Kleinkrankenhäuser geschehen und nicht über die Landärzte, weil wir uns darauf einstellen müssen, dass es in Zukunft viel weniger Landärzte geben wird. Deshalb brauchen wir in den ländlichen Regionen die Kleinkrankenhäuser. Das Krankenhaus ist die einzige Anlaufstelle, welche 24 stunden zur Verfügung steht

Ist die Zentralisierung das Maß aller Dinge?

Wenn die Mobilität der Bevölkerung hoch ist, kann man zentralisieren. Was man aber aus der Geschichte heraus weiß, ist dass in der Regel die Leute beim Gesundheitswesen eine sehr kleine Mobilitätsrate haben. Es spricht einiges dafür, dass diese Mobilität in Zukunft noch kleiner wird weil alle unsere Gesellschaften in Westeuropa erheblich altern, insbesondere in den ländlichen Regionen. Das heißt, es wäre komplett Falsch hier Zentralisieren zu wollen, wenn man Versorgung in den Randregionen sicherstellen will. Man müsste eigentlich genau das Gegenteil machen.

Was meinen Sie damit?

Es gibt dazu sehr gute Beispiele, wie etwa das Uniklinikum Heidelberg in Baden Württemberg. Dort gehen die Ärzte aus diesem Uniklinikum raus in die kleineren Krankenhäuser und nehmen dort Eingriffe vor, bis hin in die Neurochirurgie hinein. Warum? Weil sie gemerkt haben, Ärzte müssen in einer älter werden Gesellschaft zu den Patienten gehen, in die Regionen, weil die Mobilität eingeschränkt ist, ansonsten erreichen wir die nicht mehr. Damit erhöhen sie auch ihre Fallzahlen. Das heißt, Ärzte der Zentren müssen raus. Es ist ein Irrglaube zu denken, dass die Patienten dann in die Zentren kommen, in einer älter werden Gesellschaft, wo die Mobilität eingeschränkt ist, wo ich nicht mehr Auto fahren kann, wo es weniger junge Leute gibt in den kleineren Dörfern, die dann möglicherweise auch keine Zeit haben. Das wäre für die Versorgung eine Katastrophe.