Politica | Kärnten

Fast wie einst unter Jörg Haider

Wie verhält sich Südtirols Schutzmacht gegenüber den Sprachminderheiten im eigenen Land? Ein Streitfall in Kärnten bewegt Hans Karl Peterlini zu einem offenen Brief.
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Foto: Die Presse

Eine Woche lange tobte in Kärnten, fast wie einst unter Jörg Haider, ein landespolitischer Streitfall um die Anerkennung der slowenischen Minderheit in der neuen Landesverfassung. Anlass war eine Formulierung, die gar nicht an prominenter Stelle stand, sondern – eher wie zufällig – in einem Absatz zu den Fürsorgeleistungen, die für die „deutsch- und slowenischsprachigen Landsleute gleichermaßen“ vorgesehen seien. Das war schon zu viel. Unmittelbar vor Ende der Begutachtungsphase legte sich der Kärntner ÖVP-Obmann Christian Benger quer und legte sein Veto ein, die Dreierkoalition aus SPÖ, ÖVP und Grüne drohte am hehren Ziel einer gemeinsam getragenen Landesverfassung zu zerbrechen. Laut Benger spalte dieser Satz das Land, weil eine Gleichstellung der beiden Sprachgruppen die Menschen verunsichere und von der Bevölkerung nicht mitgetragen werde. SPÖ und Grüne hielten an der ursprünglich vereinbarten Version fest.

Am gestrigen Freitag kam es zu einer überraschenden Einigung, die als für alle Seiten befriedigender Kompromiss gefeiert wurde. Der Slowenen-Passus wurde gestrichen und durch „alle Landsleute“ ersetzt, dafür wurde der Umstand betont, dass Deutsch die „Landessprache“ ist; die „slowenische Volksgruppe“ wird dann noch als Ausdruck der kulturellen und sprachlichen Vielfalt mit Bezug auf die Bundesverfassung erwähnt. „Der Kompromiss ist für viele Slowenen, die ich persönlich kenne, ein Schlag ins Gesicht“, sagt der an der Universität Klagenfurt arbeitende Südtiroler Hans Karl Peterlini, „die Zurücknahme eines Entgegenkommens ist schlimmer, als wenn es dieses Entgegenkommen nie gegeben hätte.“

„Als Südtiroler finde ich es empörend, wenn Österreich einerseits als unsere Schutzmacht auftritt und andererseits den eigenen Minderheiten jene Rechte verweigert, die es für Südtirol gefordert und miterwirkt hat.“

Die slowenische Sprachgruppe Kärntens hat eine lange Geschichte von vorenthaltener Gleichstellung mit der deutschsprachigen Bevölkerung hinter sich, die fortschreitende Assimilierung hat die einstige slowenische Mehrheit Südkärntens landesweit auf unter drei Prozent schrumpfen lassen. Peterlini, der in Klagenfurt Universitätsprofessor für Interkulturelle Bildung ist, initiierte einen offenen Brief, der spontan instituts- und fakultätsübergreifend von einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen unterstützt wurde: „Als Südtiroler finde ich es empörend, wenn Österreich einerseits als unsere Schutzmacht auftritt und andererseits den eigenen Minderheiten jene Rechte verweigert, die es für Südtirol gefordert und miterwirkt hat.“

 

Der offene Brief

Mit folgendem offenen Brief haben der frühere Südtiroler Journalist und nunmehrige Universitätsprofessor Hans Karl Peterlini und zahlreiche Mitstreiter am Freitag zum Streitfall und zum nunmehrigen Kompromiss um die neue Landesverfassung für Kärnten/Koroška Stellung bezogen: 

Mit Verwunderung und Besorgnis haben wir in der vergangenen Woche die politische Debatte verfolgt, wonach die gemeinsame Nennung der „deutsch- und slowenischsprachigen Landsleute“ den Konsens um die neue Landesverfassung für Kärnten/Koroška in Frage stellte. Die Verweigerung einer solchen Wertschätzung, allein durch simple Erwähnung auch der slowenischsprachigen Mitbürgerinnen und Mitbürger als fraglos zu Kärnten gehörend und Kärnten mitgestaltend, stellte einen Rückschritt für das positive Klima dar, das sich mit dem Kompromiss von 2011 zur Ortstafelfrage zwischen den Volksgruppenvertretern und den politischen Entscheidungsträgern in Klagenfurt und Wien entwickelt hat und für das die derzeitige Landesregierung wichtige Akzente gesetzt hat.

Sosehr die nunmehrige Einigung zur Landesverfassung zu begrüßen ist, so sehr bleiben doch Momente des Unbehagens zurück, die auch durch den politischen Kompromiss nicht überspielt werden sollten: Die nunmehrige stärkere Betonung, dass Deutsch nicht nur die Sprache der Gesetzgebung, sondern „die“ Landessprache ist und dass die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Republik Österreich in Kärnten – quasi als Beigabe – durch die slowenische Sprachgruppe zum Ausdruck kommt, stärkt die getrennte Wahrnehmung zweier Landesrealitäten, wo zuvor durch die gleichberechtigte Nennung der „deutsch- und slowenischsprachigen Landsleute“ der Gedanke einer sprachgruppenübergreifenden Gemeinsamkeit zum Ausdruck kam. Dies wäre einer späten Würdigung der Rolle der slowenischen Bevölkerung in der Geschichte Kärntens und Österreichs gleich gekommen, die dieser oft schlecht gedankt wurde (man denke an die ausschlaggebende Befürwortung des Verbleibs bei Österreich bei der Volksabstimmung 1920 durch die slowenische Bevölkerung sodann an den politisch zwar wenig gewürdigten Widerstand gegen das NS-Regime, der im Sinne der Moskauer Deklaration von 1943 aber wesentlich dazu beitrug, dass Österreich von den Alliierten die staatliche Souveränität zugesprochen wurde). Die im Staatsvertrag übernommene Verpflichtung Österreichs gegenüber der slowenischen Sprachgruppe wurde nur sehr mangelhaft umgesetzt, so dass die Assimilationsprozesse fortschritten und fortschreiten. Positive Akzente wie etwa der Umstand, dass auch deutschsprachige Familien ihre Kinder in zweisprachige Schulen einschreiben, verweisen zugleich auf zarte Pflänzchen eines wachsenden Interesses aneinander.

Der von der Regierungskoalition SPÖ-ÖVP-Grüne mitgetragene Entwurf für die neue Landesversammlung war gerade durch die beanstandete und nun getilgte Formulierung von großer symbolischer Bedeutung, weil die slowenische Bevölkerung als gleichberechtigtes politisches Subjekt genannt wurde, aber eben nicht von den deutschsprachigen Mitbürgerinnen und -bürgern abgespalten, sondern ungezwungen und wie selbstverständlich aufgenommen in ein gemeinsames Konzept von ausdrücklich deutsch- und slowenischsprachigen „Landsleuten“. Diese explizite Mitnennung und Sichtbarkeit der slowenischen Sprachgruppe ist nun in der Formulierung „aller Landsleute“ vermieden worden.

Die nunmehrigen Änderungen der Landesverfassung mit der Betonung, dass Deutsch die einzige Landessprache ist, laufen auf eine Abstufung zwischen den zwei Sprachgruppen hinaus. Dies macht deutlich, wie weit die Rechte der österreichischen slowenischen Minderheit beispielsweise gegenüber jenen der deutschsprachigen und ehemals österreichischen Minderheit in Südtirol/Italien hinterherhinken, wo die Gleichstellung der Sprachen auch als Gesetzessprache und umso unbestrittener auch als Landessprache verfassungsrechtlich verankert ist. In der neuen Landesverfassung für Kärnten/Koroška war eine gleichberechtigte symbolische Nennung offenbar schon zu viel. Dies ist ein Rückzug von der Beherztheit im ursprünglichen Entwurf für die neue Landesverfassung.

Angesichts der vielfältigen Herausforderungen in migrantisch geprägten Gesellschaften ist die historisch gegebene, sprachliche und kulturelle Pluralität Kärntens für ganz Österreich und darüber hinaus eine Ressource, die nicht durch glättende Formulierung möglichst zum Verschwinden, sondern selbstbewusst sichtbar und damit politisch und gesellschaftlich fruchtbar gemacht werden sollte. Die deutsch- und slowenischsprachige Bevölkerung Kärntens verfügt dank ihrer Geschichte ethnischer Feindseligkeiten, Ab- und Ausgrenzungen, Entrechtungen und Behauptungskämpfen über wertvolle Erprobungen von Konfliktüberwindung und Zusammenleben, die für moderne europäische Migrationsgesellschaften einen Erfahrungsschatz im Umgang mit Ethnizität und Diversität darstellen.

Hans Karl Peterlini, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung (IfEB), Abteilung interkulturelle Bildung

Cristina Beretta, Universität Klagenfurt, Institut für Slawistik

Klaus Schönberger, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse

Bettina Gruber, Universität Klagenfurt, IfEB, Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung

Viktorija Ratkovič, Universität Klagenfurt, IfEB, Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung

Barbara Maier, Universität Klagenfurt, Kulturagenden

Kornelia Tischler, Universität Klagenfurt, IfEB, Abteilung für Schulpädagogik

Peter Gstettner, Universität Klagenfurt, IfEB (i.R.)

Reinhard Kacianka, Institut für Kulturanalyse, internationale Beziehungen

Jasmin Donlic, Universität Klagenfurt, IfEB, Abteilung interkulturelle Bildung

Marion Hamm, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse

Jutta Steininger, Kunsthistorikerin

Karin Schorm, Universität Klagenfurt

Tina Perisutti, Universität Klagenfurt

Vladimir Wakounig, Universität Klagenfurt, IfEB, Abteilung interkulturelle Bildung (i.R.)

Alice Pechriggl, Universität Klagenfurt, Institut für Philosophie

Doris Moser, Universität Klagenfurt, Institut für Germanistik

Liepold Ute, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse, Regisseurin

Bernd Liepold-Mosser, Stadttheater Klagenfurt, Regisseur

Mark Schreiber, Universität Klagenfurt, Institut für Anglistik und Amerikanistik

Thomas Hainscho, Universität Klagenfurt, Institut für Philosophie

Sandra Hölbling-Inzko, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse

Marija Wakounig, Universität Wien, Institut für Osteuropäische Geschichte

Janine Schemmer, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse

Samo Wakounig, Universität Klagenfurt, IfEB, Abteilung Systematische und Historische Pädagogik

Martin Hitz, Universität Klagenfurt, Vizerektor für Personal, Institut für Informatik-Systeme

Terezija Wakounig, Wien/Dunaj-Müllnern/Mlinče

Simone Egger, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse

Irene Cennamo, Universität Klagenfurt, IfEB, Erwachsenen- und Weiterbildung

Ute Holfelder, Universität Klagenfurt, Institut für Kulturanalyse4

Georg Gombos, Universität Klagenfurt, IfEB, Interkulturelle Bildung

Zahra Mani, Universität Klagenfurt

Gerhard Katschnig, Universität Klagenfurt

Brigitte Hipfl, Universität Klagenfurt, stellv. Dekanin Fakultät für Kulturwissenschaften